Die institutionelle Krise des Fußballs in Uruguay

Himmelblaue Chaoswoche

Uruguays Fußball wird von einer institutionellen Krise erschüttert, die sogar die WM-Teilnahme des Landes gefährden könnte.

Anfang voriger Woche ist die Führungsriege des uruguayischen Fußballverbandes Asociación Uruguayo de Fútbol (AUF) geschlossen zurückgetreten. Zwei Monate vor Beginn der Fußball-WM in Brasilien herrscht also richtig großer Ärger. Die Situation eskalierte, nachdem es am 26. März nach einem Spiel in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions-League, zwischen Nacional Montevideo und dem argentinischen Verein Newell’s Old Boys zu heftigen Ausschreitungen gekommen war. Die Bilanz der Zusammenstöße zwischen Nacional-Anhängern und der Polizei: Dutzende Verletzte, darunter 28 Polizisten, 40 Festnahmen und einschlägige Fernsehbilder.
Uruguays Staatspräsident José Mujica kündigte zwei Tage später an, künftig bei Ligaspielen in den Stadien der beiden großen Clubs Peñarol und Nacional keine Polizei mehr einzusetzen – die Vereine sollten künftig allein für die Sicherheit sorgen. Zusätzlich forderte die Regierung vom Verband die Umsetzung eines von der Fifa empfohlenen Maßnahmenkatalogs gegen Gewalt auf den Rängen, der unter anderem Punktabzüge vorsieht, sowie die Anschaffung einer Software zur Gesichtserkennung in den Stadien durch die Clubs.
Gewalt bei Fußballspielen ist kein neues Phänomen in Uruguay, wenn auch Ausschreitungen keineswegs so häufig vorkommen wie im Nachbarland Argentinien, wo die Fankurven von den sogenannten barrabravas kontrolliert werden. Deren Anführer bekleiden zum Teil sogar Vereinsposten und werden immer wieder mit Korruption in Verbindung gebracht. Uruguays Innenminister Eduardo Bonomi hatte allerdings erst kürzlich erklärt, dass auch Uruguays barrabravas in Geschäfte wie den Verkauf von Fanartikeln, die Vermietung von Parkplätzen rund um die Arenen und sogar in Drogenhandel und Prostitution verwickelt seien.
Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt Umfragen zufolge die von Mujica in die Wege geleiteten Maßnahmen, die Clubs jedoch drohten nach der Intervention der Regierung zunächst, den Spielbetrieb der nationalen Liga auszusetzen.
Am 29. März wurde allerdings wie gewohnt gekickt. Dann aber meldete sich die Spielergewerkschaft Mutual Uruguaya de Futbolistas zu Wort und erklärte, dass die Fussballer ohne Polizei im Stadion nicht auflaufen würden. Das führte schließlich dazu, dass einige der für den folgenden Tag angesetzten Begegnungen abgesagt wurden, darunter die Partie Miramar gegen Peñarol, was die Clubführung von Nacional wiederum sehr verärgerte. Nacional hatte nämlich am Samstag gespielt und 0:1 gegen Liverpool verloren. Deshalb vermuteten die Funktionäre hinter der Spielabsage eine Finte des Verbandes, um dem Erzrivalen Peñarol einige Tage Ruhe vor dem Auftritt in der Copa Libertadores zu verschaffen.
Angesichts der immer heftigeren Kritik trat am Montag voriger Woche Verbandspräsident Sebastián Bauzá zurück, mit ihm ging die gesamte Führungsriege der AUF. »Die letzten Ereignisse zeigen, wie notwendig es ist, beiseitezutreten und es zu erlauben, dass andere politische Stellen die Regierbarkeit des Fußballs wiederherstellen«, hieß es etwas verklausuliert in einer auf der Verbandsseite veröffentlichten Erklärung. Bauzá sah offenbar keine Möglichkeit mehr, ohne die Unterstützung von Nacional den Verband weiter zu führen. Der geschlossene Rücktritt der Verbandsspitze kann nun aber Sanktionen durch den Fußballweltverband Fifa nach sich ziehen, sollte dieser der Meinung sein, eine Einmischung der Regierung habe den Rückzug der Funktionäre verursacht. Sogar eine Sperre der Nationalmannschaft wäre dann möglich, womit wiederum Uruguays WM-Teilnahme in Gefahr geriete.
