Der Umgang mit »Legal Highs« in Europa

Katz und Maus und Ideologie

Ständig werden neue psychoaktive Substanzen entwickelt, die zunächst legal sind. Während in Neuseeland ein liberales Zulassungsrecht gilt, betreibt die Europäische Kommission eine strikte Verbotspolitik. Der Bundesrat will selbst die noch verschärfen.

Die Idee des Drogendesigns, der chemischen Abwandlung von Molekülstrukturen psychoaktiver Substanzen mit dem Ziel, restriktive Kontrollvorschriften zu umgehen, ist so alt wie die Drogenverbote selbst: Bereits kurz nach Inkrafttreten des Verbots von Heroin zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts tauchten andere, durch nationale und internationale Drogengesetze nicht kontrollierte und damit »legale« Morphinester auf. Das Drogendesign zieht sich durch die ganze Drogenverbotsgeschichte und erreicht nach dem Verbot von MDMA (Ecstasy) einen vorläufigen Höhepunkt.
Spätestens mit dem Aufkommen von Spice, einer Mischung aus synthetischen Cannabinoiden und getrockneten Pflanzenteilen, im Jahr 2008 rückten die sogenannten Legal Highs in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Medien und Politik. Das Auftauchen immer neuer psychoaktiver Substanzen, die bis zu ihrer Unterstellung unter die nationalen und internationalen Drogengesetze legal erworben werden können, verdeutlicht einmal mehr, wie kontraproduktiv das bisherige Drogenkontrollsystem ist. Das Verbot der altbekannten Drogen, die Möglichkeit, schnell viel Geld mit neuen Substanzen zu verdienen, das Internet als globale Informations- und Vermarktungsplattform wie auch der Wunsch der Konsumenten nach Substanzen mit neuen Wirkqualitäten sind die Triebkräfte dieser Entwicklung.
Die Politik reagiert mit hektischem Aktionismus. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union entwickelte seinen eigenen, meist wenig effektiven Weg, mit diesem Phänomen umzugehen. In Deutschland versuchen die Behörden, den Handel mit Legal Highs durch das Arzneimittelgesetz zu unterbinden. Doch diese Rechtspraxis lässt der Bundesgerichtshof beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) derzeit auf Konformität mit dem europäischen Arzneimittelbegriff überprüfen. Bleibt der EuGH seiner bisherigen Rechtsprechung treu, bedeutet das das Ende der höchst zweifelhaften Legal-High-Rechtsprechung deutscher Gerichte. Damit stiege der Handlungsdruck auf die Politik weiter. Ende vergangenen Jahres hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine einheitliche Regelung in Europa auf den Weg gebracht.
Das Katz-und-Maus-Spiel von Verboten, neuen Substanzen und neuen Verboten birgt große gesundheitliche Risiken für die Konsumenten. Die klassischen Drogen wurden fast alle als Arzneimittel entwickelt und eingesetzt. Dadurch existieren wissenschaftliche Studien und viel Erfahrung im Hinblick auf die pharmakologische Sicherheit und die toxikologischen Risiken dieser Substanzen. Gesundheitliche Probleme einschließlich des »Drogentods« sind meist Folgen von Verunreinigungen und Fehldosierungen sowie anderer, durch die Illegalität bedingter Konsumumstände und weniger Folgen von substanzinhärenten Gefahren. Anders kann sich das bei den neu designten Substanzen darstellen, die sicherheitspharmakologisch und toxikologisch kaum charakterisiert sind.
Bei legal gehandelten Stoffen zur Anwendung im menschlichen Körper, wie Arzneimitteln und Lebensmittelzusatzstoffen, wird eine solche Bewertung durch Zulassungsverfahren vorgenommen. Neuseeland hat im vergangenen Jahr ein solches Zulassungsverfahren für neue psychoaktive Substanzen eingeführt.

