Die Kritik muss sich gegen das offizielle Gedenkspektakel richten

Jetzt erst recht!

Da der 13. Februar in Dresden nicht mehr von Nazis dominiert wird, könnte sich der Protest endlich konsequent gegen den ­Geschichtsrevisionismus der offiziellen Gedenkveranstaltungen richten.

Die Nazis geben Dresden auf. Vom großen »Trauermarsch« ist nur noch der Wille zu einer Kundgebung am 13. Februar übrig geblieben, ob und wo die stattfinden wird, ist offen. Der Trauerkloß ist weitergezogen in Städte, die ähnlich empfänglich sind für das deutsche Leid im Zweiten Weltkrieg. In Magdeburg und Plauen beispielsweise läuft’s wohl ganz gut.
Endlich könnte also die wirkliche Arbeit in Dresden beginnen. Der Protest, der sich in den vergangenen zehn Jahren fast ausschließlich ­gegen das sogenannte missbräuchliche Gedenken der Nazis richtete, könnte sich endlich gegen das Ritual selbst wenden, das die Stadt jedes Jahr veranstaltet. Obwohl die geschichtsrevisionistische Bürgerbewegung längst erreicht hat, was die Nazis nie geschafft haben: die deutsche Schuld hinter dem deutschen Leid verschwinden und in einer gemeinsamen europäischen Geschichte aufgehen zu lassen. Das hat sich Dresden erarbeitet, denn die Stadt hat gelernt, »den Frieden immer neu zu erkämpfen«, sagt Oberbürgermeisterin Helma Orosz heute.

Dieser Kampf begann mit gepimpten Opferzahlen und schrillen Tönen gegen den »alliierter Bombenterror«, den »Luftgangster Arthur T. Harris« oder den »Bomben-Holocaust«, gegen die vermeintliche Verunglimpfung der Opfer als Täter und zuletzt gegen den »Missbrauch« der Erinnerung. Jetzt herrscht beinahe eine erhabene Ruhe um das Gedenken. Großzügig soll nach dem Willen der Oberbürgermeisterin an das »millionenfache Sterben in diesem Krieg, ob auf den Schlachtfeldern, ob in den Bombenkellern, ob in Städten wie Coventry oder Rotterdam, Warschau oder Leningrad oder in Dresden« erinnert werden.
Was vergessen? Nichts und niemand wird hier mehr vergessen. Dafür sorgt in diesem Jahr die Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr »Vergessene Schuld – Der Holocaust und das Fortleben jüdischen Eigentums in deutschen Haushalten« plus Podiumsdiskussion. Auch die Täter werden nicht vergessen, in diesem Jahr darf der einst verbotene »Mahngang Täterspuren« zum zweiten Mal stattfinden. Das kritische Denken wird ebenfalls nicht vergessen. Ein Dresdner Professor hält einen Vortrag über »Die Einzigartigkeit des Dresdner Gedenkens als Tradition und Problem«. Die »Memoria«, heißt es in der Ankündigung, war vielleicht bei den Nazis und in der DDR ein Problem, weil sie »instrumentalisiert« wurde, habe aber in den achtziger Jahren eine neue »Sinnstiftung« »von unten« aus der »(vor allem kirchlich geförderten) Friedensbewegung« erfahren und sei kein Problem mehr, so das vorweggenommene Fazit.
Man ist in Dresden jetzt mehr denn je für Frieden, aber auch für alles Mögliche, vor allem Gute in der Welt und dafür wird rund um den 13. Februar viel getan: erst Heidefriedhof – »für die Opfer des Krieges und der verheerenden Bombenangriffe« und seit neuestem auch als »Zeichen der Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt«. Danach Menschenkette zum Schutz der Frauenkirche vor missbräuchlicher Erinnerung und als »Zeichen für Respekt, Toleranz und Weltoffenheit sowie gegen menschenverachtende Ideologien«. Dann unzählige Andachten, mal mit »Überlebenden«, mal ohne sie und viele Friedensgebete. Schließlich die »Nacht der Stille« unter dem Motto »Wachen und Beten für den Frieden in der Welt«.
Das alles ist verkitschte scheinheilige Deko. Denn die AG 13. Februar, das moralische Rückgrat des Gedenkens, der die »Integration der Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkrieges« nach eigener Aussage sehr gut gelungen ist, interessiert sich doch am meisten für sich selbst. Nicht für die für andauernden Kriege der Gegenwart, nicht für die Einsätze der Bundeswehr, nicht für Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die aufzunehmen Deutschland versprochen hat, nicht für die Gegenwart. Diese Friedensbewegung, wie sie jetzt heißt, ist einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Zum zehnten Mal treffen sich in diesem Jahr die »Überlebenden des 13. Februar 1945«. Ja wirklich, die alten Leute in Dresden haben sich diesen ehrwürdigen Titel verliehen, der außerhalb Dresdens den Opfern der Shoah vorbehalten ist. In Dresden gibt es keine Täter mehr – hat es nie gegeben, das waren die Nationalsozialisten –, sondern nur noch Opfer.
Die Bürgermeisterin trauert: »Der Zeitlauf bringt es mit sich, dass unter uns immer weniger Dresdnerinnen und Dresdner sein können, die den Krieg, die Bombenangriffe, den Nazi-Terror erlebt und überlebt« haben. Eine »Überlebende«, damals ein kleines Mädchen, hat genau wie Anne Frank in Tagebüchern ihre Horrorerlebnisse niedergeschrieben und liest am 13. Februar daraus vor. Aini Teufel, damals elf Jahre alt, hat ihr Tagebuch »Die Stadt, die sterben sollte« genannt. Wie hier Geschichte umgebogen wird, ist beispiellos.
Man möchte schreien. Man sollte dieses Jahr da hinfahren und dafür sorgen, dass dieses falsche und unglaublich anmaßende Trauerspiel ebenso ein Ende hat wie das Theater der Nazis.
Wie schön, es gibt ja wieder »Aktionen« von »Dresden Nazifrei«, gegen die paar Nazis, die doch noch kommen könnten, um »ihnen auch die letzte Aktionsfähigkeit« zu nehmen. Dafür sorgt eigentlich schon das einzigartige Versammlungsgesetz, das sich Sachsen geschrieben hat. Demonstrationen an der Frauenkirche und dem Neumarkt können immer, in der nördlichen Altstadt und der inneren Neustadt »nur« am 13. und 14. Februar einfach verboten werden, weil diese Orte an die »Opfer eines Krieges« erinnern. Was sich hier gegen »Aussöhnung« und die Dresdner Art der »Verständigung« richtet, kann einfach verboten werden.
Dieses Gesetz gilt übrigens nicht nur für die Nazis, sondern für alle, die da was falsches denken. Kein Problem: »Ziviler Ungehorsam« wurde ja in den vergangenen Jahren ordentlich eingeübt, nur leider reicht die Empörung offenbar nicht für den Dresdner Normalzustand.