Der Streik der britischen Bergarbeiter, der vor 30 Jahren mit einer Niederlage endete

Letztes Gefecht verloren

Vor 30 Jahren endete der längste Streik der europäischen Geschichte. Ein Jahr hatten britische Bergarbeiter ihre Arbeit niedergelegt, um gegen die wirtschaftlichen Umstrukturierungen der Regierung von Margaret Thatcher zu protestieren. Dieser Protest, der Tote und Verletzte forderte, endete mit einer verheerenden Niederlage. Es war der Anfang vom Ende der traditionellen Arbeiterbewegung über die Grenzen Großbritanniens hinaus.

»Das Land ist taub gegenüber unseren Klagen, sein Bauch geschwollen von schwarzen Leichen und rachsüchtigem Aas«, lässt David Peace in seinem Roman »GB84« über den längsten Streik der europäischen Nachkriegsgeschichte einen seiner Helden nach der endgültigen Niederlage der britischen Bergarbeiter sinnieren angesichts einer »Zukunft, die sich keiner von uns leisten kann«. Ihm erscheint Margaret Thatcher im Traum, »an der Spitze ihres Stammes und triumphierend auf den Bergen unserer Schädel«, um den unglücklichen Verlierern drohend zuzurufen: »Erwacht! Erwacht! Dies ist England! Euer England – im Jahre null.«
Immerhin ein Jahr hatten die seit 1979 regierenden Tories gebraucht, um die Stunde null eines »New Britain« ohne alle Blockaden kapitalis­tischer Wettbewerbsfähigkeit gegen die traditionell widerspenstigste Bastion der britischen Arbeiterklasse durchzukämpfen. Umso euphorischer fiel ihre Reaktion nach dem Sieg über die Bergleute aus. Am Tag des endgültigen Streikendes, dem 5. März 1985, höhnte Schatzkanzler Nigel Lawson im Namen des Kabinetts und der Konservativen, Thatcher habe den Chef der National Union of Mineworkers (NUM), Arthur Scargill, »an die Wand genagelt«. »Jedes Pfund, das uns der Streik gekostet hat, war zum Wohl des Volkes angelegt«, triumphierte Lawson damals. Nach den Berechnungen des Labour-Abgeordneten und ehemaligen und Energieministers Tony Benn waren es immerhin acht Milliarden Pfund, damals mehr als 30 Milliarden D-Mark. Dass sich dies gelohnt habe, daran ließ nicht nur Lawson keinen Zweifel aufkommen.
In ihren Erinnerungen bezeichnete Thatcher die Ereignisse als zentralen Sieg ihrer Politik: »Der einjährige Bergarbeiterstreik von 1984 war das letzte Aufbäumen des alten Gewerkschaftssystems«, heißt es dort, »seit jenem Jahr hat Großbritannien keinen bedeutenden Arbeitskampf mehr erlebt.«

