Hartz IV und Selbständigkeit

Abschied von der Ich-AG

Hartz-IV-Bezieher, die sich selbständig machen wollen, werden von den Jobcentern immer seltener unterstützt.

»Viele gute Gründe sprechen für eine berufliche Selbstständigkeit: Sie können Ihr eigener Chef sein und eigenverantwortlich entscheiden.« Mit dieser Verheißung eröffnete die Handelskammer Hamburg am 17. März ihren 229. Infotag zur Existenzgründung. Tatsächlich ist es weit her mit dem »eigenen Chef«, wenn man sich aus der Arbeitslosigkeit heraus entscheidet, selbständig zu werden. Wie bei Frank Kopperschläger, der Wahlberliner gehört zu denjenigen, die diesen Schritt wagen. Oder vielmehr wagen wollten. Kopperschläger arbeitete als Graphikdesigner für einen deutschen Verlag im Ausland, bis er im Jahr 2000 schwer erkrankte. Nach Jahren beruflicher Rehabilitation und einer endlosen Schleife meist wenig sinnvoller Maßnahmen, in die die Arbeitsagentur ihn steckte, reifte der Plan zur Existenzgründung. Frank gehört mittlerweile zu einer schwindenden Minderheit innerhalb des »Aktivierungssystems« für Bezieher von Arbeitslosengeld II. Besser gesagt: Er gehörte dazu.

Unter der Bezeichnung »Einstiegsgeld« findet sich ein Bündel von Maßnahmen, die Beziehern von Hartz IV entweder durch ein Kombi-Lohnmodell den Einstieg in ein schlecht bezahltes, aber sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis oder den Gang in die Selbstständigkeit ermöglichen können. Wohlgemerkt können, denn deren Gewährung ist, wie es bei den meisten Entscheidungen der Jobcenter der Fall ist, streng abhängig vom Wohlwollen der persönlichen Arbeitsvermittler. Vor und während der Wirtschaftskrise waren die Vermittler freigiebig: Nach Zahlen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Juni 2013 wurden 2006 insgesamt etwa 33 000, drei Jahre später immerhin noch gut 18 000 Personen mit diesem Instrumentarium gefördert. Im Zusammenspiel mit allgemeinen Kürzungen im Aktivierungsbereich für Hartz IV und durch verschärfte Förderbedingungen auch für Gründungswillige gehen die Zahlen seitdem stark zurück.

Derzeit verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit insgesamt nur noch etwa 9 000 Personen, die eine entsprechende Förderung erhalten, darunter befinden sich kümmerliche knapp 3 000 Existenzgründer. Kopperschläger sollte nicht darunter sein. Dabei hatte er sein Konzept gründlich ausgearbeitet, sowohl berufliche Qualifikationen als auch die obligatorische »Tragfähigkeitsbescheinigung« einer vom Jobcenter Kreuzberg gut vergüteten privaten Unternehmensberatungsgesellschaft hatte er ohne Probleme in der Tasche.
Die Absicht seines Arbeitsvermittlers, ihn (wenn überhaupt) zum Wachmann umschulen zu lassen, konterte er mit seinem Konzept eines webbasierten Satireportals, auf dem von ihm selbst gestaltete Shirts, Aufkleber und weitere Fanartikel käuflich zu erwerben gewesen wären. Die Kalkulation stand, und dass Kopperschläger aus einem professionellen Metier stammt, scheint sowohl im Bereich des Graphikdesigns als auch der Satire unstrittig. Immerhin wurde sein Blog »kopperschlaeger.net« im Jahre 2012 für den Alternativen Medienpreis nominiert, der unter anderem durch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Linke Medienakademie (Lima) ausgelobt wird. Drei Monate dauerte die Vorbereitungsphase. »Gegen Ende der Maßnahme teilte man mir plötzlich mit, dass das Jobcenter die Förderungsbedingungen verschärft habe und nunmehr nur noch Gründungen gefördert würden, die nach spätestens neun Monaten einen Mindestgewinn nach Steuern von 1 500 Euro pro Monat erzielen. Damit war mein Konzept, welches einen Tag zuvor noch ›tragfähig‹ war, plötzlich und unerwartet nicht mehr ›förderungswürdig‹«, sagt Kopperschläger im Gespräch mit der Jungle World.

Die vorher von Kopperschläger selbst gesetzte und allseits befürwortete Zielmarke, innerhalb des zweiten Geschäftsjahres einen monatlichen Gewinn von etwa 1 000 Euro zu erwirtschaften, war damit vollständig hinfällig. Darlehen oder gar Zuschüsse für eine notwendige Geschäftsausstattung waren von vornherein nicht vorgesehen.
»Bedenkt man«, meint Kopperschläger, »dass die meisten Langzeiterwerbslosen weder über große Eigenmittel verfügen noch sonderlich kreditwürdig sein dürften, kann man hier wohl zu Recht von einem ›Existenzverhinderungsprogramm‹ sprechen.« Dies illustriert nicht nur das Problem von Hartz IV, bei dem einander widersprechende Maßnahmen oder Anordnungen zuungunsten der Betroffenen eingeleitet werden. Auch sind viele Arbeitsagenturen anscheinend auf der Grundlage von Vorurteilen tätig, wie eine Geschäftsanweisung des Düsseldorfer Jobcenters zum Umgang mit Einstiegsgeldern (ESG) aus dem August 2013 belegt: »Regelmäßig ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ESG ganz oder teilweise zur Schuldentilgung eingesetzt wird und somit der Zweck der Leistung nicht erfüllbar ist.«
Auch ohne Investitionsmittel fällt die Förderung eher bescheiden aus. Das sogenannte Einstiegsgeld ist regelmäßig auf die Höhe eines halben monatlichen Regelsatzes begrenzt – das wären im April knapp 195 Euro gewesen. Dass der Bundesagentur für Arbeit die Aufstocker ein Dorn im Auge seien, wie Kopperschläger es vermutet, scheint grotesk. Denn zumindest die 130 000 selbständigen Aufstocker machen mit drei Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher einen sehr geringen Anteil aus. »In meinem erlernten Beruf im Angestelltenverhältnis noch einmal Fuß zu fassen, ist auch nach Einschätzung des Jobcenters inzwischen eher unwahrscheinlich«, lautet Kopperschlägers so nüchternes wie ernüchterndes Fazit.