Berlin Beatet Bestes. Folge 275.

Je swing Charlie

Berlin Beatet Bestes. Folge 275.

Manche lösen Kreuzworträtsel, manche spielen Schach. Andere lernen eine neue Sprache. Beständiges Lernen hält gesund und jung, heißt es. Ich stelle meinen Körper und Geist immer neuen Herausforderungen, dadurch das ich seit fünf Jahren jede Woche in einen Swing-Tanzkurs gehe. Beim fortgeschrittenen Level des Unterrichts, auf dem ich mittlerweile angekommen bin, bestehen diese Herausforderungen zumeist im schnellen Umsetzen neuer Figuren. Neuerdings gehe ich auch in eine Solo-Jazz-Klasse, in der wir immer neue Choreographien lernen. Das Lerntempo ist zwar nicht besonders hoch, aber regelmäßig stolpere ich durch Bewegungen und hinter der Gruppe her. Alle bewegen sich nach links, ich bewege mich nach rechts. Und umgekehrt. Wie in »Dick & Doof beim Militär« scheint meine Horstigkeit die anderen anzustecken. Um weniger aufzufallen, verdrücke ich mich in den hinteren Teil des Raumes. Jede neue Figur fühlt sich schrecklich an. Ich fühle mich schrecklich und sicher tut es sogar weh, mich zu beobachten. Solange ich mich erinnern kann, hatte ich diese Lernschwäche. Als Kind war ich zu Hause der Allergrößte und Beste und wurde von meiner Helikoptermutter, einer Mischung aus Mutter Beimer und Zsa Zsa Gabor, mit Anerkennung und Liebe überhäuft. In der Schule konnte ich die Erwartungen nicht erfüllen. Schon in der ersten Klasse versagte ich, konnte dem Unterricht nicht folgen, machte Blödsinn, wurde aus dem Klassenraum geworfen. Verbrachte ganze Tage unter den Garderobenständern im Flur und flüchtete mich in Phantasiewelten. Und lernte, mich niemals zu langweilen. Mein Bruder wurde ein Jahr nach mir eingeschult, konnte da aber bereits lesen. Das hatte er ganz entspannt nebenbei gelernt, während er mich zu Hause nach der Schule beim Büffeln beobachtet hatte. Als ich mich unendlich abmühen musste.
Lernen fällt mir bis heute schwer.
Erschöpft und niedergeschlagen kam ich nach dem letzten Kurs nach Hause: »Oh Mann, heute wieder. Das war … « – »Dann geh da doch nicht mehr hin, das kostet soviel Geld«, meinte meine Freundin. Sie ist Lehrerin und hat kein Verständnis für meine Lernbehinderung. Außerdem ist sie klüger als ich und viel schneller im Aufnehmen.
Warum tue ich mir das also an? Weil ich weiß, dass Lernen anstrengend ist und keinen Spaß macht. Den Frauen im Kurs – und natürlich sind es überwiegend Frauen, die Solo-Jazz machen – scheint es nicht so zu gehen. Die sagen immer: »Entspann dich.« Sie scheinen Spaß zu haben. Ich wünschte, es würde mir nicht so schwer fallen, aber wenn es mir leicht fällt, lerne ich nichts. Für mich ist Lernen Kampf. Wenn ich spüre, dass mir ein Move schwer fällt, wenn ich scheitere, dann will ich in die Richtung des Scheiterns gehen. Und dann scheitere ich solange und gebe nicht auf, bis ich es drauf hab’. Denn was in der Klasse passiert, ist natürlich egal. Nachts auf der Tanzfläche, da ist alles anders, da entspanne ich mich. Da denke ich nicht an Moves und Figuren, da bewege ich einfach nur meinen Körper. Und habe Spaß.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.