Auszug aus: »Türzwerge schlägt man nicht«

»Yep thas grt x n«

Ralf Sotscheck studiert das irische und schottische Brauchtum.

Irischer Alcoholiday

Jedes Jahr im September sieht die Grüne Insel schwarz: Es ist »Arthur’s Day«. Im September 1759 hatte Arthur Guinness nämlich den Pachtvertrag über 9 000 Jahre für das Grundstück an der Liffey in Dublin unterschrieben, wo die Brauerei steht. Deshalb rief Guinness 2009 zum 250jährigen Jubiläum erstmals den »Arthur’s Day« aus. Weil sich das überaus gelohnt hat, wie die vollgekotzten Bürgersteige am nächsten Morgen bewiesen, müssen die Iren nun jedes Jahr feiern. An jenem Tag finden rund 500 Veranstaltungen mit tausend Bands statt.
Irgendwie hat man den Iren eingeredet, dass das schwarze Gesöff eine irische Institution sei. Staatsgästen wie Barack Obama oder der englischen Queen wird ein Glas davon in die Hand gedrückt, und die Nation freut sich wie ein Schnitzel, wenn sie einen Schluck davon trinken. Dabei gehören die Brauerei sowie die 3 000 führenden Schnapsmarken in der Welt seit 1997 zu dem britischen Getränkemulti Diageo. Der erfundene Name setzt sich aus dem lateinischen Wort für den Tag und dem griechischen Wort für die Welt zusammen. Damit will man suggerieren, dass der Konzern jeden Tag und überall Freude verbreitet.
Und Leberzirrhose, meint der Sänger Christy Moore, der eine echte irische Institution ist. In seinem Lied »Arthur’s Day«, das an eben diesem Tag 2013 erschienen ist, beklagt er, dass dieser »Alcoholiday« von Werbefuzzis erdacht worden sei, während Ärzte und Krankenschwestern in den Krankenhäusern an dem Tag Überstunden schieben müssen. Aber es hat sich gelohnt, 2013 stellten sie einen neuen Weltrekord auf: Am »Arthur’s Day« pumpten sie innerhalb von 24 Stunden 921 Mägen aus. Das berichtete das Nachrichtenportal Waterford Whispers. Der bisherige Rekord vom St. Patrick’s Day 2012 stand bei 907 Mägen. Der Bier-Konzern bestätigte, dass die neue Bestmarke ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werde. Die Krankenschwestern waren überglücklich. Ihre Sprecherin Siobhán Murphy sagte: »Als wir schon um 19 Uhr die 300-Mägen-Grenze durchbrachen, wussten wir, dass wir es schaffen würden.« Diageo erklärte, man sei stolz auf die Iren. Als kleine Geste der Anerkennung will man die zehn Pubs, die am »Arthur’s Day« den höchsten Umsatz verzeichneten, auf Firmenkosten mit marmornen Kotzbecken ausrüsten.
Darüber hinaus, so prahlte der Konzern, sei der »Arthur’s Day« ein »einzigartiges Musikereignis«, bei dem irische Nachwuchskünstler eine einmalige Chance bekämen. Die Manic Street Preachers zum Beispiel? Die stammen zwar aus Wales und sind schon vor 27 Jahren gegründet worden, aber wer ein Grundstück für 9 000 Jahre pachtet, denkt wohl in anderen Zeitdimensionen.
Ein Politiker hat sogar verlangt, den »Arthur’s Day« zu einem nationalen Feiertag zu erklären. Aber muss es denn bei einem »Arthur’s Day« im Jahr bleiben? Es gibt doch so viel zu feiern im Hause Guinness. Leider ist Arthurs Geburtstag nicht bekannt, nicht mal das Geburtsjahr. Die Brauerei behauptet zwar, er sei am 28. September 1725 auf die Welt gekommen, doch das stimmt nicht mit seinem Grabstein überein. Aber man könnte die Geburtstage seiner Kinder mit »Arthur’s Children’s Day« begehen, denn deren Daten sind bekannt. Dann kämen die Iren gar nicht mehr aus dem Feiern heraus. Guinness und seine Frau Olivia Whitmore hatten 21 Kinder.
