Die Retrospektive der Berlinale

True Colors

Die Retrospektive der Filmfestspiele Berlin ist den in Technicolor gedrehten Filmen gewidmet.

Todsünde« (1945) von John M. Stahl ist ein düsterer, melodramatisch grundierter Film Noir in leuchtendem Technicolor. Die Geschichte beginnt mit einem langen, intensiven Blick aus smaragdgrünen Augen über einem kaminroten Mund. Auf einer Zugfahrt lernt Richard Harland, ein Schriftsteller, Ellen Barent (Gene Tierney) kennen. Sie ist schön, anziehend und forsch und überrumpelt ihn schon am nächsten Tag mit einem Heiratsantrag, da sagt er natürlich nicht nein. Ihre pathologische Eifersucht aber sorgt für Eheprobleme. Ellen mag ihren Mann nicht teilen – weder mit der Schreiberei noch mit seinem gehbehinderten kleinen Bruder und mit der eigenen Halbschwester schon gar nicht. In einer unvergesslich abgründigen Szene sitzt Ellen im weißen Bademantel und mit dunkler Sonnenbrille in einem Ruderboot, umgeben von scheinbar idyllischer Natur in leicht giftig wirkenden Grün- und Blautönen der. Der kleine Bruder schwimmt vorneweg, als ihm schon bald die Kräfte ausgehen, sieht sie regungslos zu, wie er ertrinkt. Kühle Pastellfarben wie Eisblau, aber auch Weiß, haben an einer Frau wohl nie monströser ausgesehen als hier.
Der Film gilt in Bezug auf seine Farbgestaltung als stilbildend, bisher waren exaltierte Töne den offensichtlich »unrealistischen« Genres wie Musical, Animations- und Abenteuerfilm vorbehalten. Die Erkenntnis, dass Farbe sich als eine emotionale Basis für Melodramen anbietet, musste sich erst noch durchsetzen.
Unter dem Titel »Glorious Technicolor« zeigt die Retrospektive der Berlinale in diesem Jahr rund 30 Filme aus den Anfängen bis 1953. Auch wenn Technicolor im Vergleich zu anderen Farbfilmverfahren eine eher gesättigte Anmutung besaß – am ehesten mit den Ölfarben der Malerei vergleichbar –, widerlegt die Auswahl den populären Mythos, das Verfahren sei im Ergebnis gleichbedeutend mit Opulenz und Exzess. Tatsächlich zeugt die Geschichte des inzwischen 100jährigen Farbsystems von stilistischer Vielfalt und von sehr unterschied­lichen Auffassungen, was Farbe im Film zu leisten habe, was sie dürfe und was nicht.
»Mit Farbe im Film gab es immer Scherereien«, schreibt Frieda Grafe in ihrem Aufsatz »Filmfarben«: »Sie ließ sich nicht, wie der Ton, leicht an die Körper binden, an die Personen und ihre Geschichten. (…) Sie war mit dem bloßen Wiedergabe-Realismus des Kinos schwer in Einklang zu bringen. Sie machte den Bildern eine Aura. Sie war ein Wahrnehmungsluxus«. Bis Technicolor sich im klassischen Hollywood-Kino durchsetzte, mussten aber nicht nur ästhetische Kategorien und Wirklichkeitsvorstellungen verändet werden: Das Herstellungsverfahren für Farbfilme war vor allem eine technologische Herausforderung.
Technicolor lässt sich kaum eine solide Erfolgsgeschichte nennen. Von der Gründung des Unternehmens Technicolor Motion Picture Corporation 1915 durch Herbert T. Kalmus, Daniel Comstock und W. Burton Wescott bis zu den ersten technisch und kommerziell erfolgreichen Farbfilmen 1932 wurden insgesamt vier verschiedene Farbsysteme realisiert. Technicolor Nr. I bis III waren Zwei-Farben-Verfahren, das Spektrum der Farbwiedergabe auf der Leinwand war begrenzt. Blau ließ sich beispielsweise nicht wiedergeben. Auch die anfangs flackernden Farbsäume irritierten Publikum und Filmkritik gleichermaßen. Dabei beeindruckt in einigen frühen Filmen gerade der Umgang mit den technischen Einschränkungen: »Lotosblume« (Chester M. Franklin, 1922) etwa ist ein einziger Blüten- und Farbrausch in Rot und Grün.
