Der Film »Heute bin ich Samba«

Der drohenden Abschiebung den Müsli-Riegel vorschieben

Der jetzt in den deutschen Kinos anlaufende Film »Heute bin ich Samba« knüpft an den Erfolg von »Ziemlich beste Freunde« an. Die Kulturindustrie hat mit der Multikulti-Komödie ein neues Genre geschaffen.

Ökonomischer Erfolg kann von unangenehmer Unbeständigkeit sein. Wo genau und in welcher Höhe er zu erwarten ist, stellt eine Batterie von Gehirnen, organisiert in den Wirtschaftswissenschaften, vor nicht unerhebliche Probleme. Es scheint am einfachsten, Erfolge durch Nachahmung zu wiederholen. »Keine Experimente«, so lautet die Devise. Zumindest so lange, wie sie nicht nötig sind. Weil sich jedoch die Effekte abnutzen und die Masse der Konsumenten gegenüber dem einfachen Betrug den geschickten bevorzugt, muss die große Industrie einen Ausgleich zwischen Tradierung des Erfolgs und bedächtiger Innovation schaffen; die Wiederkehr des Immergleichen als Neues. Die ökonomisch fortgeschrittensten Filmindustrien Europas, die französische und die deutsche, halten es ebenso. Frankreich ist es gelungen, nach den USA der größte Filmexporteur der Welt zu werden – nicht zuletzt aufgrund eines nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichteten umfassenden Filmförderungssystems. Der Umsatz beläuft sich auf über zehn Milliarden Euro pro Jahr. Frankreich stellt, was man im Deutschland bis jetzt nur neidisch zur Kenntnis nehmen kann, die einzige international konkurrenzfähige europäische Filmwirtschaft. Sie ist in der Lage, Maßstäbe zu setzen.
Das gegenwärtige Erfolgsgenre aus Frankreich nennt sich in Ermangelung eines besseren Begriffs Multikulti- oder Culture-Clash-Komödie. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Um Kultur – oder wie man heute zu sagen bevorzugt: Kulturen – geht es dabei keineswegs. Das ist eine modische Chiffre, mit der gesellschaftliche, das heißt vor allem ökonomische Probleme verhandelt werden.
Der erfolgreichste Film dieses Genres im vorigen Jahr war »Monsieur Claude und seine Töchter«. Der Protagonist ist die Karikatur eines konservativen Gaullisten, den die Partnerwahl seiner vier Töchter betrübt. Das ist kurios, handelt es sich doch bei allen vier Schwiegersöhnen um aufrechte Franzosen in Gestalt eines Bankiers, eines Rechtsanwalts. eines Geschäftsmanns und eines Schauspielers. Doch der Patriarch hat Vorurteile gegen Chinesen, Araber, Juden und Schwarze, was die vier Erfolgsfranzosen jeweils sind. Und weil nicht nur der Alte, sondern alle Beteiligten Vorurteile gegen alle haben, ist die Stimmung in der Familie, milde gesagt, etwas gedämpft. Doch mithilfe eines Besäufnisses, einer Hochzeit und eines gemeinsamen Businessplans wird die Familie des neuen Frankreich hergestellt. Alle Beteiligten erkennen, dass sie trotz der vermeintlichen Unterschiede Leistungsträger der Gesellschaft sein können und wollen. Die Vorurteile lassen sich schnell ausräumen und man kommt nicht in die Verlegenheit, dass aus einem Vorurteil ein Urteil wird. Das alles ist wenig plausibel und zudem wenig unterhaltsam. Fast gefährlich naiv verhält sich der Film gegenüber dem vorgeblichen Ziel seines Spotts, dem politischen Konservatismus. Wenn sich der, wie im Film gezeigt, als harmlose Spinnerei erweist, die im Zweifel auch weggesoffen werden kann, ist man bei einer Form der Auseinandersetzung angelangt, welche man in einem Land, in dem die politische Realität durch Marine Le Pen, brutalen Antisemitismus und Jihadismus geprägt ist, nur als Selbstbetrug mit offenen Augen bezeichnen kann. Dementprechend gequält fällt der Humor aus.