Der von der Schriftstellerin Dorothy L. Sayers erfundene Werbeslogan »Guinness is good for you« gilt übrigens nur, wenn das irische Nationalgetränk nicht in Irland gebraut ist. Das Wasser für den Brauprozess stamme aus den Wicklow-Bergen südlich von Dublin, heißt es in der Guinness-Werbung. Dabei stellt man sich grüne Hügel vor, in denen Quellen mit kristallklarem Wasser entspringen. Daneben stehen die Nachfolger des Firmengründers Arthur Guinness mit Kristallkrügen und fangen das köstliche Nass auf, um es dann mit geröstetem Malz und Gerste zu veredeln.
In Wirklichkeit kommt das Wasser aus dem öffentlichen Poulaphouca-Trinkwasser-Reservoir in Wicklow. Und das wird mit Hexafluoridokieselsäure versetzt, weil es ein irisches Gesetz von 1964 so vorschreibt. Die damalige Regierung meinte, durch die Zugabe von Fluor würden die Zähne der Kinder gestärkt. Das Fluor-Niveau von irischem Guinness ist sechs Mal so hoch wie bei dem gleichen Gesöff aus der Londoner Brauerei, wo dem Trinkwasser weniger Fluor beigemischt wird.
Hexafluoridokieselsäure ist ein giftiges Abfallprodukt der Düngemittelindustrie. Die irische Regierung – also der Steuerzahler – kauft es in Spanien teuer ein und mischt es als vorbeugendes Medikament dem Trinkwasser bei. Eigentlich wäre dafür eine Lizenz erforderlich. Gäbe es Guinness dann auf Rezept? Die Brauerei kann man dafür freilich nicht verantwortlich machen. Die Hexafluoridokieselsäure ist in allen irischen Lebensmitteln enthalten, die bei der Herstellung irisches Trinkwasser verwenden. Eigentlich müssten diese Produkte für den Export mit Warnhinweisen versehen werden, denn in den restlichen EU-Ländern ist die Zwangsfluoridierung verboten.
In Irland sind sämtliche Initiativen, das Zeug aus dem Trinkwasser zu verbannen, bisher gescheitert. Schon in den sechziger Jahren ging Gladys Ryan, eine Hausfrau mit fünf Kindern, gegen die Verabschiedung des Gesetzes gerichtlich vor – ein unerhörter Vorgang für die damalige Zeit. Die Richter fanden das so absurd, dass sie die Klage immer wieder abwiesen. Am Ende saß Ryan auf 230 000 Pfund Gerichtskosten. Zum Vergleich: Ein anständiges Einfamilienhaus kostete damals 2 500 Pfund. Der Staat verzichtete auf die Zahlung. Ryan starb 2012 im Alter von 91 Jahren. Sie hatte stets öffentliches Trinkwasser gemieden.
Neuere Untersuchungen bestätigen Ryans Vermutung, dass die erzwungene Medikamentierung den Intelligenzquotienten senken kann. Das erklärt, warum sich die Regierung beharrlich weigert, das Gesetz aufzuheben. Es geht um die Verdummung der Bevölkerung, damit sie nicht merkt, wie sie von den Politikern über den Tisch gezogen wird. Und wer wegen der Austeritätspolitik aus Verzweiflung in den Alkohol flüchtet, wird noch dümmer. Bisher hatte man angenommen, dass der Alkohol daran schuld sei. Im Leinster House, dem irischen Parlamentsgebäude, sind übrigens sämtliche Wasserhähne mit Filtern gegen Hexafluoridokieselsäure ausgerüstet.
