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Die Jungle World ist bekanntlich eine Berliner Wochenzeitung, und vieles darin, worüber Sie sich manchmal wundern oder ereifern, ist ohne Kenntnis Berliner Eigentümlichkeiten wohl kaum zu verstehen. Trotzdem sind gebürtige Berliner in unserer Redaktion in der Minderheit, und seit uns auch noch eine leider für viel zu kurze Zeit bei uns beschäftigte Layouterin verlassen hat, die die Berliner Mundart besonders gut beherrschte, sind es noch weniger. Als kleine Erinnerung daran hängt in unserem Produktionszimmer ein »Berliner Vokabeltest«, den ein früherer Mitarbeiter in grauer Vorzeit entworfen hat. Darauf werden in den Umrissen der Stadtgrenze verschiedenen Worten der Berliner Mundart hochdeutsche Erklärungen gegenübergestellt. Unser Lektor, der zu den in der Redaktion verbliebenen Originalberlinern gehört und der uns regelmäßig mit der Behauptung in den Ohren liegt, es gebe keine Synonyme, sondern für jedes Phänomen nur ein einziges treffendes Wort, hat die Worterklärungen einer kleinen Stilkritik unterzogen, aus der wir Ihnen hier Stichproben mitteilen wollen.
Während »gebratene Blutwurst« in Berlin tatsächlich »Tote Oma« genannt wird, ist »Remmidemmi«, anders als im Vokabeltest behauptet, nicht einfach ein »lautes Fest mit Vergnügen«, sondern eine Bezeichnung für Aufregung, Lärm und auch Ärger verschiedenster Art. »Ringelpietz zum Anfassen« ist wirklich ganz einfach eine »Tanzveranstaltung«, »uffmucken« dagegen bedeutet nicht einfach »widersprechen«, sondern bezeichnet jegliche widerspenstige Lebensäußerung, die dem Berliner gegen den Strich geht. »Bagasche« meint nicht allein »die nicht erwünschte Verwandtschaft«, sondern jede durch brutale Gemeinschaftswärme zusammengehaltene Menschenrotte, »Nieselprim« ist kein Wort für eine »naive« oder »unbedarfte«, sondern eher für eine unleidliche, triste und Tristesse verbreitende Person, und »knülle sein« heißt nicht einfach »kaputt«, sondern in Folge von Trunkenheit nicht mehr zurechnungsfähig sein. Was das genuin Berlinische des Berlinischen ausmacht, könne jedoch, so haben wir gelernt, keine hochdeutsche Übersetzung je erfassen: die kumpaneihafte Sympathie mit der Brutalität, das rohe Auf-die-Schulter-Klopfen, das fast überall aus dem Berliner Idiom trieft, wie man auch daran erkennen kann, dass fast dessen gesamtes Vokabular zugleich etwas Abwertendes und Anzüglich-Kumpelhaftes hat. Weshalb der »kleine Bruder« auch »Keule« heißt und eine »Vorahnung« mit der Formulierung »Nachtijall, ick hör dir trapsen« zum Ausdruck, die Liebesszene aus »Romeo und Julia« mithin auf den Berliner Hund gebracht wird. Was und wie viel das mit uns zu tun hat, darüber ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen.