Frankreich will nicht in Libyien intervenieren

Bloß nicht vordrängeln

2011 war Frankreich führend an der Intervention in Libyen beteiligt. Jetzt gibt man sich wesentlich zurückhaltender.

In manchen Augenblicken klingt es, als habe Muammar al-Gaddafi nicht zu ewiger Ruhe gefunden, sondern nur die ideologische Grundlage gewechselt. Vergangene Woche drohten die Jihadisten des »Islamischen Staats« (IS), die sich in Ostlibyen im Küstenhinterland festgesetzt haben, den europäischen Ländern mit einem »Chaos im Mittelmeer«. Dieses würden sie herbeiführen, indem sie »Migranten auf Tausende von Booten« setzen und gen Europa schicken. Ähnliches hatte bereits der im Oktober, langjährige libysche Diktator im Frühjahr 2011 verkündet, bevor er später im selben Jahr getötet wurde. Seinerzeit drohte er auf diese Weise insbesondere Frankreich, dessen Präsident Nicolas Sarkozy zusammen mit dem britischen Premierminister David Cameron im März 2011 die Führung bei der militärischen Intervention gegen sein Regime übernommen hatte.

Derzeit scheint die französische Regierung hingegen vergleichsweise zögerlich, sich bei einer möglichen Intervention gegen die IS-Niederlassung in Libyen in die erste Reihe zu stellen. Auch wenn Frankreich am Montag dieser Woche seinen Flugzeugträger »Charles de Gaulle« im Arabisch-Persischen Golf erstmals zum Einsatz brachte, um gegen den IS im Irak militärisch vorzugehen, und dadurch seine im September dort begonnene Intervention ausweitete. Beim IS in Libyen hat es Frankreich scheinbar nicht so eilig.
Doch die französische Regierung setzt vor allem darauf, nicht als Initiator einer eventuell bevorstehenden militärischen Intervention in Libyen im Vordergrund zu stehen. Ein Grund dafür ist, dass vermutet wird, das Anschlagsrisiko in Frankreich steige erheblich, wenn das Land an vielen Fronten zugleich im Einsatz und dadurch besonders exponiert sei. Neben dem derzeit laufenden Irak-Einsatz dürfte noch ein weiterer in Vorbereitung sein, nämlich gegen Boko Haram in der Region, die den Norden Nigerias, den Tschad und Kamerun umfasst. Die französische Regierung hat den dortigen Staaten, besonders denen der französischen Einflusssphäre, bereits Unterstützung zugesagt, und ein Anruf aus Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, ist wahrscheinlich. Auf ähnliche Weise möchte Frankreich auch bei einem militärischen Einsatz in Libyen gegebenenfalls gern von regionalen Verbündeten zu Hilfe gerufen werden und wenn möglich hinter ihnen verdeckt agieren.
Am 5. Februar 2014 hatte der Innenminister von Niger, Massoudou Hassoumi, im französischen Auslandsradiosender RFI eine Intervention auswärtiger Mächte in Südlibyen gefordert, das er als »Brutstätte für terroristische Gruppen« bezeichnete. In Niger sind französische Truppen stationiert, für die erst im vergangenen November eine neue Militärbasis eingeweiht wurde. Die Basis liegt in Madama, im Nordosten des Landes, nur 100 Kilometer von der libyschen Grenze entfernt. Niger, aus dessen Boden zwischen 35 und 40 Prozent des in französischen Atomkraftwerken gebrauchten Urans geschürft werden, ist zudem ökonomisch und politisch stark von Frankreich abhängig.
Auch der Präsident des Nachbarstaats Tschad, Idriss Déby Itno, forderte unter anderem Frankreich und die USA wiederholt dazu auf, in Libyen zu intervenieren. Zum Abschluss des sicherheitspolitischen »Forums von Dakar« in der senegalesischen Hauptstadt, das vom französischen Verteidigungsministerium mitorganisiert worden war, rief Idriss Déby am 16. Dezember 2014 aus: »Die Nato hat ihr Ziel erreicht, nämlich Gaddafi zu ermorden, aber sie hat den Kundendienst nach Verkauf vergessen.« Die Nato – im Falle Libyens im Jahr 2011 wurde sie vor allem von Frankreich repräsentiert – habe das jetzige Chaos in Libyen verursacht. Nur sie habe die Mittel, das zu reparieren, was sie, Idriss Déby zufolge, durch ihre Mitwirkung am Sturz Gaddafis angerichtet habe. Gaddafi war in Syrte von Rebellen gelyncht worden. Zu seinen Lebzeiten hatte Idriss Déby enge Verbindungen zu ihm unterhalten und ihn politisch sowie zum Schluss auch militärisch unterstützt.

Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, der seine Sylvesterfeier und die ersten Tage des neuen Jahres im Tschad verbrachte – beim Feiern mit dort stationierten französischen Soldaten, aber auch zu Konsultationen mit den örtlichen Regierungsvertretern – gilt seit längerem als Befürworter einer Intervention in Libyen. In einem ausführlichen Interview mit Le Figaro vom 5. September vorigen Jahres warnte er, Südlibyen sowie der Raum um Derna im Osten des Landes drohten zur »Plattform« für terroristische Aktivitäten zu werden. Staatspräsident François Hollande hielt sich dagegen bislang zurück, auch aus Rücksicht auf die Interessen von Regionalmächten, deren Regierungen ungern eine Ausweitung von militärischen Aktivitäten Frankreichs oder der USA in ihren Einflusszonen sähen.
Algerien etwa gilt als eher skeptisch und hatte sich auch der Intervention gegen Gaddafi von 2011 energisch widersetzt. Allerdings hielt der französische Generalstabschef Pierre de Villiers sich Mitte September zu Konsultationen in Algier auf; dabei konnten Einwände der dortigen Regierung gegen ein Eingreifen in Libyen möglicherweise entkräftet werden. Tunesiens Regierung spricht sich bislang ebenfalls gegen eine auswärtige militärische Intervention in der Region aus, wohl auch deshalb, weil sich rund eine Million Libyer als Flüchtlinge, Grenzgänger oder formal als »Touristen« auf tunesichem Boden aufhalten.
Auch Ägypten lehnte lange eine westliche Militärintervention in Libyen ab und sprach sich für eine »arabische Lösung« aus. Das hat sich mittlerweile geändert, Ägypten würde sich ein Eingreifen der Uno wünschen, doch davon ist derzeit nicht auszugehen. Die Beziehungen des repressiven Regimes unter Abd al-Fattah al-Sisi zu Frankreich haben sich in jüngster Zeit allerdidings stark verbessert. Ganz besonders, seit am Montag vergangener Woche in Kairo der Vertrag über die Lieferung von 24 französischen Kampfflugzeugen vom Typ Rafale unterzeichnet wurde. Es handelt sich um den ersten internationalen Liefervertrag überhaupt für das bislang schwer verkäufliche Kampfflugzeug. Finanziert wird der Kauf allerdings, angesichts defizitärer ägyptischer Staatskassen, von Saudi-Arabien.