Manchmal kommt aber gar kein Wasser aus dem Hahn, wie ich betrübt feststellen musste, als ich mir einen heißen Whiskey zubereiten wollte. Ich hatte vergessen, dass abends ab acht das Wasser für die Nacht abgestellt würde. Wie soll man auch an Wasserknappheit denken, wenn es draußen pausenlos vom Himmel stürzt? Im Wasserreservoir Ballymore Eustace habe sich »der Charakter des Wassers stark verändert«, sagte Michael Phillips, der Ingenieur des Dubliner Stadtrats. Man arbeite rund um die Uhr, um die Ursache herauszufinden. Vorerst bleibe es aber bei den nachts versiegenden Hähnen, sonst säße Dublin binnen drei Tagen auf dem Trocknen, jedenfalls drinnen. Die Besitzer edler Restaurants rauften sich die Haare. Sie mussten das Foie Gras auf Papptellern und den Champagner in Plastikbechern servieren, weil sie den Geschirrspüler nicht einschalten konnten.
Irgendwie war das absehbar. Die technische Beraterfirma RPS hatte schon 2006 gewarnt, dass man etwas investieren müsse, um die Wasserversorgung zu sichern. Ein Projekt, um Wasser vom Shannon nach Dublin zu pumpen, würde 500 Millionen Euro kosten. Das hat man auf die lange Bank geschoben, so dass die Pro­bleme für die nächsten zehn Jahre vorprogrammiert sind. In der irischen Hauptstadt werden täglich 540 Millionen Liter verbraucht, und die werden gerade mal so produziert, wenn alles glatt geht. Dabei entfallen auf die Haushalte lediglich 16 Prozent. Mehr als doppelt so viel versickert im Boden, denn die Rohre stammen noch aus viktorianischen Zeiten. Die Insel ist also gar nicht wegen des feuchten Klimas grün, sondern wegen der Lecks.
Nun hat die Regierung 539 Millionen Euro bereitgestellt – aber nicht, um die löchrigen Rohre zu erneuern, sondern um Wasseruhren zu installieren, damit man endlich abkassieren, dann privatisieren und schließlich den verarmten Banken wieder etwas Geld geben kann. Umweltminister Phil Hogan verkündete kon­ziliant, dass jeder Haushalt 30 000 Liter im Jahr kostenlos erhält. Für jedes Kind unter 18 kommen nochmal 38 000 Liter hinzu.
Dem Nachrichtenportal Waterford Whispers erklärte Hogan, dass für geschlechtsreife Teenager eine weitere Freimenge von 100 000 Litern im Jahr vorgesehen sei, weil »sie bekanntermaßen gerne unter der Dusche masturbieren« und deshalb das Wasser ziemlich lange laufen lassen. Er sei ja auch mal jung gewesen, fügte Hogan hinzu. Ein Extraeinkommen verspricht sich die Regierung von der Installation spezieller Hähne in Dublins vornehmen Vierteln. Aus ihnen soll kohlensäurehaltiges Mineralwasser fließen, damit sich die Herrschaften nach einer Runde Golf geschwind erfrischen können. Man verhandelt derzeit mit Apollinaris.
Wein auf Irrwegen

Die Europäische Union ist eine feine Sache. Sie garantiert den freien Verkehr von Geld, Waren und Personen. Wenn man eine Bank ist, kann man Milliarden transferieren und sogar versenken. Als Unternehmen kann man nach Herzenslust importieren oder exportieren und zahlt für die Profite in Irland nur eine lächerliche Steuer. Und als Ross kann man ungehindert auf die Grüne Insel reisen – entweder als Rennpferd, denn das ist ein Wirtschaftsfaktor, oder als Gehacktes, denn das ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Andere Tiere, ob lebendig oder in Bulettenform, müssen leider draußen bleiben, wenn sie Privatpersonen gehören. Die dürfen ihren Schoßhund nämlich nur nach aufwendiger Impfprozedur nach Irland mitnehmen. Fleischwaren jeglicher Art sind gänzlich verboten, selbst wenn man sie impfen würde, denn Waldi oder Rinderfiletsteak könnten ja Tollwut übertragen. Die Gefahr besteht bei Wein nicht. Da die irische Regierung bei jedem Haushaltsplan einen weiteren Euro Steuern auf eine Flasche Wein aufschlägt, schaute ich mich in Deutschland nach günstiger Ware um. Ein kleiner Laden feierte sein zehnjähriges Bestehen, und aus diesem Anlass bot er Sonderangebote an. Ein grandioser französischer Landwein für 2,50 Euro? Ich kaufte 18 Flaschen und schickte ein Paket an mich selbst nach Dublin. Dadurch kostete die Flasche zwar 4,50 Euro, aber im Vergleich zu irischen Preisen war das immer noch sehr günstig. Die Silvesterparty schien gesichert.