Die Schlacht von Orgreave
Wie entschlossen die Regierung bei der Verfolgung ihrer Ziele vorgehen würde, war bereits in den ersten Streikwochen deutlich geworden. Keine zwei Wochen nach dessen Ausrufung durch die NUM wurden in Nottingham am 12. März 1984 zwei Streikposten, David Jones und Joe Green, von der Polizei getötet und 4 000 Kumpel zeitweise inhaftiert. »Die Demokratie wäre am Ende, wenn der Herrschaft des Mobs nachgegeben würde«, kommentierte Thatcher die Ereignisse in dem ihr eigenen Zynismus im Unterhaus. Dann folgte das Desaster von Orgreave. Dort, nur wenige Kilometer von der Gewerkschaftszentrale in Sheffield entfernt, waren die flying pickets, die mobilen Streikposten der NUM, schon einige Wochen vor jenem denkwürdigen 18. Juni daran gescheitert, die riesige Kokerei, die die Stahlwerke der Umgebung versorgte, zu blockieren und den Streik so auf andere Wirtschaftssektoren auszudehnen. Nun versammelte die NUM rund 10 000 ihrer Mitglieder dort. Mehr als 6 000 Polizisten der neu gebildeten riot squad-Einheiten standen den Arbeitern gegenüber, und sie gingen mit bis dahin nie gesehener Brutalität auf die Streikenden los, die bei sommerlichen Temperaturen in T-Shirts und Turnschuhen gekommenen waren. Fast 100 Festnahmen, mehr als 50 Schwerverletzte, die teilweise von den immer wieder in die Streikpostenketten hineingetriebenen Polizeipferden überrannt worden waren, und Tausende zusammengeschlagene und des­illusionierte Bergarbeiter waren das Ergebnis des Tages.
Dabei sollte dieser Kampf nach dem Willen Scargills eigentlich zu dem werden, was Saltley bei Birmingham 1972 gewesen war: Ein Sieg über die Regierung – damals unter dem Konservativen Edward Heath –, die den britischen Klassenkompromiss fundamental in Frage gestellt hatte. Hier hatte die NUM die Strategie der flying pickets entwickelt und die Stahl- und die Transportarbeiter der Region zu gemeinsamen Streikaktionen und zur Blockade des dortigen Kohlendepots bringen können. Nach Jahren des Lohnstopps konnten so Lohnerhöhungen von 27 Prozent im seit 1947 verstaatlichten Kohlebergbau durchgesetzt werden, die auch auf andere Branchen übertragen wurden. Wie bedeutsam dieser Sieg war, konnte man im Wahlkampf von 1974 sehen. Heath führte diesen unter dem Slogan: »Wer regiert das Land – die Gewerkschaften oder das Parlament?« – und verlor.

»Freier Markt, starker Staat, eiserne Zeiten«
1984 waren die Tories besser gerüstet. Dies betraf nicht nur die Bildung der gefürchteten und durch das National Reporting Centre landesweit koordinierten Bürgerkriegspolizei, die, wie später eine Untersuchungsausschuss feststellte, von »inoffiziellen« Schlägertrupps unterstützt wurde, die unter ehemaligen Soldaten, Hooligans und Anhängern des National Front rekrutiert worden waren. Vor allem politisch hatte sich die Regierung Thatchers auf die Entscheidungsschlacht gegen die Kumpel, die seit dem Generalstreik von 1926 stets die Speerspitze aller sozialen Auseinandersetzungen dargestellt hatten, langfristig vor­bereitet. Bereits in der Opposition hatte Thatcher Pläne zur Umsetzung des von ihr unter dem Dreischritt »freier Markt, starker Staat, eiserne Zeiten« propagierten Programms zur Revitalisierung des ökonomisch schwächelnden Vereinigten Königreiches nach neoliberalem Muster erarbeiten lassen. Der »Lösung des Gewerkschaftsproblems« – so der Titel einer programmatischen Denkschrift des Vordenkers des Thatcherismus und späteren Industrieministers Keith Joseph  – sollte dabei neben den Privatisierungen die größte Aufmerksamkeit gelten.
Präzisiert wurde das künftige Vorgehen 1978 schließlich von Josephs späterem Staatssekretär Nicholas Ridley. In dessen Plan, der durch Indiskretionen noch im selben Jahr vom Economist veröffentlicht worden war, wurde empfohlen, Sektor für Sektor von Gewerkschaften, Tarifbindung und Mitbestimmung freizukämpfen, Streikbrecher frühzeitig anzuwerben, die Polizei aufzurüsten und Streikende künftig von Sozialleistungen auszuschließen, um den finanziellen Druck auf sie zu erhöhen. Als »wahrscheinlichstes Schlachtfeld«, auf dem die Kämpfe um das »Neue Britannien« stattfinden würden, machte Ridley wenig überraschend den Bergbau aus. Er empfahl hier zusätzlich, die Kohlereserven langfristig aufzustocken, Importabkommen abzuschließen, gegen eventuelle Solidaritätsstreiks der Eisenbahner gewerkschaftlich unorganisierte LKW-Fahrer anzustellen und die Kraftwerke so umzurüsten, dass sie notfalls auch auf den Betrieb mit Erdöl umgestellt werden könnten.
An die Macht gekommen, begannen die Konservativen umgehend mit der Umsetzung ihrer Vorhaben. Im Herbst 1979 hatten die Stahlarbeiter, trotz regionaler Solidaritätsstreiks der NUM, gemessen an der Inflationsrate von über 20 Prozent Lohneinbußen und den Abbau von etwa 150 000 Arbeitsplätzen hinnehmen müssen. Nachdem die Sozialleistungen im großen Maßstab eingeschränkt worden waren, kündigte das National Coal Board (NCB), die staatliche Bergbauaufsicht, der die Bergwerke unterstanden, 1981 die Schließung von 23 Gruben an. Noch aber bekam die Regierung den sofort einsetzenden landesweiten Streik der NUM nicht in den Griff. Mit dem Employment Act schuf sie aber eine Grundlage ihres späteren Sieges. Das Verbot gewerkschaftlicher Organisation im Öffentlichen Dienst und von Solidaritätsstreiks, die Begrenzung auf sechs Streikposten pro Betrieb, die Verpflichtung der Gewerkschaften zu Schadenersatzzahlungen an bestreikte Betrieben, die schließlich zur Pfändung der Kassen der NUM führen sollte, und die Absage an das Prinzip des closed shop, also das Vetorecht der Betriebsräte bei der Einstellung nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeiter, waren Maßnahmen, die allesamt zum Einsatz kamen und es der Regierung und dem späteren Chef des NBC, Ian McGregor, erleichtern sollten, einen historischen Sieg über die NUM zu erringen.

