No future

Wildes Geheule, ekstatischer Tanz und auf dem Höhepunkt der Veranstaltung durchbohrt man sich die Wangen mit einem Metallnagel. Wenn jemand Anspruch auf die Bezeichnung »Punks des Islam« erheben kann, dann sind es wohl die Sufis des Rifa’i-Ordens. Die meisten Sufi-Orden sind zwar reaktionäre Männerbünde, manche bewahren aber in der islamischen Welt weitgehend verdrängte Traditionen und einige brechen sogar mit gängigen Regeln wie der Geschlechtertrennung. Tanz und Poesie waren einst religiöse Lebensformen, die drögen Rechtsgelehrten und misstrauischen Herrschern allerdings schon immer als verdächtig galten. Sufis waren oft Außenseiter, nicht selten wurden sie verfolgt. Derzeit gelten sie im Iran als Staatsfeinde, in einigen anderen islamischen Staaten werden sie diskriminiert. Für Menschen, die wirklich auf der Suche nach Gott sind und ein wenig rebellieren wollen, müsste diese spirituelle Dissidenz eigentlich reizvoll sein: Als Neo-Sufi oder muslimischer Hippie in wallenden Gewändern durch die Straßen zu tanzen und vielleicht noch Papa und den Sachbearbeiter im Jobcenter mit der Verweigerung gängiger Leistungsnormen zu schockieren.
Das »islamische Erwachen« im Westen aber hat einen anderen Charakter. Es ist bestenfalls gemäßigt konservativ, oft reaktionär, bisweilen rechtsextrem, immer aber eine konformistische Rebellion. Die Anhänger des »Islamischen Staats« sind nicht, wie Jörn Thielmann vom Zentrum für Islam und Recht der Universität Erlangen meint, »Punks des Islam«. Dass sie sich als »Versager« fühlen, wie der Berliner Psychologe Kazım Erdoğan konstatiert, kommt der Sache schon näher. Dieses Urteil teilen viele Medien, die ansonsten prekäre Arbeitsverhältnisse als Aufstiegschance preisen. Wer wie Philip B. als Pizzabote arbeitet, ist eben nicht der zukünftige Besitzer einer hübschen Villa nebst Daimler. Aber muss er sich deshalb als »Versager« fühlen? Statt sich wie Philip B. im Irak in die Luft zu sprengen, könnte man ja ein wenig Klassen- und Selbstbewusstsein entwickeln. Immerhin bringt ein Pizzabote hungrigen Menschen etwas zu essen, eine ehrenhaftere Tätigkeit als das Enthaupten, aber auch als die Entlassung von Angestellten zwecks Profitmaximierung und manch anderer, besser bezahlte Job. Das traditionelle Klassenbewusstsein war nicht frei von patriarchaler Überheblichkeit, das Ziel war jedoch immer ein besseres Leben für alle. Mittlerweile aber ist es fast selbstverständlich geworden, dass man sich seiner Armut zu schämen hat. Wer persönliches »Versagen« in seinem Männlichkeitswahn nicht erträgt, kann da in Versuchung geraten, sich mit Gewalt das zu beschaffen, was ihm seiner Ansicht nach zusteht. Dass dazu auch Sklavinnen gehören, sollte eigentlich genügen, um von verharmlosenden Vergleichen Abstand zu nehmen, wenngleich zu hoffen ist, dass eine Punk-Maxime für die Jihadisten gelten wird: No future for you!