Dann kam ein Brief vom Zoll mit dem lapidaren Satz, dass die Kiste Wein konfisziert worden sei. Mitte Januar erwischte ich endlich einen Zollbeamten am Telefon. Wein, Zigaretten und Autos dürfen ohne vorherige Anmeldung – und Bezahlung der Steuern, versteht sich – nicht eingeführt werden, schon der Versuch gelte als Betrug, sagte der Beamte streng. Ich wies jeden Verdacht des vorsätzlichen Gesetzesbruchs von mir und redete mit Engelszungen auf ihn ein, bis er die Nase von meinem Gewimmer voll hatte und einwilligte, sich zu erkun­digen, ob der Wein nicht schon »vernichtet« worden sei. Er war es nicht. Gegen Zahlung der Alkohol- und Mehrwertsteuer würde er das Paket ausnahmsweise herausrücken und der zuständigen Spedition zurückgeben. Ich zahlte. Das schraubte den Preis pro Flasche auf nicht mehr allzu günstige 8,50 Euro.
Drei Wochen später war der Wein noch immer nicht angekommen. Ich erkundigte mich bei der Spedition, wo man mir erklärte, das Paket sei an mein lokales Depot geschickt worden, aber die Kollegen konnten es nicht zustellen, weil die Adresse fehlte. Woher man denn gewusst habe, welches mein Depot sei, wenn doch die Adresse fehlte, fragte ich die Angestellte, doch sie ignorierte meine Frage. Der Wein sei nun in Birmingham und werde an den Absender zurückgeschickt, sagte sie statt dessen. Ich fragte, wie man denn den Absender ohne Adressaufkleber ermitteln wolle? Ich könne ja mal im Fundbüro in Birmingham nachfragen, antwortete sie und legte auf.
Im nächsten Leben werde ich als Bank geboren. Oder als Rennpferd.
Voll wie die Nattern

Live-Sendungen im Fernsehen bergen ein gewisses Risiko. Die Iren werden sich lange an die Jubiläumssendung der »Late Late Show« erinnern, die seit 50 Jahren jeden Freitag live im irischen Fernsehen RTÉ läuft. Während dieser Zeit hat sie erst dreieinhalb Talkshowmaster verschlissen, und die waren bei der Jubiläumssendung dabei – bis auf den halben, Gerry Ryan, der nur einmal moderierte und inzwischen verstorben ist. Mehr als eine Million Menschen saßen vor dem Bildschirm. Die Show wurde auch in den USA, Australien und anderen englischsprachigen Ländern übertragen, und die Zuschauer bekamen alle Klischees ­bestätigt, die sie über die Iren hegten.
Als der Hollywood-Schauspieler Liam Neeson auftrat, merkte man bereits, in welche Richtung sich die Show entwickeln würde. Ihm quoll der Alkohol fast aus den Augen, als er über seinen bevorstehenden 60. Geburtstag sinnierte. Nach der Show filmte ihn jemand, wie er sich mühsam auf den Rücksitz eines Autos faltete und schnurstracks einschlief.
Der Komiker Tommy Tiernan gab sich gar keine Mühe, seinen Alkoholgenuss zu verschleiern. Er kam gleich mit einer Flasche Whiskey auf die Bühne und schenkte den drei Moderatoren großzügig ein. Die versuchten verzweifelt, die Sendung in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken und reminiszierten über die Höhepunkte der Sendung in den vergangenen 50 Jahren. Sie erinnerten an die Zeit, als Kondome in Irland gerade legalisiert worden waren und Gay Byrne, der erste Talkshowmaster, sich ein Kondom über den Zeigefinger zog, um der Nation zu demonstrieren, wie man so etwas benutzt. Die Geburtenrate sank danach aber nicht, weil sich die Iren seitdem vor dem Geschlechtsverkehr vermutlich ein Präservativ über den Finger stülpen.
Als Nell McCafferty, Feministin und nordirische Bürgerrechtlerin, gefragt wurde, welchen Einfluss die Show auf die Frauenbewegung hatte, war man wieder beim alten Thema. McCafferty blaffte die Moderatoren an: »Ihr sitzt da und trinkt Whiskey, und keiner von euch hat mich gefragt, ob ich auch einen Mund habe.« Sofort sprangen die Herren auf und gaben ihr das gewünschte Getränk in dreifacher Ausführung.
Als Gay Byrne treuherzig beteuerte, dass niemand betrunken sei, trat Bono, der Sänger der Dubliner Pop- Kombo U2, auf und rief begeistert, dass hinter der Bühne eine tolle Party im Gange sei. Das stellte die Pantomimin Twink, die möglicherweise schon bei der Premiere der »Late Late Show« dabei war, sogleich unter Beweis. Sie stolperte auf die Bühne, zeigte auf ihren Ex-Ehemann David Agnew, der im Orchester mitspielte, und sagte: »Er ist ein großartiger Musiker, aber als Ehemann war er ein Arschloch.« Agnew sprang daraufhin auf und wollte aus dem Studio stürmen, während Twink ihm noch ein »Na ist doch wahr« hinterherbrüllte, aber er wurde von den Moderatoren wieder eingefangen und auf seinen Orchesterstuhl gezerrt. Die zwischenzeitlich wieder glatzköpfige Sängerin Sinéad O’Connor meinte am Ende der Show: »Ich glaube, ich bin die einzige, die noch Auto fahren kann.«
No man is an islam

Die Weihnachtszeit ist für deutsche Fußballfans eine langweilige Zeit, der Ball macht Winterpause. In Schottland, wo manchmal sogar im Sommer Winter herrscht, spielt man unverdrossen durch. Der Meister Celtic Glasgow zum Beispiel musste 2013 zwischen Weihnachten und Neujahr drei Spiele absolvieren.
Seit man den bankrotten Erzrivalen Glasgow Rangers anderthalb Jahre zuvor in die vierte Liga verbannt hat, herrscht Langeweile im schottischen Fußball. Celtic hat keinen ernsthaften Gegner mehr, das Pokalfinale gewann man mühelos mit 3:0 gegen Hibernian. Dennoch gehörte das Spiel zu den bizarrsten Sportereignissen des Jahres. Das lag an den Fans. Als die Spieler nach dem Sieg eine Ehrenrunde liefen, entdeckte ein Fernsehzuschauer ein Spruchband von Celtic-Anhängern: »Islam Celtic Supporters Club« Der Rest ist soziale Netzwerkgeschichte.
Muslimische Fußballfans in Glasgow? Auf Twitter ging es hoch her, zumal in der Woche zuvor der britische Soldat Lee Rigby von mus­limischen Extremisten in London ermordet worden war. »Die Celtic-Fans zeigen wieder mal ihren Hass auf alles Britische«, twitterte es einem entgegen, »Abschaum!« Ein anderer stellte kurzerhand fest: »Wer Celtic unterstützt, unterstützt den Terror.« Es wurde immer grotesker: »Celtic-Fans feiern den Tod des Soldaten Rigby. Widerlicher Dreck!« Manchen entglitt vor lauter Wut die Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken: »Celtic-Fans hatten ein Banner, auf den Islam und Celtic stand, nachdem sie einen Soldaten ermordet haben.« Celtic? Die meisten Tweets stammten von Rangers-Fans oder Mitgliedern der rechtsextremen English Defence League, wobei die Schnittmenge ziemlich groß ist.
