Die Gefahren der Apologie des Horthy-Regimes

Horthy wird noch gebraucht

Eine historische Betrachtung der Verabschiedung der judenfeindlichen Gesetze in Ungarn zeigt die Gefahr, die zurzeit von der Apologie des Horthy-Regimes durch ungarische Nationalisten ausgeht.

Im derzeit in Ungarn stattfindenden Wahlkampf kann man nicht darüber hinwegsehen, dass die Regierung von Viktor Orbán versucht, den Holocaust für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gegenüber dem Ausland sagen führende Politiker, dass der ungarische Staat seine jüdischen Bürger damals nicht geschützt habe und nun Verantwortung für ihr Schicksal trage. Im Inland jedoch werden Neonazis begünstigt, um Wählerstimmen zu gewinnen, und Oppositionelle werden als Feinde der Nation dargestellt. Diese Strategie knüpft teilweise an das faschistische System unter Miklós Horthy an und ist eine Fälschung der Geschichte in Bezug auf eine Mitverantwortung an der Ermordung von mehr als einer halben Million ungarischer Staatsbürger.
Wenn man über den Verlust menschlichen Lebens spricht, dann geziemt es sich, über die Opfer zu sprechen und den Mord an etwa 18 000 Juden im Sommer 1941, drei Jahre vor der deutschen Besatzung, nicht als »fremdenpolizeiliche Maßnahme« zu bezeichnen, wie es etwa Sándor Sza­kály tat. Dieser ist von Orbán zum Leiter des neuen historischen Instituts »Veritas« ernannt worden, eines Forschungsinstituts der Regierung zur ungarischen Geschichte der vergangenen 150 Jahre. Szakály ist Militärhistoriker und ein Bewunderer der königlichen ungarischen Gendarmerie sowie ein beliebter Redner bei rechtsextremen Veranstaltungen.

Einige Regierungspropagandisten behaupten, das gesamte ungarische Volk werde der Kollektivschuld bezichtigt. Niemand spricht vom ungarischen Volk, sondern von den Gesetzgebern und dem Apparat, der die Gesetze durchgesetzt hat, wie zum Beispiel die Gendarmerie, der es hauptsächlich oblag, die Opfer zu je 70 bis 80 Personen in die Viehwaggons nach Auschwitz-Birkenau zu treiben.

Ein Dokument zeigt die Verlotterung der ungarischen Gesetzgebung und des Staatsapparates bei der Vorbereitung der letzten Phase des Holocausts. Es handelt sich um den Teil der Verordnung, der auf der ungarischen Rassentheorie gründet und die ungarischen Staatsbürger jüdischer Abstammung als zu ergreifende Wilde behandelt – im Gegensatz zu ihren Wertgegenständen, die als kostbare Schätze betrachtet werden.
Die Mehrheit der damaligen ungarischen Regierungspartei MEP und alle anderen Parteien, die für die Kollaboration mit Nazideutschland eintraten, befürworteten seit 1939 eine »totale Lösung der Judenfrage«. Einer der fanatischsten Antisemiten war der Generalmajor der ungarischen Gendarmerie László Baky, der 1938 aus dem Dienst ausschied und Politiker der ungarischen nationalsozialistischen Partei wurde. Nach der deutschen Besatzung im März 1944 ernannte Reichsverweser Miklós Horthy ihn zum Staatssekretär im Innenministerium, mit der Aufgabe, die »Judenfrage zu lösen«.
Baky unterzeichnete am 7. April 1944 eine Verordnung. »Die königliche ungarische Regierung wird binnen kürzester Zeit das Land von Juden säubern«, lautete deren erster kategorischer Punkt. »Ich verordne die Säuberung nach Regionen durchzuführen, als deren Ergebnis das Judentum ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter in die dafür ausersehenen Konzentrationslager zu transportieren ist«, gab Baky persönlich in Auftrag. »Das Sammeln der Juden« sollte je nach Zuständigkeit vor Ort »die Polizei und die königlich ungarische Gendarmerie erledigen«. Die deutsche Sicherheitspolizei sollte »als beratendes Organ« an Ort und Stelle sein, ein besonderes Gewicht sollte »auf die ungestörte Zusammenarbeit« gelegt werden. »Gleichzeitig mit dem Sammeln und Transport der Juden« sollten die örtlichen Behörden Kommissionen bestimmen, die die Wohnungen und Geschäfte der Juden zusammen mit den vorgehenden Polizei- und Gendarmerieeinheiten abzusperren und separat zu versiegeln hatten. »Geld und Wertsachen (Gold, Silbergegenstände, Aktien usw.)« sollten von den vorher erwähnten Organen zur Aufbewahrung an sich genommen werden. Diese Werte mussten von den Gemeindeverwaltungen innerhalb von drei Tagen der nächsten Niederlassung der Nationalbank übergeben werden. »Radioapparate, die im Besitz der Juden waren«, sollten an in nationaler Hinsicht zuverlässige Personen ausgehändigt werden. Zudem wurde festgelegt: »Nicht eindeutig als Juden feststehende Personen sind auch in die Konzentrationslager zu transportieren, die Klarstellung hat dort zu erfolgen.«

