Die Linke in Europa feiert den Wahlsieg von Syriza

Der Wahlsieg der anderen

Die europäische Linke vor allem in den »Krisenländern« feiert den Wahlsieg von Syriza. Die Begeisterung scheint dort größer zu sein als in Griechenland selbst.

»Mir kommt es so vor, als würde die Linke im Ausland den Sieg von Syriza viel enthusiastischer feiern als Syriza selbst.« Antonis Vradis, Mitglied der linken Gruppe Occupied London, Autor des englischsprachigen Blogs »From the Greek Streets« und Mitherausgeber des Buchs »Revolt and Crisis in Greece« (2011), sieht das Ganze von ganz weit weg, da er sich derzeit in Brasilien aufhält. Nicht nur deshalb hält sich die Begeisterung für das Wahlergebnis beim Athener Soziologen in Grenzen: »Syriza hat die Wahlen gewonnen, aber das bedeutet keinen Rutsch nach links für die griechische Gesellschaft. Sie bleibt weiterhin sehr konservativ.« Die Zustimmung für Syriza sei in Griechenland weniger ideologisch, sondern pragmatischer, als man im Ausland vielleicht denkt, fährt Vradis fort: »Sie bezieht sich auf einen einzigen Punkt, nämlich die Ablehnung der Troika-Politik und des Memorandums, das darf man nicht vergessen. In Griechenland ist dies den meisten Wählerinnen und Wählern bewusst.« Die Erleichterung über die Abwahl der konservativen Regierung sei in der Bevölkerung selbstverständlich groß, trotzdem sei die Euphorie aus dem europäischen Ausland schon etwas befremdlich.
Ungeachtet der messianischen Wahlkampfreden von Alexis Tsipras und trotz Wahlergebnissen, von denen die meisten linken Parteien in Europa nur träumen können, sei man sich bei Sy­riza der eigenen Schwäche bewusst, meint Vradis: »Sie sind nicht die Mehrheit.«
Schon der kurze Wahlkampf hatte gezeigt, dass Tsipras in Europa viele Freunde hat. Nach seinem triumphalen Sieg sind es noch mehr geworden. Gefreut haben sich alle, die irgendwas gegen den Euro und das »Europa von Angela Merkel und den Banken« haben, kein Wunder also, dass auch Marine Le Pen, Nigel Farage, Matteo Salvini und Bernd Lucke unter ihnen waren.
Aber es waren keine Anhänger der Alternative für Deutschland oder der britischen Ukip, die bei der letzten Wahlrede von Tsipras am Omonia-Platz in Athen rote Fahnen schwenkten. Auf die Bühne holte sich Tsipras Pablo Iglesias, den Vorsitzenden der spanischen Partei Podemos, während auf dem Platz neben den griechischen Unterstützerinnen und Unterstützern des Linksbündnisses die Genossen der »Kalimera-Brigade« aus Italien »Bella Ciao« und die »Internationale« sangen.

Rund 200 Mitglieder des italienischen Bündnisses »Das andere Europa mit Tsipras« waren einige Tage vor der Wahl nach Athen gereist und dürften damit eine der größten ausländischen Delegationen von Tsipras-Supportern aus Europa gewesen sein. Das verwundert kaum, denn Alexis, wie die angereisten compagni den neuen griechischen Ministerpräsidenten nennen, gilt in Italien schon lange als Hoffnungsträger eines neuen, sozialen Europas. »L’altra Europa con Tsipras«, ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Gruppen, Bewegungslinken und Mitgliedern kleinerer linken Parteien, war im vergangenen Jahr aus einem Aufruf von Intellektuellen »an die Zivilgesellschaft« hervorgegangen, in dem ein Marshall-Plan für Europa gefordert wird. Das Bündnis hatte sich als Wahlliste für die Europawahl gegründet und bekam mit einem Ergebnis von rund vier Prozent drei Sitze im Europaparlament. Mit Syriza ist dieser Zusammenschluss, der anstrebt, die zersplitterte italienische radikale Linke zu vereinen, kaum vergleichbar. In Italien ist die Kritik an der europäischen Austeritätspolitik von rechtspopulistischen bis postfaschistischen Parteien wie Lega Nord und Fratelli d’Italia und vor allem von Beppe Grillos Protestbewegung »Movimento 5 Stelle« monopolisiert worden. Es gibt keine ernstzunehmende Versuche, der teilweise völkischen Anti-Euro-Rhetorik aus einer linken Perspektive entgegenzuwirken. Links der regierenden Demokratischen Partei gibt es keine Kraft, die in der Lage wäre, wie Syriza ein Programm mit klar umris­senen Zielen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu präsentieren und gleichzeitig mit der Vision einer Veränderung der gesamten Gesellschaft politische Emotionen zu mobilisieren.
Man hoffe jetzt auf einen »Lawineneffekt in ganz Europa«, erklärten die noch berauschten Aktivisten der italienischen Brigade in Interviews und auf ihrer Facebook-Seite. Dass die Lawine als nächstes Italien erfassen wird, ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich.
Anders sieht es in Spanien aus, wo die aus der Bewegung der Indignados hervorgegangene Partei Podemos, beflügelt vom Sieg der griechischen Schwesterpartei, am vergangenen Samstag zehntausende Menschen für die »Marcha del Cambio« (Marsch für den Wechsel) auf die Straße brachte. Auch dort war auf Transparenten »Syriza-Podemos, venceremos« zu lesen, der Slogan, der zum Schluss des Wahlkamps in Athen skandiert wurde. Podemos könnte Umfragen zufolge tatsächlich die stärkste Partei werden bei den Parlamentswahlen, die im November stattfinden.

