Talmi

Keinhornwald

Im Mittelalter gab es den Trend schon einmal: Einhörner, Einhörner und noch mal Einhörner. Auf Stadtwappen und Wandteppichen, in den Kirchen und Klöstern, in Lyrik und Minnesang, überall hüpften die Fabelwesen herum und symbolisierten auf Deibel komm raus. Vor allem galten sie als Allegorie der Unschuld, was angesichts ihres Drangs, den Kopf in den Schoß schöner Jungfrauen zu ­legen, eher als Frivolität anmutet – aber im Mittelalter war die Markenkommunikation noch schlecht zu steuern. Irgendwann hatten die Leute die Nase voll davon, ständig Einhorndung von der Straße zu feudeln, und engagierten ein paar findige Jägersburschen, die die Tiere zusammentrieben, eine große Flinte nahmen und die Schädlinge vom Angesicht der Erde tilgten.
Der Frieden hielt jedoch nicht lange, denn nun sind sie wieder da, und sie sind überall: Sie springen durch Computerspiele, Telefonanbieter wählen sie sich zum Maskottchen, Scherzartikelhersteller verkaufen Einhornfleisch in Dosen und in Internetforen sind Einhörner, beflügelt, glitzernd oder kotzend, Symbol für eine vage definierte »Awesomeness« und hedonistisch grundiertes Dagegensein. War das »unsichtbare rosa Einhorn« noch ein originelles atheistisches Lehrbeispiel, will, wer sich heute damit schmückt, vor allem zeigen, dass er die Kultur der Netzjugend verstanden hat und für sich auszumünzen bereit ist, und zwar so einfallslos wie möglich – sich das bekannteste und überdeterminierteste Symbol für Phantasie zu suchen, zeugt schon davon, dass man keine mehr hat. Was wir brauchen, ist ein König Haggard, der schon im Film »Das letzte Einhorn« konsequent im Märchenwald aufräumte. Ihm wollen wir es gleichtun und endlich Schluss machen mit dem ganzen oberfaulen Einhornzauberkitsch.