Irgendwann studierte man die Fernsehbilder etwas genauer und stellte fest, dass das Banner in den irischen Farben grün-weiß-orange ein paar Falten aufwies. Was wie »Islam« ausgesehen hatte, hieß in Wirklichkeit »Island«. Und davor stand das Wort »Achill«. Das Banner gehörte dem Celtic-Fanclub Achill Island, einer Insel vor der irischen Westküste, auf der Heinrich Böll ein Haus erworben und sein islamisches Tagebuch geschrieben hatte. Auf Achill leben 2 500 Menschen. 38 davon gehören dem Celtic- Fanclub an, also immerhin anderthalb Prozent. Die freuten sich über die Klotzköpfe, die nicht richtig gelesen und sich zum Narren gemacht hatten. Flugs erschienen im Internet Fotos aus Achills Wirtshaus Lyn­not’s, auf dem die Gäste eine Trinkpause einlegen, um ihre Gebetsteppiche auszurollen. Auf Twitter wurde vermeldet, dass al-Jazeera die Fernsehrechte für alle Celtic-Spiele gekauft habe. Ein selbsternannter Religionswissenschaftler erklärte, der Koran sei nach der Familie Curran aus Achill benannt. Nur einer merkte an, dass die wütenden Tweets nicht nur Blödheit offenbarten, sondern vor allem Rassismus: Schließlich sei der Islam nicht verboten, und wenn es tatsächlich ein solches Banner gegeben hätte, wäre das kein Grund für die Hasskommentare gewesen. In diesem Sinne: No man is an Islam.
Imm ärger mit Joyce

Die Beziehung zwischen James Joyce und seiner Heimat Irland war schon immer getrübt. Der Schriftsteller war der geistigen Enge der Grünen Insel früh entflohen und schrieb aus dem Ausland Gehässiges über die Bewohner seiner Heimatstadt Dublin. Sie seien »die hoffnungsloseste, nutzloseste und widerspruchsvollste Rasse von Scharlatanen, der ich je auf der Insel oder dem Kontinent begegnet bin«. Irland bezeichnete er als »Sau, die ihre Ferkel frisst«.
Die irische Regierung rächte sich, indem sie Joyce kurzerhand verbot. Sie setzte ihn auf eine Zensurliste, die fast 7 000 Namen umfasste. So gingen an Generationen von Iren weite Teile der Weltliteratur spurlos vorüber. Inzwischen hat man sich besonnen und benutzt die ehemals verfemten irischen Schriftsteller für die Fremdenverkehrswerbung. Den »Bloomsday« im Juni, an dem Joyces »Ulysses« spielt, hat man sogar zu ­einem mehrtägigen Festival ausgedehnt.
Die Rolle des Zensors übernahm seitdem der Joyce-Enkel Stephen. Er hat zahllose Prozesse geführt, um zu verhindern, dass aus Opas Schriften zitiert wird. Er hat Bücher über Joyce und die Familie verbieten lassen, Theaterstücke und Lesungen unterbunden. Er ist der Meinung, dass man Joyce nur still und andächtig genießen darf, am besten auf Knien. Doch seit 2012 es sich ausgeenkelt: Das Copyright ist 70 Jahre nach Joyce’ Tod erloschen.
Aus lauter Freude darüber hat die irische Zentralbank eine Joyce-Gedenkmünze zu zehn Euro herausgegeben, die sie für 46 Euro verkaufte. Die Auflage von 10 000 Exemplaren war im Handumdrehen vergriffen. Die Münze zeigt Joyce’ Kopf, aus dem ein paar Zeilen aus dem »Ulysses« quellen. Das löste bei Stephen Joyce einen Wutanfall aus. Die Münze sei »eine der größten Beleidigungen aller Zeiten für die Familie Joyce«, schäumte er. Der Zentralbank war nämlich ein Fehler unterlaufen: Das Zitat auf der Münze enthielt das Wort »that«, das nicht im Original steht.