Doch dieser Fall erscheint eher unwahrscheinlich. Denn mit dem Entschluss, keine Polizei mehr ins Stadion zu schicken, hat Mujica eine sicherheitspolitische Entscheidung getroffen, was ihm als Staatspräsident wohl durchaus zusteht – abgesehen von der Polemik, die sein Entschluss hervorgerufen hat. In den Fällen, in denen die Fifa zuletzt mit Sanktionen drohte, wie gegenüber Nigeria, Kamerun oder Peru, hatte die jeweilige Regierung direkt bei den nationalen Verbänden interveniert, Funktionäre ab- und eigene Leute eingesetzt.
In Uruguay stellt sich der Fall wohl anders dar, auch wenn in den Medien Verschwörungstheorien kursieren, die das Ganze für ein abgekartetes politisches Spiel halten. Präsident Mujica sprach von einem »Feuerwerk« und fügte hinzu: »Ich glaube nicht, dass die Fifa mit diesem Thema etwas zu tun hat, denn wir haben uns nicht beim Fußball eingemischt, sondern auf den Tribünen.« Auch der Präsident des südamerikanischen Fußballverbandes Conmebol, Eugenio Figueredo, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, er glaube nicht, dass die Fifa eingeschritten sei.
In den uruguayischen Medien gelten die Maßnahmen gegen die Gewalt in den Stadien und die Spielabsage vom Wochenende ohnehin nur als der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Krise im Verband habe sich schon seit Monaten angedeutet und vor allem mit der Vergabe der Fernsehrechte der Qualifikationsmatches der uruguayischen Nationalmannschaft für die WM 2018 in Russland zu tun. Über die Vergabe der Fernsehrechte für die Qualifikation zur WM in Brasilien war es zwischen dem nun zurückgetretenen Verbandspräsidenten Bauzá und dem mächtigen Unternehmer Francisco »Paco« Casal zum Streit gekommen. In der Presse war gar von »Krieg« die Rede. Casal, früher selbst Spieler, hatte mit dem Verkauf uruguayischer Fußballer ein Vermögen verdient. Heute gehört ihm der Medienkonzern Tenfield mit dem Fußballkanal Gol TV, der seit Jahren die Spiele der uruguayischen Liga und die Partien der Nationalmannschaft überträgt. Für die Übertragungsrechte der Qualifikation zur WM in Brasilien hatte Bauzá eine Rekordsumme ausgehandelt. Aus dem Umfeld Casals habe es damals Drohungen gegen ihn und seine Familie gegeben, so Bauzá. Die Vorwürfe wurden zwar in den Medien diskutiert, die Angelegenheit wurde aber nie aufgeklärt.
Bauzá wollte nun die Rechte für die kommende WM-Qualifikation noch vor dem Turnier in Brasilien verhandeln. Die »Celeste«, wie die uruguayische Nationalmannschaft wegen ihrer himmelblauen Trikots auch genannt wird, hat sich zuletzt für zwei Weltmeisterschaften in Folge qualifiziert, sie ist amtierender Südamerikameister und rangiert unter den Top Ten der Fifa-Weltrangliste. Der Marktwert kann also kaum noch steigen, er würde allerdings sinken, sollte die Mannschaft in Brasilien schlecht abschneiden, so die Überlegung Bauzás. Vor allem aber wollte er die Aufhebung einer Klausel erreichen, nach der Tenfield das Recht hat, mit dem besten Angebot der Ausschreibung gleichzuziehen. Während Bauzá bei seinem Vorgehen auf die Unterstützung der Großclubs Peñarol und Nacional zählen konnte, brachte Casal eine Reihe kleinerer Clubs auf seine Seite. Nach der Spielabsage der Peñarol-Begegnung begann Nacional jedoch, heftig gegen Bauzá und den Verband zu polemisieren. Bauzá musste nun davon ausgehen, nicht mehr über ausreichend Stimmen für sein Vorhaben zu verfügen. Der Machtkampf im Verband geht damit in eine neue Runde.