Olivier Nakache und Éric Toledano haben mit dem Film »Ziemlich beste Freunde« (2011), der weltweit 51 Millionen Menschen zum Erwerb einer Kinokarte hat animieren können und inzwischen Remakes und Theaterstücke inspiriert, dem Genre zu einem durchschlagenden Erfolg verholfen. Der Film hat, ähnlich wie »Die fabelhafte Welt der Amélie« für das Genre der romantischen Komödie, ein Modell geschaffen. Verfilmt wurde die Geschichte des steinreichen Adeligen Philippe Pozzo di Borgo, der seit einem Unfall beim Paragliding vom Hals abwärts gelähmt und auf die Hilfe einer Pflegekraft angewiesen ist. Die findet er mit dem Algerier Abdel Yasmin Sellou, dessen Herkunft im Film in das subsaharische Senegal, ebenfalls ehemalige französische Kolonie, verlegt wird. Doch nicht nur das. In einem Interview sagte Sellou, dass er »auf der Leinwand (…) von einem großen, athletischen Mann« verkörpert werde. »Ich hingegen bin klein und dick und sehe eher aus wie Shrek. Ich kann auch nicht tanzen und erst recht nicht malen.« Die sogenannte wahre Begebenheit wird künstlerisch überformt, die Details werden zum Teil ins Gegenteil verkehrt. Das ist weder ungewöhnlich noch verwerflich. Doch welchem Zweck dient die Abweichung von der Vorgabe? Sie strukturiert die Geschichte, damit sie auf ein Schema angewendet werden kann. Der Film handelt von schlichten Gegensatzpaaren nach der Art eines Buddy-Movie. Das trostlose Grau der Sozialbauten der Vorstädte gegen den farbenfrohen und verspielten Louis-quinze-Stil des Stadtpalais. Tänzerisches Geschick und Sinnlichkeit gegen den gelähmten Körper mit dem hypertrophen Geist. Zum Ende erweist sich, dass die Gegensätze ohne einander nicht lebensfähig sind. Dementsprechend gibt es Szenen der Annäherung zwischen den beiden Protagonisten: Wenn die beiden gemeinsam einen Joint durchziehen und sich mit Prostituierten vergnügen, stellt der Zuschauer befriedigt fest, dass vor seinen Augen die festen Grenzen der Klassengesellschaft niedergerissen werden.
Der latente Gehalt der Figuren, der durch die Stilisierung der Personen der Vorlage forciert wird, führt zu einer Meta-Erzählung. Die Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft erweist sich als metaphorische Darstellung gesellschaftlicher Arbeitsteilung im neo­kolonialen Zeitalter. Die Entgegensetzung stellt das alte Europa im Verhältnis zur afrikanischen Peripherie dar. Der angesammelte Reichtum und die Verwissenschaftlichung der Produktion sind gegenüber dem kapital- und eigentumslosen Schwarzafrikaner, dessen einziges Gut seine Arbeitskraft ist, der entscheidende Vorteil in der Konkurrenz, doch ohne lebendige Arbeitskraft funktioniert es im Kapitalismus auch nicht. »Er ist groß, kräftig, hat zwei Arme, zwei Beine, ein funktionierendes Gehirn, er ist gesund«, sagt Philippe (François Cluzet) über seinen Angestellten Driss (Omar Sy). Die Kraft des Körpers erscheint als natürliche Eigenschaft dessen, der weiter nichts zu verkaufen hat. Die einfachste Form der Arbeitskraft wird als Natureigenschaft seines Trägers dargestellt. Die Unveränderlichkeit der Gesellschaft wird durch diesen Schein mitgesetzt. Der Film ist die Apologie der Gesellschaft, wie sie ist – der Spaltung in Besitzende und Besitzlose, der Verfügung mittels Kapital über fremde Arbeitskraft. Die Freundschaftsgeschichte erzählt dieses Verhältnis als eines der gegenseitigen Hilfe. Die gelangweilte europäische Bourgeoisie, der Schubert und Chopin im Grunde auch schon zum Hals heraushängen, wird durch die vermeintlich angeborene Sinnlichkeit des exotischen Lohnsklaven mittels Tänzchen und Earth, Wind & Fire auf den Stand der Zeit gebracht, während letzterer beim nächsten Bewerbungsgespräch davon profitieren kann, dass sein vorheriger Herr bei seinen Bemühungen um die Zivilisierung des Schwarzen die europäische Malerei zu erwähnen nicht ausgelassen hat.