Vielleicht hätte Joyce das Wort selbst eingefügt, wenn es ihm eingefallen wäre. Der Verleger Siegfried Bermann-Fischer beschreibt in seinen Memoiren ein Abendessen bei Familie Joyce in Zürich, bei dem Joyce plötzlich aufsprang, zur Tür lief und erklärte, er müsse schnell ein Wort notieren, das er seit Tagen gesucht habe. Auf die Frage der Gäste, um welches phänomenale Wort es sich handle, drehte sich Joyce um und sagte: »The.«
Stephen Joyce monierte darüber hinaus, dass sein Opa völlig anders ausgesehen habe als auf der Münze: Es sei das unähnlichste Bild, das jemals vom Großvater produziert worden sei. In dem Punkt hat er recht. Joyce sieht auf der Münze eher aus wie Frank Zappa. Das macht aber nichts. Schließlich war Zappa der Joyce der Musikszene, nur lustiger.
Die Münze sei »eine künstlerische Repräsentation des Autors und seines Textes«, entschuldigte sich ein Sprecher der Bank lahm. Vermutlich war es aber Absicht. Man wollte dem Enkel und den Joyce-Irren auf der ganzen Welt, die das Werk des Meisters wie eine Bibel verehren, eins auswischen.
Tnks 4 ur mes

Handys sind nicht von grundauf böse. Man kann mit ihnen telefonieren. Das sollte reichen. Warum hat man sie aber in die Lage versetzt, auch Textnachrichten zu verschicken? Das ist eine überflüssige Erfindung, weil die meisten Menschen Schindluder damit treiben. Während ich mir Mühe gebe, meine Sätze auch bei solchen Textnachrichten auszuformulieren, auf Groß- und Kleinschreibung sowie auf die Satzzeichen achte, hat sich hinter meinem Rücken eine SMS-Sprache entwickelt, die nur aus Satzbruchstücken besteht und ohne sonderlich viele Buchstaben auskommt. Satzzeichen kommen darin überhaupt nicht vor.
Diese Rudimentärsprache beschränkt sich nicht auf Jugendliche. Noirín ist Mitte sechzig. Wir wollen zusammen einen Katalog für die Ausstellung eines befreundeten Künstlers entwerfen, der Erlös soll einem guten Zweck zugeführt werden. Ich hinterließ Noirín eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter, was meine Geduld auf eine harte Probe stellte. Zwar war die Ansage nur kurz, aber dann lief geschlagene drei Minuten lang eine grauenhafte Musik, bis man endlich seine Nachricht aufs Band sprechen durfte. Oder auf was auch immer solche Nachrichten heutzutage gespeichert werden.
Kurz darauf bekam ich eine Textnachricht von ihr: »Tnks 4 ur mes.« Wenn man es laut vor sich hin liest, kommt man auf »Thanks for your message«. Glatte zehn Buchstaben gespart, also die Hälfte, macht mindestens zehn Sekunden. Dass ich dafür doppelt so lange brauchte, bis mir der Sinn der SMS klar wurde, spielt keine Rolle. Die nächste Textnachricht als Antwort auf meinen Terminvorschlag war eine größere Herausforderung: »Thas bril wat t suit u 2 com ovr 2 us tnks x n.« Auf deutsch: »Das ist großartig. Um welche Zeit passt es Dir, zu uns zu kommen?« Wer das Wort »to« durch die Ziffer 2 ersetzt, spart gar nichts: Bei Smartphones muss man vom Buchstabenfeld aufs Zahlenfeld umschalten, bei älteren Handys muss man viermal auf die Taste tippen, denn zuerst kommen die Buchstaben d, e und f.
Ich wollte mich rächen und tippte willkürliche Buchstaben ins Handy: » Tg h jk c fsa u l p 2. O k?« D ie A ntwort kam postwendend: »Yep thas grt x n.« Herrje, was hatte ich ihr bloß vorgeschlagen, dass sie meine kryptische Nachricht mit »großartig« erwidert und mir am Ende ein Küsschen (»x«) dranhängt? Fehlte nur noch ein Grins-Symbol::)
Smilies sind genau so bescheuert. Wer seine Textnachrichten mit gelben Kugeln garniert, die den Gemütszustand verraten sollen, hat nicht alle Tassen im Schrank. Neulich bekam ich die Nachricht eines erbosten Lesers, der sich heftig über ein Buch von mir beschwerte und ankündigte, es im Winter verheizen zu wollen. An den Schluss der Nachricht hängte er eine böse dreinblickende wutviolette Kugel und entlarvte sich damit als Klotzkopf.