Europa geht leider einen anderen Weg. Erklärtes Ziel der Europäischen Kommission ist es, mit ihrem vorgelegten Verordnungsentwurf die mehr als zwei Millionen EU-Bürger, die »legal« erworbene Pillen oder Pulver konsumieren, mit Hilfe eines schnelleren Einstufungs- und Verbotsverfahrens auch vor sich selbst zu schützen. Die Interessen der pharmazeutisch-chemischen Industrie sollen dabei nach Möglichkeit nicht beschnitten werden. Die Kommission schlägt ein abgestuftes Verfahren vor, wie es im Chemikalienrecht etabliert ist. Dabei werden die psychoaktiven Substanzen auf Grundlage von Risikobewertungen in drei Gruppen eingeteilt: Substanzen, von denen nur geringe Risiken ausgehen, sollen keinen Beschränkung unterliegen; Substanzen, von denen mittlere ­Risiken ausgehen, sollen unverzüglich und dauerhaft vom Verbrauchermarkt genommen werden, und bei Substanzen mit schwerwiegende Risiken soll zusätzlich unter anderem auch die Herstellung verboten werden.
Die Einstufungskriterien sind unscharf formuliert und lassen entsprechend verschiedene Auslegungen zu. Auch fehlt die Zielrichtung eines konstruktiven Zulassungsverfahrens, wie sie Neuseeland vorgegeben hat. Dort müssen die Hersteller beweisen, dass die von ihnen entwickelten psychoaktiven Substanzen gemäß den vorgegebenen Zulassungskriterien als unbedenklich einzustufen sind, bevor sie sie in Umlauf bringen dürfen. Hingegen soll der Vorschlag der Europäischen Kommission keine Auswirkungen auf den EU-Haushalt haben, so dass offen bleibt, auf welcher wissenschaftlichen Datenbasis die Bewertung und Einstufung überhaupt erfolgen soll. Die Beschaffung neuer Informationen durch kostspielige Studien ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Die Europäische Kommission geht damit eindeutig in Richtung einer reinen Verbotspolitik. Anders als im althergebrachten Drogenstrafrecht werden rein konsumbezogene Tatbestände wie Erwerb und Besitz nicht kriminalisiert. Sanktioniert werden vor allem der Handel und gegebenenfalls die Herstellung von Substanzen, von denen mittlere und schwerwiegende Risiken ausgehen. Die Kommission hat jedoch die Möglichkeit offengehalten, Substanzen, die nur »geringe Verletzungen« beziehungsweise »geringfügige körperliche oder geistige Beeinträchtigungen« bewirken, auf dem Verbrauchermarkt zu belassen. Wie dieser dann im Sinne von Verbraucher- und Jugendschutz reguliert werden soll, lässt sie allerdings offen.

Damit wird ein weiterer Mangel des Kommissionsvorschlags deutlich. Er blendet vollständig die Nachfrageseite aus, und damit die Bedürfnisse und Interessen der Konsumenten. Diese sind keine willenlosen Objekte, die hilflos dem Angebot ausgeliefert sind. Vielmehr erzeugt ihr Bedürfnis nach dem Erleben von psychoaktiven Wirkungen die Nachfrage nach solchen Substanzen, die von der Angebotsseite mehr oder weniger gut befriedigt wird. Wie unterschiedlich Konsummotivationen, Konsummuster und die Konsumzusammenhänge für Legal Highs sind, das beschreiben zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien. Der Kommissionsvorschlag verdreht diese komplexen Zusammenhänge, indem er aus dem Ergebnis der unterschiedlichen Bedürfnissen der Konsumenten eine Stoffeigenschaft macht, die als »Diffusionspotential« bezeichnet wird. Wird dieses als hoch eingeschätzt, weil eine Substanz die Bedürfnisse einer größeren Zahl von Konsumenten erfüllt, führt dies zu einem schnellen, zunächst vorübergehenden Verbot dieser Substanz. Am 17. April stimmte das Europa-Parlament dem Kommissionsvorschlag zu.

Doch auch das kleine Türchen für Substanzen mit »geringem Risiko« soll jetzt noch zugenagelt werden. Der Deutsche Bundesrat hat sich in der Sitzung am 14. März gegen eine Zuordnung von psychoaktiven Substanzen zu der Risikostufe »gering« ausgesprochen, »da in der Bevölkerung der fälschliche Eindruck erweckt« werde, »der Konsum von neuen psychoaktiven Substanzen sei in Abhängigkeit von der Risikobewertung sogar unbedenklich«. Im Klartext heißt das, dass eine Substanz auch dann verboten werden soll, wenn die wissenschaftliche Risikobewertung ergibt, dass mit deren Konsum kein nennenswertes Risiko einhergeht. Das Verbot würde dann alleine durch die Tatsache legitimiert, dass die Substanz psychoaktiv ist. Günter Amendt hatte recht. Für ihn war Abstinenz als gesamtgesellschaftliche Forderung weder durchsetzbar noch akzeptabel, sondern vielmehr Ausdruck eines totalitären Denkens.