Der Autor bezweifelt, dass in der Ukraine demnächst ein Präsident gewählt wird

Wer bleibt Millionär?

In der Ukraine sollen am 25. Mai Präsidentschaftswahlen stattfinden. Doch angesichts der eskalierenden Kämpfe zwischen pro­ukrainischen und prorussischen Kräften im Land ist fraglich, ob das gelingt.

Knapp 35 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind aufgerufen, am 25. Mai einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin unter noch 21 Kandidaten zu wählen. Bereits zuvor könnten sich jedoch zwei weitere Oblaste nach dem Vorbild der Krim in einem Pseudoreferendum am 11. Mai von Kiew lossagen. Ob die Präsidentschaftswahlen angesichts der Eskalation überhaupt abgehalten werden können, ist unklar. Nach den Dutzenden Toten bei den Zusammenstößen am 2. Mai wird ein Bürgerkrieg und damit das von Russland angestrebte Scheitern der Wahlen immer wahrscheinlicher. Charkow, die mit 1,4 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt der Ukraine, und Odessa im Süden sind in Wladimir Putins Plan eines Neurussland wohl die beiden nächsten Ziele. Die ukrainische Zentralregierung versucht, die Kontrolle in Slawjansk und den anderen Gebieten zurückzuerlangen. Bisher haben die Separatisten jedenfalls keine Mehrheit in der Bevölkerung. Umfragen sprachen von allenfalls 30 bis 35 Prozent Zustimmung für die Separatisten in den Gebieten Donezk und Lugansk.

Der Maidan-Protest stand eigentlich für eine Erneuerung der ukrainischen Politik. Doch nun liegen Umfragen zufolge wieder zwei alteingesessene Politiker vorn: Pjotr Poroschenko und Julia Timoschenko. Vertreter des Maidan haben zumindest nach diesen Umfragen keinerlei Chancen, in die zweite Runde zu gelangen – weder der Rechtsextreme Dmitri Jarosch vom Rechten Sektor, noch die Ärztin Olga Bogomolez und Sorjan Schkirjak vom sogenannten Automaidan. Für sie geht es eher um ein Schaulaufen für die im Herbst erwarteten Parlamentswahlen. Die als Vertreter der Linken antretenden Kommunisten und Sozialisten sind allenfalls etwas für Stalin-Fans.
Hingegen sind die Aussichten des Milliardärs Pjotr Poroschenko nicht schlecht. Dem Besitzer des größten Süßwarenkonzerns der Ukraine, Roshen, werden in Umfragen bereits bis zu 48 Prozent Zustimmung vorhergesagt, sein Stab strebt einen Sieg bereits im ersten Wahlgang an. 50 Prozent plus eine Stimme sind dafür erforderlich. Abgeschlagen liegt die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko bei gerade einmal 14 Prozent. Chancen hat die »Gasprinzessin« genannte Timoschenko jedoch traditionell in den von Umfragen nicht erfassten ländlichen Regionen. Allen anderen Kandidaten werden nur minimale Chancen eingeräumt, in die zweite Runde einzuziehen.

Die 53jährige Timoschenko hat sich ihre Rückkehr in die Politik sicherlich anders vorgestellt. Nach zweieinhalb Jahren Gefängnis wollte sie wohl als strahlende Retterin der Nation von vor Glück weinenden Menschen zur Präsidentin gewählt werden. Doch zuerst wurde sie vom Maidan abgelehnt, dann folgten niederschmetternde Umfragewerte. Der populäre stellvertretende Chefredakteur der Ukrainskaja Prawda, Sergej Lescht­schen­ko, schrieb nach ihrer Ankündigung, zu kandidieren: »Julia, es reicht«, und drohte, sie in Veröffentlichungen nicht zu schonen. Ihre katastrophale Wirtschaftsbilanz und ihr autokratischer Regierungsstil während der zwei Amtszeiten als Ministerpräsidentin sind nicht vergessen. Timoschenko ist bei vielen ebenso verhasst wie der aus dem Amt gejagte Viktor Janukowitsch. Das trostlose Bild, das die von ihrer Vaterlandspartei und den mit ihr verbündeten Rechtsextremen von Swoboda gebildete Regierung angesichts der separatistischen Gefahr abgibt, tut ein Übriges. Auch wenn Timoschenko sich regierungsfern gibt, nimmt ihr kaum jemand ihre Beteuerungen ab, keinen Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Parteifreunde, Interimspräsident Alexander Turt­schinow und Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, zu haben. Demonstrativ übt Timoschenko sich in Ausfällen gegen Putin, der Mitte April im russischen Staatsfernsehen noch sagte, er habe seinerzeit »gute geschäftliche Beziehungen« zu ihr gehabt. Gleichzeitig versucht sie mit mäßigem Erfolg, ihren Gegner Poroschenko als Mann mit Interessen in und Abhängigkeiten von Russland darzustellen.
Die Vorwürfe prallen an ihm bisher ab, da sein Konzern vor allem unter den Attacken der russischen Hygieneaufsicht – Putins bisheriger Allzweckwaffe gegen die unbotmäßige Ukraine – zu leiden hatte. Im vergangenen August verhängte diese ein Importverbot für seine Süßwaren. Seine Schokoladenfabrik in Lipezk, knapp 400 Kilometer südlich von Moskau, erfreut sich gerade erhöhter Aufmerksamkeit seitens der Steuerbehörden. Dennoch signalisierte er seine Bereitschaft, sich »um des Friedens Willen« mit Russland zu verhandeln. Timoschenkos Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Sie bezeichnete bi­laterale Verhandlungen mit Russland, also ohne Teilnahme der EU und der USA, als unannehmbar. Ihre scheinbare Unerbittlichkeit gegenüber Russland geht dabei jedoch mit Verhandlungsbereitschaft mit den prorussischen Aktivisten in Donezk und Lugansk einher. Am 22. April ließ sie verbreiten, sie habe die Unterzeichnung eines Memorandums mit den Besetzern des Gebäudes der Gebietsverwaltung in Donezk in die Wege geleitet. Tags darauf wurden die Besetzer des Geheimdienstgebäudes in Lugansk mit ihrer Initiative beglückt. Allein, die Antworten blieben aus. Sie blitzte ebenso ab wie die auf die russischsprachigen Wähler setzenden Vertreter der im Zerfall befindlichen ehemals regierenden Partei der Regionen von Janukowitsch.