Die Bergarbeiter: Der »innere Feind«
Nach dem gewonnen Falkland-Krieg und in einem Klima des aufgeheizten Nationalismus war es dann 1984 so weit. Nun blies Thatcher zum Sturm auf den »inneren Feind«, wie sie, sekundiert von allen Massenmedien – die konservative Wochenzeitung The Spectator bezeichnete die Miners gar als »menschlichen Bodensatz« – die NUM nunmehr bezeichnete. Die Kohlehalden, die zu Beginn dieses Jahres bereits 38 Millionen Tonnen gelagert hatten, wurden in wenigen Wochen auf 57 Millionen Tonnen aufgestockt, vier Atomkraftwerke vorzeitig ans Netz genommen, um die Stromversorgung von der Kohle unabhängiger zu machen. Verträge mit den USA, Austra­lien, der Bundesrepublik und sogar der Volksrepublik Polen sorgten dafür, dass im Falle eines Streiks größere Kontingente von Kohle nach Großbritannien geliefert werden würden.
Am 1. März verkündete McGregor die Schließung von 25 »unrentablen Minen« und die Einsparung von insgesamt 25 000 Arbeitsplätzen. In einem weiteren Schritt sollten weitere 45 000 Jobs gestrichen, Privatisierungen vorgenommen und langfristig alle Subventionen, vor allem die 1,1 Milliarden Pfund für den Bergbau, zugunsten der Förderung des Nordseeöls und der Weiterentwicklung der Atomenergie abgeschafft werden.

