Der NPD-Aufmarsch in Rostock am 1. Mai

Rostocks Angst vor der Antifa

In Rostock demonstrierten am 1. Mai 2 000 Menschen gegen einen Aufmarsch der NPD, obwohl die Stadt das mit Ver­boten und Auflagen verhindern wollte.

Am Abend waren sich alle einig: Der Widerstand gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Rostock war ein voller Erfolg. Auch deshalb, weil es den Anschein gemacht hatte, die Neonazis um den NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit, der den Aufmarsch angemeldet hatte, könnten sich auf die tatkräftige Mithilfe von Stadtverwaltung und Polizei verlassen.
2 000 Menschen sorgten am »Tag der Arbeit« dafür, dass etwa 350 Neonazis nicht in den für ihren Aufmarsch vorgesehenen Stadtteil gelangen konnten. Auch die Ausweichroute in Dierkow, dem Stadtteil, in dem 2004 Mehmet Turgut von Mitgliedern des NSU ermordet wurde, blockierten immer wieder kleinere Gruppen von Gegendemonstranten. Am frühen Abend mussten die aus ganz Norddeutschland angereisten Neonazis mit einem Sonderzug aus der Bredouille geholt und zum Hauptbahnhof zurückgebracht werden.
Dass der Tag so erfolgreich verlaufen würde, war zuvor nicht abzusehen gewesen. Polizei und Verwaltung hatten alles daran gesetzt, den Aufmarsch möglichst störungsfrei durchzusetzen. Ursprünglich hatte Petereit die Demonstration in den Stadtteilen Dierkow und Toitenwinkel angemeldet. Dass Neonazis im zehnten Jahr nach dem Mord an Mehmet Turgut in der Nähe des Tatortes aufmarschieren wollten – noch dazu organisiert von Petereit, der selbst im Verdacht steht, Kontakte zum NSU gehabt zu haben – wurde als ungeheure Provokation aufgefasst. Die Gegner gründeten zwei Bündnisse und schnell war eine Vielzahl an Gegenkundgebungen im Bereich des geplanten Naziaufmarschs angemeldet. Daraufhin wurde die NPD-Veranstaltung, laut Polizei »einvernehmlich«, in den Rostocker Nordosten, nach Groß Klein, verlegt. Die NPD nennt dagegen die Stadtverwaltung als Veranlasserin der Verlegung. Der Grund war die im Stadtteil Groß Klein leichter zu organisierende An- und Abreise der Neonazis, doch auch die vielen geplanten Gegenkundgebungen in Dierkow dürften ihren Teil dazu beigetragen haben.

In Groß Klein wollte man es offenbar übersichtlicher haben. Die Stadt belegte sämtliche Gegenveranstaltungen im Stadtteil mit Auflagen, die es in sich hatten. Im Grunde besagten sie, dass Proteste nicht im Stadtteil stattfinden dürften. Die Bündnisse »Rostock nazifrei«, ein Zusammenschluss aus Vereinen und Verbänden von Antifagruppen über den DGB und Parteijugendorganisationen bis zum VVN-BdA, und »Nazis stoppen!«, ein landesweites Bündnis von Antifa- und Antiragruppen, sprachen von »faktischen Verboten«. Geplant waren unter anderen eine Mahnwache, zwei Demonstrationen und ein Straßenfest. Erst in der Nacht zum 1. Mai konnte die Genehmigung einer Demonstration als einziger Veranstaltung vor dem Greifswalder Oberverwaltungsgericht (OVG) eingeklagt werden. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht sämtliche Auflagen und Verbote bestätigt.
Die Gerichte stützten sich bei ihrer Entscheidung wie üblich auch auf eine Gefahrenprognose der Polizei. Der Leiter der Rostocker Polizeiinspektion, Michael Ebert, zog darin zum Beweis der Gewalttätigkeit der linken Szene Rostocks die Auseinandersetzungen um den Naziladen »ECC/Dickkoepp« vor sieben Jahren heran. Auch der Protest gegen eine NPD-Kundgebung im vorigen Jahr, bei der Obst in Richtung der Neonazis geflogen war, sowie Brandstiftungen an Privatautos von Neonazis führte er an. Mit der Aufzählung sollte begründet werden, dass es aus den Gegenveranstaltungen heraus zu Blockadeaktionen und Angriffen auf Polizeibeamte kommen könne und die Auflagen beziehungsweise Verbote somit notwendig seien. Ein »gesetzeskonformes Verhalten« der Gegendemonstranten sei »nicht zu erwarten«. Dem NPD-Politiker Petereit wurde dagegen ein Interesse an einem »rechtmäßigen Verlauf der Versammlung« bescheinigt. Nur bei »Provokation von links« sei zu erwarten, dass dieser sich polizeilichen Anweisungen widersetze.