Nun kommt der neue Film von Nakache und Toledano, »Heute bin ich Samba«, in die deutschen Kinos. Wie bei »Ziemlich beste Freunde« wird die Hauptrolle von Omar Sy gespielt. Die Geschichte dreht sich abermals um einen Senegalesen, der in Paris arbeitet, in diesem Fall Samba heißt und plötzlich in Kontakt mit der zwar weder adeligen noch steinreichen, aber immerhin wohlhabenden Alice (Charlotte Gainsbourg) kommt. Alice hat ein Burn-out. Das schränkt ihre Funktionalität naturgemäß erheblich ein – sie kann nicht arbeiten –, weswegen sie angestrengt über die Änderung ihres Lebens nachdenkt. Sie probiert es mit dem Streicheln von Pferden. Das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend. Also probiert sie es mit Flüchtlingen. Das erfüllt die Erwartungen an den Heilungserfolg. Doch von vorne. Alice möchte sich, aufgrund ihrer persönlichen Krise, für Flüchtlinge engagieren. Gegen den Rat der Kollegin gibt sie Samba, der seit zehn Jahren als Koch in einem Pariser Restaurant arbeitet und aufgrund unglücklicher Umstände in Abschiebehaft gelandet ist, einen Müsliriegel und ihre Telefonnummer, erste Zeichen der Sympathie. Samba kommt wieder frei, ist aber weiterhin von der Abschiebung bedroht. Zwischendurch sind beide sehr wütend aufeinander, woraufhin sie sich im Anschluss noch mehr mögen. Samba arbeitet nicht mehr in der Küche, sondern versucht sich zusammen mit Wilson (Tahar Rahim), einem Algerier, der behauptet Brasilianer zu sein, durchzuschlagen – zum Beispiel auf dem Bau. Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt, als Alice und Samba – wie zeitgleich Wilson und Manu – miteinander schlafen. Das löst alle Probleme. Das Burn-out ist nahezu verschwunden und die endgültige Genesung bringt ein buntes afrikanisches Glückshemd. Am Ende sind die beiden in ihrer Arbeitsfunktionalität wiederhergestellt und dementsprechend glücklich: Alice als Manager in einem großen Konzern und Samba, wie sollte es anders sein, wieder in der Küche.
Nach Auskunft der Regisseure Nakache und Toledano soll der Film das problematische Verhältnis der Protagonisten zur Arbeit darstellen, welches die Figuren reflektieren. Unbeachtet bleibt, dass eine im Arbeits- wie Geschlechtsleben frustrierte Mittelschichtsfrau ihr Verhältnis zur Arbeit völlig anders »reflektieren« wird als ein von der Abschiebung bedrohter ­Illegaler. Bei »Heute bin ich Samba« tritt zur Pseudonatürlichkeit der körperlichen Arbeit an der Figur des Schwarzen die Sexualität hinzu, zur Kraft der Gliedmaßen die der Lenden. Als Schlüsselszene erweist sich nämlich, wie Alice Samba beim Umkleiden beobachtet und dessen entblößten Oberkörper mit begehrlichen Blicken mustert. Der Film bietet Sexualität als Lösung an. Doch welche? Sexuelle Spannung oder unbekannte Lust kommen in dem Film ebenso wenig vor wie Sexualität als die Konventionen verletzende und problematische Macht des Triebes. Allenfalls gibt es eine therapeutisch bereinigte Sexualität, deren Funktion ähnlich dem Streicheln von Pferden ist: Narzisstische Erbauung.
Nicht zuletzt muss die vorgebliche sexuelle Anziehung alle Lücken des Drehbuches füllen. Alice, die vom Burn-out geplagte Karrierefrau, ist eine Figur ohne Umfeld und ohne Geschichte, nicht zuletzt ohne Interessen und Motivation. Allein ihre als Blockade im Job erlebte Erkrankung und eine Art sexueller Neurose konturieren die Figur. Das fällt weiter nicht ins Gewicht, weil die Figur durch einen Star und dessen Bild ersetzt wird. Charlotte Gainsbourg verkörpert, vor allem durch ihre Rollen in Filmen von Lars von Trier, einen Typus. Eine künstlerische Gestaltung von Rollen ist überflüssig, wenn man diesen Vorgang durch ein Image kompensieren kann. Eine Figur durch das Bild eines Stars zu ersetzen, gehört zur Ablösung der Kunst durch Reklame, wie es die Kulturindustrie betreibt. Die Regisseure Nakache und Toledano weisen unverhohlen darauf hin, wenn sie bestimmte Aspekte der Figur Samba in Bezug auf die Rolle von Omar Sy in »Ziemlich beste Freunde« erklären; immanent künstlerische Aspekte spielen keine Rolle, sondern die Rolle wird im Bezugssystem des Schauspielstars entwickelt.

Heute bin ich Samba (F 2014). Regie: Olivier Nakache und Éric Toledano. Darsteller: Omar Sy, Charlotte Gainsburg, Tahar Rahim. Start: 26. Februar