Die Dokumentation »Salad Days« erzählt die Geschichte der Hardcore- und Punk-Szene von Washington, D.C.

Bewegung im Jungs-Club

In ihrer Dokumentation »Salad Days« erzählen Scott Crawford und Jim Saah die Geschichte des »Revolution Summer« in Washington.

Das Timing ist perfekt. Wenn im März der Dokumentarfilm »Salad Days: The Birth Of Punk In The Nation’s Capital« von Scott Crawford endlich auch in Deutschland in ausgewählten Kinos gezeigt wird, dann liegt der revolution summer, wie der Sommer 1985 in Washington D.C. oft genannt wird, genau 30 Jahre zurück. Er ist es durchaus wert, sich an ihn zu erinnern. »Salad Days« ist auch der Titel eines 1985 erschienen Albums der Hardcore-Punk-Band Minor Threat. Der Film ist nicht der erste Versuch die Geschichte der Hardcore- und Punkszene der US-amerikanischen Hauptstadt in kohärenter Weise nachzuerzählen. Bereits vor 15 Jahren unternahmen Mark Andersen und Mark Jenkins in ihrem Buch »Dance Of Days« einen ersten Versuch. Auch sie wählten das Jahr 1985 als Ausgangspunkt ihrer Erzählung. Für Andersen wie für Crawford war der revolution summer auch persönlich ein prägendes Erlebnis.
Andersen war damals vor allem Politaktivist, Crawford beschäftigte sich mit der Szene in seinem Fanzine Metrozine. Im Grunde macht er auch heute nichts anderes und doch ist der Kontext ein gänzlich anderer. Schrieb er damals noch aus der Szene für die Szene, trägt er heute vor allem zur Musealisierung und Kanonisierung von Hardcore und Punk bei. Damit einher geht nahezu zwangsläufig auch eine Standardisierung. Denn auch in der Geschichtsschreibung über Hardcore und Punk gibt es blinde Flecken.
Die Geschichte des revolution summer gehört sicher nicht dazu. Sie ist schon oft erzählt worden, aber noch nie in Form eines Dokumentarfilms. Gerade das macht »Salad Days« so interessant. Damals, Anfang 1985, befand sich die Szene in Washington D.C. wie auch an vielen anderen Orten in einer tiefen Krise. Was als vitalistische Rebellion junger Menschen gegen als starr und altbacken empfundenen Normen begonnen und sich für eine kurze Zeit atemberaubend neu, wild und gefährlich angefühlt hatte, war längst zu einem Klischee geworden.
Minor Threat hatten sich aufgelöst, die Bad Brains hatten sich in Richtung New York und Rastafari verabschiedet, und auch Henry Rollins war mit Black Flag nach Kalifornien entschwunden und focht dort mit seiner Band seinen ganz eigenen Kampf gegen die große Langeweile, die sich Hardcore nannte, aus. Straight Edge war von einer guten Idee zu einer kultartigen Bewegung überwiegend junger weißer Männer geworden und auf Konzerten lieferte die Musik oft nur noch den Soundtrack zu ausufernden Schlägereien.
Viele der ehemaligen Protagonistinnen und Protagonisten der Szene fühlten sich seltsam entfremdet von der Szene, die sie selbst geschaffen hatten. Nicht nur die Szene hatte sich verändert, war größer, härter, gewalttätiger geworden. Auch sie selbst hatten sich verändert. Sie waren älter geworden und in vielen Fällen auch politischer. Die bloße rituelle Selbstermächtigung junger Männer, die sich hier als groß und stark inszenieren konnten, war ihnen nicht mehr genug. Sie wollten etwas anderes.
Mit Bands wie Rites of Spring, Embrace, Lunch­meat und Mission Impossible mit dem damals noch jungen Dave Grohl am Schlagzeug entern Frauen den Härter-Schneller-Lauter-Jungsclub. Ab 1985 gab es in Washington D.C. mit Fire Party, Slant 6 und Autoclave eine ganze Reihe völlig zu Recht gefeierter Frauenbands.
Der revolution summer wäre ohne Amy Pickering von Fire Party wohl nie das geworden, was er war. Rückblickend betrachtet waren vor allem ihre und Mark Andersens Vision einer politischeren Punkszene der Anstoß, der das Ganze in Gang brachte. Beide waren sie schockiert von den Bildern der Aufstände gegen das Apartheid-Regime in Südafrika, die allabendlich über die Fernseher flimmert, aber auch tief bewegt von der Tatsache, dass diejenigen, die sich da wüste Straßenschlachten mit den Sicherheitsorganen lieferten, in ihrem Alter, teilweise sogar jünger waren.