Am Ende hatte die Polizei mit dieser Sichtweise Erfolg. Die Gerichte sahen keinen Grund, die Darstellung anzuzweifeln. Unter die damit verbotenen Versammlungen fiel auch ein Straßenfest des DGB. Im Beschluss des OVG heißt es, es sei mit Blockadeaktionen aus dem Besucherumfeld des Festes zu rechnen. Zuvor war das Fest bereits vom Amt für Stadtgrün, Naturschutz und Landschaftspflege abgelehnt worden, weil eine Soll-Bestimmung zur Antragsfrist nicht eingehalten worden war. Diese besagt, dass ein Antrag mindestens 14 Tage vor der Nutzung gestellt werden solle. Dass dies in diesem Fall gar nicht möglich war, weil der NPD-Aufzug erst sechs Tage vor dem 1. Mai dorthin verlegt worden war, störte in der Verwaltung offenbar niemanden. Erst Rostocks Bausenator Holger Matthäus (Linkspartei) kassierte den Bescheid. »Ziel von Verwaltung und Polizei war es von Anfang an, Protest an der Route der Nazis zu verhindern. Sie haben so rassistische Hetze aktiv ermöglicht. Auch die Verlegung von Dierkow ausgerechnet nach Groß Klein, in Sichtweite des Sonnenblumenhauses, zeugt bestenfalls von fehlender Sensibilität bei den Verantwortlichen«, kommentierte der Sprecher des Bündnisses »Nazis stoppen!«, Konrad Ohl, am Tag nach der Demonstration.

An der Vorgehensweise der Verwaltung lässt sich ablesen, wie in Rostock noch immer mit Protest gegen Neonazis umgegangen wird. Dieser wird in erster Linie als störend empfunden. Die höchsten Güter scheinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sein und so werden dem demokratischen Protest mit verwaltungsrechtlichen Begründungen vor allem Steine in den Weg gelegt. Angesichts der jüngeren Rostocker Geschichte mit dem Pogrom von Lichtenhagen 1992 und dem NSU-Mord an Turgut sollte jedoch eigentlich Kooperationsbereitschaft bei der städtischen Verwaltung zu erwarten sein, argumentieren beide Bündnisse.Dass der Tag dennoch erfolgreich verlief, ist vor allem der Entschlossenheit der Menschen auf der Straße zu verdanken. Als nach einem Brand auf der S-Bahnstrecke zeitweise keine Züge fuhren, der NPD-Aufmarsch jedoch schon nach Dierkow verlegt worden war, machten sich mehrere Hundert Menschen zu Fuß von der S-Bahn auf den knapp fünf Kilometer langen Weg zurück in die Innenstadt. Die Teilnehmer einer Fahrraddemonstration konnten durch einen Sprint noch vor den Nazis die Innenstadt erreichen und kurzzeitig die Straßenbahn blockieren, die die Nazis nach Dierkow bringen sollte. Einigen gelang es sogar, in das polizeiliche Sperrgebiet Dierkow vorzudringen und dort den Neonaziaufmarsch immer wieder kurzzeitig aufzuhalten. Schließlich brach Petereit die Demonstration auf der völlig unbefriedigenden Route ab.
Nach diesem Erfolg der friedlichen Proteste hat die Rostocker Zivilgesellschaft nun alle Argumente auf ihrer Seite, um das Verhalten der Verwaltung und der Polizei kritisch aufzuarbeiten. Ohl kündigte an: »Wir werden gemeinsam daran arbeiten, die politischen Rahmenbedingungen für Proteste gegen Nazis zu verbessern.«