»Politics of hope« hat Owen Jones im Guardian den Politikstil der beiden derzeit beliebtesten linken Organisationen in Europa genannt. Ein wichtiger Aspekt dieser Hoffnung bestehe im Versuch beider Parteien, das Thema der »Souveränität des Volkes« gegen die europäischen Finanzeliten nicht nationalistisch und völkisch zu konnotieren. »Wir sind Träumer, wie Don Quijote, aber wir sehen viele Dinge auch klar. Eine davon ist, dass unsere Souveränität nicht in Davos liegt, dort, wo man entschieden hat, uns durch das, was sie Austerität nennen, zu demütigen. Es ist an der Zeit, einen Plan für die Erlösung des spanischen Bürger zu entwerfen«, sagte Iglesias auf der Demonstration am Samstag.
Traum, Erlösung – Begriffe, mit denen man die kühleren nordeuropäischen Genossen weniger begeistern kann. Aber mit Tsipras Wahlsieg scheint die »Politik der Hoffnung« auch dort angekommen zu sein. »Jetzt ist nicht die Zeit für Zynismus, sondern für Hoffnung. Ob Syriza erfolgreich sein kann, hängt von uns allen ab«, heißt es etwa auf dem österreichischen »Mosaik-Blog«. »Wir müssen den Druck erhöhen und der Regierung und den Menschen in Griechenland die nötigen Räume verschaffen, um eine neue Politik wagen zu können. Dieser historische Moment ist die beste Chance auf einen echten Wandel in Europa seit langer Zeit. Nützen wir sie.«
Während die Linke in Deutschland sich über die Koalition mit den Nationalisten sowie die fragwürdigen Verbindungen von Syriza zu Russland den Kopf zerbricht und die Wahlsieger erstmal einer gründlichen Prüfung ihrer ideologischen Reinheit unterzieht, dauert in den südlichen »Krisenländern« der Siegesrausch an. Naiv könnte man das nennen, oder vielleicht eher pragmatisch, denn angesichts der wirklichen Feinde – »la Merkel«, die »Euro-Eliten«, die Troika und, ganz allgemein, Banken und Finanzmärkte – erscheint dort die Allianz mit einer Vier-Prozent-Partei als ein pragmatisches, und vorübergehendes Zweckbündnis, zu dem es keine Alternative gab. Das Verhältnis zu Putin und Russland ist in der linken Debatte außerhalb Deutschlands dagegen kaum ein Thema.
Aber auch in Deutschland werden die Töne nach dem großen Griechenland-Bashing in der Politik und vielen Medien langsam leidenschaft­licher: »Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren«, heißt es etwa in einer Erklärung vom 2. Februar auf der Seite »Europa neu begründen«, verfasst von Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Politikern aus Linkspartei, SPD und Grünen.
Antonis Vradis wird noch bis zum Frühling in Rio bleiben. »Bis dahin wird sich sicher gezeigt haben, ob diese Regierung wirklich etwas verändert«, sagt er, und auf einmal klingt er etwas optimistischer: »Es ist immerhin die erste linke Regierung in meinem Land seit seiner Staatsgründung, allein das ist ein Grund zur Hoffnung.«