Es ist anzunehmen, dass den beiden das Thema Apartheid auch deshalb wichtig war, weil einiges daran in erschreckender Weise an ihre direkte Umgebung erinnerte. Auch die Bevölkerung von Washington war überwiegend schwarz, während diejenigen, die regierten, nahezu ausschließlich Weiße waren. Noch heute ist der harsche Gegensatz zwischen dem Prunk der Regierungsbauten und der Armut der sie umgebenden Bezirke der Stadt nur schwer zu begreifen. Damals jedoch, als der Präsident noch Reagan und nicht Obama hieß, war der Widerspruch noch um einiges drastischer.
Vielleicht auch deswegen waren die »Punk Percussion Protests«, die Andersens Gruppe Positive Force regelmäßig vor der südafrikanischen Botschaft abhielt, zumindest in dem Sinne ein Erfolg, dass sie in der Tat viele Leute aus der Punk- und Hardcoreszene anlockten und bei nicht wenigen von ihnen zu einer nachhaltigen Politisierung beitrugen. Bilder von den Protesten, wie sie auch in »Salad Days« zu sehen sind, zeigen unter den Teilnehmenden etliche Gesichter bekannter Musikerinnen und Musiker. Ian MacKaye, der gerade dabei war, mit Embrace einen würdigen Nachfolger für Minor Threat ins Leben zu rufen, war genauso vor Ort wie Dave Grohl und viele mehr.
Die wachsende Bedeutung von Politik war jedoch nur eine Dimension der Veränderung. Auch musikalisch war etwas in Bewegung geraten. Ein Blick in die Diskographie von Dischord Records genügt, um das nachzuvollziehen. Ursprünglich gegründet wurde, das Label 1980 von MacKaye und Jeff Nelson, dem Schlagzeuger von Minor Threat, um eine Single von MacKayes erster Band Teen Idles herauszubringen. Bis 1983 folgte mehr als ein Dutzend Platten voll ähnlich wüstem Hardcore, dann riss der Strom an Veröffentlichungen plötzlich ab. Ab Ende 1984 setzte dann eine weitere Welle von Plattenveröffentlichungen überwiegend neuer Bands ein, die sich bis weit in die neunziger Jahre fortsetzte. Der Sound des Labels hatte sich jedoch nahezu komplett gewandelt.
Bands wie Rites of Spring oder wenig später Fugazi erweitern die musikalischen Möglichkeiten dessen, was innerhalb von Hardcore geht, um ein Vielfaches, griffen Versatzstücke aus Rock und frühem Punk genauso auf wie Einflüsse aus dem Go-go, einer afro-amerikanischen Tanzmusik, die ebenfalls in D.C. beheimatet war. Teilweise gingen sie sogar soweit, dass mit Recht gefragt werden kann, ob das, was sie da spielten, nicht schon lange etwas anderes als Hardcore war. Manche nannten es Emocore – kurz für emotional hardcore. Doch Hardcore, wie er in D.C. gespielt wurde, war im Grunde schon immer emotional gewesen.
Man könnte auch behaupten, mit dem revolution summer sei Hardcore erwachsen geworden, aber dafür müsste man wohl erst einmal klären, was denn Erwachsensein eigentlich bedeutet. Fakt ist jedoch, dass die Szene in Washington zumindest versucht hat, die Idee des Punk mit neuen Inhalten zu füllen. Während anderswo Nietenkaiser und die Turnschuhfraktion krampfhaft versuchten, ein mythologisiertes Früher zu konservieren, haben Bands wie Gray Matter oder Marginal Man und die Szene, die sie umgab, den Schritt ins Neue und Ungewisse gewagt und damit auch Bands bis weit hinein in den Mainstream nachhaltig beeinflusst.
Einige dieser Bands zumindest, Fugazi etwa oder Soul Side, hätten es durchaus selbst verdient gehabt so groß zu werden wie etwa die Gruppen, die wenig später als Grunge vermarktet wurden. Doch es gehört zu der Schönheit der Geschichte der Szene von D.C., dass sie immer bei sich selbst geblieben ist, dass sie – außer Dave Grohl – keine Megastars hervorgebracht hat. Hier war und ist die Szene selbst der Star. »Salad Days« setzt ihr ein würdiges Denkmal.

http://saladdaysdc.com