Freilich war diese von Baky unterzeichnete Verordnung nur der Schlusspunkt in der Reihe der seit 1920 beschlossenen Gesetze, die Juden diskriminierten.
Doch diese Gesetze erregten damals heftigen Widerspruch im ungarischen Parlament. Die Diskussionen über sie bewiesen, dass dama­lige ungarische Politiker eine auf sehr hoher Stufe der europäischen Zivilisation stehende Rechtskultur zerstörten.
Es gab zwar nach 1933 das deutsche Vorbild, doch die antisemitischen Gesetze waren ein ungarisches Produkt. Dieser Umstand ist schon deshalb wichtig, weil er aufzeigt, welche handgreifliche Gefahr durch die Apologie des Horthy-Regimes durch den heutigen nationalis­tischen Block, bestehend aus Fidesz und Jobbik, droht. Die beiden Parteien benutzen die Apologie, um die liberale Rechtsordnung abzubauen und diskriminierende Gesetze möglich zu machen. Selbstverständlich berufen sie sich genauso auf die damalige subjektive Kategorie der Höherwertigkeit des von ihnen definierten nationalen Standpunkts, auf die nationale Verpflichtung (damals »nationale Zuverlässigkeit«) wie Juristen und Politiker während der dreißiger und frühen vierziger Jahre.

Der Beweis der ungarischen Autorenschaft der antisemitischen Gesetze ist, dass die ungarischen Gesetzgeber und die damit befassten Intellektuellen mit beinahe 70 Gesetzen und 350 Verordnungen in ungefähr 20 Jahren gründliche Arbeit geleistet haben. Die Fußnoten dieser Gesetze und Verordnungen sind so umsichtig, als habe das Leben der Bearbeiter von der genauen Formulierung der Ausgrenzung abgehangen. Während der Diskussionen zur Gesetzesformulierung achteten sie darauf, noch aus der feudalen Ordnung stammende Rechtfertigungen zu finden, und griffen zurück auf die Gesetze der Könige Stephan (1000–1038), Ladislaus (1077–1095) und Matthias (1458–1490). Ihr Konzept aber bezeichneten sie ausdrücklich als die Durchsetzung der christlich-nationalen Weltanschauung.