Victor Schertzingers »Rothaut« (1929), an Originalschauplätzen im Technicolor-Verfahren Nr. III gedreht, erzählt von Ausbeutung, Rassismus und Zwangsintegration von Native Americans durch weiße Amerikaner. Während die »zivilisierte« Welt buchstäblich farblos ist – sie wurde, allerdings aus Kostengründen, in Schwarzweiß gedreht –, schimmern in den kargen Landschaften Arizonas und New Mexicos die Farben von Sand und Erde in den unterschiedlichsten Schattierungen. Als ein besonderer Schauwert bleiben die geometrischen Textilmuster in Rot, Braun und Weiß in Erinnerung, sie sind für die Farbzuordnung des Genres charakteristisch: Auch in späteren Technicolor-Western von Henry Hathaway und John Ford ist das auffälligere Farbdesign meist der Kultur der indigenen Bevölkerung (und dem zivilisierenden weiblichen Einfluss) vorbehalten, die Zugehörigkeit von Landschaft und männlicher Welt wird durch dezentere Farben markiert.
Mit der Entwicklung der Drei-Farben-Kamera 1932 und der Einführung von Technicolor Nr. IV, auch Drei-Farben-Technicolor genannt, wurde die Wiedergabe des gesamten Farbspektrums möglich und damit jene strahlende Qua­lität erreicht, der Technicolor seinen mythischen Ruf verdankt. Das Unternehmen war indes nicht nur in Besitz der Technologie, sondern prägte durch seine zahlreichen Kontrollinstanzen entscheidend die Ästhetik. Kameras, Berater und Techniker stellte die Firma den Studios zur Verfügung, auch die Herstellung der Filmkopien erfolgte im eigenen Unternehmen. Natalie Kalmus, die frühere Ehefrau des Erfinders, überwachte in ihrer Funktion als Color Director jahrelang die Farbgestaltung aller Technicolor-Produktionen, erst ab 1943 wurde die protektionistische Haltung gelockert.
Den notwendigen Schub erhielt Technicolor mit dem Animationsfilm. Die ästhetisch überwältigenden Ergebnisse in Walt Disneys »Silly Symphonies« und seinem ersten Langfilm »Schneewittchen und die sieben Zwerge« (David Hand, 1937) etablierten das Technicolor-Verfahren auch in der Spielfilmproduktion. Vor allem das Musical mit seinem Überschuss an Kostümen, Schauplätzen, Dekors und buchstäblichen Farbbewegungen wurde dadurch regelrecht befeuert. Das Konkurrenzprodukt zu Disney, Victor Flemings »Der Zauberer von Oz« (1939), war eine Zäsur in der Geschichte des Farbfilms. Erst dem Technicolor verdankt der Film seine Ikonizität: Dorothys rote Schuhe, ihr hellblau kariertes Schürzenkleid, das grüne Gesicht der Hexe des Westens. In den vierziger und fünfziger Jahren kreierten dann Regisseure wie Vincente Minnelli die virtuosesten Farbdesigns in der Geschichte von Technicolor.
In England bewährte sich Technicolor als Exportprodukt. David Leans Familienchronik »Wunderbare Zeiten« (1944) gilt als Beispiel für die deutlich realistischere Verwendung der Farbe im britischen Kino. Michael Powell und Emeric Pressburger hingegen stellten in dem Nonnendrama »Die schwarze Narzisse« (1947) der grauen Nachkriegstristesse die satten Farben des Himalaya gegenüber.
Die Politik der Zückhaltung und Ausgewogenheit, die das Unternehmen in den Anfangsjahren verfolgte, wurde in der Spätphase mit immer gewagteren Farbdesigns negiert. In Howard Hawks »Blondinen bevorzugt« (1953) sind die Farben nicht nur völlig unrealistisch, sondern auch auf eine ironische Weise vulgär. Und Douglas Sirk operiert in seinen damals noch als weepies verschmähten Melodramen mit exzessiven, hysterischen Affektfarben. Bald löste der neu entwickelte Farbnegativfilm von Eastman Color den Matrizenfilm für Farbaufnahmen weitgehend ab, Technicolor Nr. V war ein reines Kopierverfahren.
So sehr Technicolor auch für das klassische Hollywood-Kino, für große Studioproduktionen, Repräsentation, Glamour und Pracht stehen mag, verbirgt sich dahinter durchaus widerständiges Potential. Schließlich arbeiten die Technicolor-Farben dem Narrativ immer wieder entgegen. Für Grafe ist Farbe eine Spur, die ins Innere der Filme führt: »Sie ist für farbbewusste Regisseure ein Sprengstoff, der momentan vom Zwang der geregelten Erzählung befreit.«

Die Retrospektive der Berlinale läuft bis zum 15. Februar. Informationen unter: www.berlinale.de