Man kann aber noch viel Gemeineres mit Textnachrichten anstellen. Martin Conroy hatte Freude daran, anderen einen Streich zu spielen. Seine Ideen für einen Schabernack hätten jeden 14jährigen mit Stolz erfüllt. Martin war allerdings 66. Sein letztes Opfer war seine 16jährige Nichte Debbie. Weil sie sparsam ist, druckte er ihr aus dem Internet eine Anleitung aus, wie sie ihr Mobiltelefon mit Hilfe einer Zwiebel aufladen könne. Sie folgte der Anleitung, bohrte mit einem Schraubenzieher zwei Löcher in die Zwiebel, platzierte das Gemüse dann für 30 Minuten in einem Energiegetränk, damit es die Elektrolyten absorbieren konnte, und stopfte danach ein USB-Kabel in die Zwiebel. Das andere Ende verband sie mit ihrem Telefon. Nichts passierte. Ihr wurde schlagartig klar, dass das Geld für die Zwiebel und das Energiegetränk ausgereicht hätte, um ihr Telefon mehrere Dutzend Male auf konventionelle Art zu laden. Das Kabel mit Zwiebelgeruch wird sie lange an ihren Onkel erinnern.
Der ist ganz plötzlich verstorben. Er und seine Frau Carol waren von einem Ausflug heimgekehrt, als Martin sich auf eine Treppenstufe setzte und sagte: »DNR – and I mean it.« Carol ahnte, was er meinte: Do not resuscitate – nicht wiederbeleben. Dafür war es ohnehin zu spät.
Die Beerdigung zwei Tage später auf dem Friedhof von Glasnevin im Norden Dublins war gigantisch. Martin stammte aus einer großen Familie, er hatte vier erwachsene Kinder und sechs Geschwister, und die wiederum hatten drei bis fünf Kinder. Außerdem hatte er einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, denn Martin war als Busfahrer viel unter Leute gekommen, und außerdem hatte er sich in diversen Vereinen und Wohltätigkeitsverbänden engagiert. All diese Leute hatten sich nun in die kleine Kapelle des Krematoriums gequetscht. Martins Frau, seine Kinder und andere Verwandte legten Gaben auf den Sarg, die in Martins Leben eine bestimmte Bedeutung hatten: eine Tageszeitung, weil er die immer beim Frühstück las; sein Handy, weil er ständig telefonierte; seine Mundharmonika, die er manchmal spielte; eine Tüte Gummibärchen, seine Leibspeise.
Dann wurde der Sarg langsam in den Keller abgesenkt, wo er in den Ofen geschoben werden sollte. Auf der nun leeren Bühne ging ein weißer Vorhang zu, viele weinten. Plötzlich ging ein Aufschrei durch die halbe Trauergemeinde, die andere Hälfte wunderte sich. Carol war einer Ohnmacht nahe. Viele hatten ihre Handys gezückt und starrten ungläubig auf eine Textnachricht von Martin, der Leiche: »Geht es nur mir so, oder ist es hier wirklich verdammt heiß?«
Debbie wollte sich verdrücken, wurde aber am Ausgang gestellt, weil einer der Trauergäste Martins Nummer gewählt hatte und es in Debbies Hosentasche klingelte. Sie hatte sich heimlich des Telefons bemächtigt, als sie die Gummibärchen auf den Sarg legte, und die Textnachricht an alle Personen aus dem Handy-Adressbuch geschickt. Martin hätte das komisch gefunden, verteidigte sie sich. Die Trauergemeinde fand es nicht komisch. Debbie wurde vom Leichenschmaus ausgeschlossen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Ralf Sotscheck: Türzwerge schlägt man nicht. Von englischer Löffeldiät und irischer Unzucht. Edition Tiamat, Berlin 2014, 160 Seiten, 13 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.