Die damaligen Parlamentsdebatten über diese Gesetze zeigen, warum die heutigen Nationalisten so sehr die Horthy-Periode brauchen. Die Gegner der Gesetze haben 1938/39 innerhalb und außerhalb des Parlaments alle möglichen Gegenargumente formuliert. Sie sahen in der Gleichheit aller Staatsbürger »einen Teil der Werte von 1848«, das heißt der nationalen und demokratischen Revolution gegen die Habsburger. Sie sahen in der Diskriminierung aufgrund der »Rasse« oder der Religion einen Bruch mit der ungarischen Rechtstradition. Und als ob sie schon gewusst hätten, dass man heute mit Sándor Szakály rechnen muss, haben sie das Vorgehen der Rechten so zusammengefasst: »Es ist unannehmbar, dass die Gesetzgeber das Prinzip der Rechtsgleichheit so beseitigt haben, wie man ein Gesetz über eine Administrationsfrage, die keiner besonderen Überlegung bedarf, beschließt.« Sie fügten hinzu, Ungarn sei bekannt in der Welt als ein Land, in dem man den Menschen nach seiner Leistung und nicht nach der Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Religion beurteilt.
Gegen die Gesetze nahmen nicht nur Linke wie die Sozialdemokraten Károly Peyer und Anna Kéthly Stellung, sondern auch die Abgeordneten Károly Rassay und Graf György Apponyi, die beide 1944 nach Mauthausen deportiert wurden, sowie János Vázsonyi, der das KZ Dachau nicht überlebte. Das Mitglied des Oberhauses Lajos Láng brachte seine Ablehnung so auf den Punkt: »Sie verfolgen nicht die orthodoxen, im Kaftan gekleideten Juden, sondern die assimilierte ungarische Intelligenz.« Er wies auch auf die Sündenbock­politik hin, also auf die Tatsache, dass die Regierung den schweren gesellschaftlichen Problemen wie den enormen Unterschieden des Einkommens und des Vermögens mittels des »Religionsmedikaments« beikommen wollte.


Die Gegner dieser Gesetze unterlagen damals, wie auch heutzutage diejenigen unterliegen, die versuchen, gegen die sich auf nationale Vollmacht und permanente Revolution berufende Regierung zu argumentieren.
Die derzeitige rechte, nationalistische Regierung hat in einem Teil der von ihr abgesegneten Gesetze die Aufteilung in »Starke« und »Schwache« übernommen, nur dass sie lieber von »Förderungs-« und »nicht Förderungswürdigen« spricht. In diesem Sinne wurden Gesetze beschlossen, mit denen gewissen gesellschaftliche Gruppen wie Invalide, Obdach­lose, Schwerarbeiter und Kinder, die besonderer Förderung bedürfen, wie die meisten Roma-Kinder, von der Gleichberechtigung ausgeschlossen werden.

Heutzutage steht hinter den das Ungleichheitsprinzip verwirklichenden Nationalisten keine große und starke ausländische Macht – hinter ihnen stehen allein die Neonazis, die ausdauernd versuchen, die Rechte aufgrund der Abstammung zu beschränken, und fordern, Roma-Lager zu bauen oder Politiker jüdischer Abstammung zu registrieren.
Trotzdem scheint es gegenüber diesem nationalistischen Block genauso unmöglich, auf die nationalen Traditionen der Rechtsgleichheit gestützt zu argumentieren, wie während der dreißiger und vierziger Jahre.
Der un­garische Ministerpräsident Pál Teleki brachte es 1939, ein antisemitisches Gesetz kommentierend, auf den Punkt: »Wir haben die Frage der Entrechtung oft behandelt. Natürlich ist dieser Gesetzesvorschlag auf die Individuen bezogen Entrechtung. Das ist klar. Aber Entrechtung von In­dividuen im höheren Interesse der Nation.«
Nicht viel anders argumentieren heutige ungarische Regierungspolitiker.


Julia Lévai begann ihre Karriere als Musikjournalistin. 1981 bis 1984 wurde sie wegen ihrer Verbindung zur demokra­tischen Opposition mit einem Berufsverbot belegt. 1985 bis 1986 war sie Chefredakteurin der alternativen Musikzeitschrift »Polifon«. Nach 1989 arbeitete sie im ungarischen Radio und publizierte in Printmedien ihre Artikel. Sie ist Trägerin des Toleranz-, Freie-Presse- und Radnóti-Preises.

Übersetzt von Karl Pfeifer.