Poroschenko hingegen gibt sich im Hinblick auf die prorussischen Aktivisten unnachgiebig. »Sie verstehen weder Ukrainisch noch Russisch. Die einzige Sprache, die sie verstehen, ist die der Gewalt«, betont er immer wieder. Einen Vorgeschmack auf anstehende Konflikte bekam er am 24. April in Lugansk. Demonstranten blockierten seinen Weg zuerst im Flughafengebäude, sein Auftritt in der Universität wurde durch einen Stromausfall behindert.
Die Lage eskalierte weiter. Am 28. April wurde auf Gennadij Kernes, den Bürgermeister von Charkow, ein Attentat verübt, das er nur knapp überlebte. Nachdem die Zentralregierung die Kontrolle über die beiden östlichsten Gebiete zu großen Teilen bereits verloren hat, könnte Charkow ein weiterer Brennpunkt werden. Kernes, der Ende Februar noch mit dem Separatismus liebäugelte, galt zuletzt eher als stabilisierender Faktor in der Stadt. Ukrainische Beobachter sehen bei den Schüssen auf Kernes einhellig »die Hand Moskaus« oder zumindest die von separatistischen Kreisen am Werk.
Ein ehemaliger Berater Wladimir Putins, Andrej Illarionow, empfahl Poroschenko, seinen Personenschutz zu verstärken. Ein Signal war das Attentat jedenfalls auch für den Gouverneur von Dnjepropetrowsk, Igor Kolomoiski. Der Milliardär, dem großer Einfluss auf Kernes nachgesagt wird, vermochte es innerhalb weniger Tage nach seiner Ernennung, die Lage in seiner Oblast zu beruhigen.
Auffällig schnell ließ auch der reichste Mann der Ukraine, Renat Achmetow, zwei Tage nach dem Attentat auf Kernes verbreiten, er sei nicht bereit, seinen Konzern zu verkaufen, und werde weiter in Donezk bleiben. »Ich werde alles dafür tun, was in meinen Kräften steht, damit der Donbass und die Ukraine zusammenbleiben«, ließ er über den Pressedienst seines Konzerns System Capital Management verbreiten, ohne Putin oder Russland zu erwähnen. Unklar ist aber, wen er wirklich unterstützt. Die Gerüchte reißen nicht ab, dass sowohl er als auch die Überreste der Partei der Regionen zumindest teilweise die Separatisten unterstützen.
Der ehemalige Finanzier Janukowitschs, Dmitri Firtasch, hat seine Wahl hingegen schon getroffen. Der in Wien unter Hausarrest stehende Milliardär empfing Poroschenko Ende März zusammen mit dem ehemaligen Boxer Vitali Klitschko. Kurz darauf stellte Klitschko seine Präsidentschaftsambitionen zurück und will nun versuchen, am 25. Mai im dritten Anlauf Bürgermeister der Hauptstadt Kiew zu werden. Timoschenko hingegen lehnte es offenbar ab, Ministerpräsidentin unter Poroschenko zu werden. Der Posten wurde für den Rückzug ihrer Kandidatur angeboten, wie ein Vertrauter Poroschenkos, der ehemalige Innenminister Juri Luzenko, Journalisten am 1. Mai sagte. Die demokratischen Kräfte sollten sich zusammentun, »das ist für das Überleben des ukrainischen Staates notwendig«. Timoschenko und Firtasch sind seit Jahren verfeindet, die 2009 zwischen Putin und Timoschenko ausgehandelten Gasverträge schlossen ihn aus dem lukrativen Gaszwischenhandel aus. Seine Revanche begann mit dem Wahlsieg Janukowitschs. Eben wegen dieser Gasverträge kam Timoschenko ins Gefängnis.
Verwundert sehen sich einige Maidan-Aktivisten nun vor einer ähnlichen Wahl wie 2010. Der Kandidat, der von Firtasch unterstützt wird, gegen Timoschenko, der beharrlich Verbindungen zum Kreml nachgesagt werden. Nur steht bei den politischen Spielen in Kiew diesmal mehr auf dem Spiel: der Fortbestand des Landes.