Divided we fall
Diesmal gelang es der NUM nicht, einen landesweiten Streik dagegen zu organisieren. In Nottinghamshire, dem nach Yorkshire zweitgrößten Bezirk der Gewerkschaft, verweigerten sich die dort traditionell konservativen Bergarbeiter mehrheitlich dem ungeschriebenen Gesetz, niemals die Streiklinie zu übertreten und bildeten schließlich die offensiv von NCB und Regierung geförderte Union of Democratic Mineworkers. Auch unterblieben jenseits der zudem lediglich zeitlich begrenzten Maßnahmen der Liverpooler Docker, der Eisenbahner und der eigenständig organisierten Steiger längerfristige Unterstützungsstreiks der anderen Gewerkschaften des TUC, des Dachverbandes der britischen Gewerkschaften. Vor allem die Verweigerung der mächtigen Stahlarbeitergewerkschaft ISTC verringerte die Handlungsmöglichkeiten der britischen Arbeiterklasse. Mit den berühmt gewordenen Worten »Wir werden uns nicht auf einem fremden Altar opfern« verweigerte ISTC-Boss Bill Sirs den Miners die Solidarität.
Auch die Labour Party unter Neil Kinnock, der beim Parteitag im Herbst die »Gewalt der Streikposten« aggressiv denunzierte, stellte sich demonstrativ nicht an die Seite der 170 000 Streikenden. Obwohl der stalinistisch geprägte Scargill Kinnock dort offensiv »Klassenkollaboration« vorwarf, fand sich die NUM weder bereit, mit Labour fundamental zu brechen, noch über die Köpfe der Gewerkschaftsbürokraten hinweg den Generalstreik auszurufen, der die letzte Vertei­digungslinie gegen den Thatcherismus und die Isolation der finanziell und physisch erschöpften Bergarbeiter hätte sein können. So wurden nach den Erfahrungen des »längsten, härtesten und wahrscheinlich bittersten Streik, den die Welt gesehen hat« (Scargill), die Eisenbahner, Drucker und Hafenarbeiter fast kampflos zur Schlachtbank geführt.
Trotz der legendären Opferbereitschaft der Miners, die in den finanziellen Ruin getrieben wurden, und trotz der Hunderttausenden von Unterstützern aus sozialistischen Gruppen und Parteien, Frauen- und Umweltinititativen und autonomen Gruppen überall im Land konnte die Schwäche der britischen Bergarbeiter kaum verborgen werden. Das galt zunächst quantitativ. Von den 1,25 Millionen Bergarbeitern Großbritanniens der zwanziger Jahre und den immer noch 700 000 im Jahre 1947 waren bei Regierungsantritt Thatchers nur noch 270 000 übrig geblieben. Auch ihre gesellschaftliche Macht war verringert, da sowohl Labour als auch die Konservativen die Umstellung der Energieversorgung auf Öl und Atomenergie forcierten. Diese veränderten »energiepolitischen Konzepte« waren letztlich die »Basis für eine entschlossene konservative Regierung, die Gewerkschaftspolitik im Kohlesektor zu ihren Gunsten zu verändern« und die Bergarbeiter in die Knie zu zwingen, wie Gero Fischer in seiner Untersuchung »United we stand – divided we fall« über den britischen Bergarbeiterstreik schreibt.

Vom Klassenkompromiss zu New Labour
Letztlich war es aber vor allem die Globalisierung der Produktion als Antwort auf die fallenden Profitraten, die der von der NUM in ihrem »Plan for Coal« vorgesehenen konzeptionellen Mischung aus Importkontrollen und Subventionen im vom Internationalen Währungsfonds mitverwalteten Großbritannien genauso die Grundlage entzog wie in den anderen Industriestaaten.
Der Übergang vom Klassenkompromisses zu New Labour, der sich bereits in der Lohnstopp-Politik der Labour-Regierungen der siebziger Jahre abgezeichnet hatte, von Kinnock weitergetrieben und von Tony Blair endgültig vollzogen wurde, hatte hier seinen Ursprung.
Weder die NUM in ihrem letzten Gefecht der alten Arbeiterbewegung, noch die nach ihr kommenden Bewegungen haben auf die Standortkonkurrenz mit ihrer permanenten Infragestellung des bisher gültigen »historisch-moralischen Elements« (Marx) der Lohnhöhe eine adäquate Antwort gefunden. Im Ergebnis ist nicht nur die 1994 endgültig privatisierte britische Kohleindustrie genauso wie die meisten anderen traditionellen Industriezweige verschwunden – derzeit gibt es gerade noch 6 000 Bergarbeiter in Großbritannien, die NUM hat mittlerweile weniger als 2 000 Mitglieder –, sondern auch Streiks gibt es dort, wie überall in den OECD-Ländern, fast gar nicht mehr. Hatte es in den siebziger Jahren noch durchschnittlich 12,9 Millionen Streiktage pro Jahr gegeben, waren es in den neunziger Jahren lediglich 660 000. Der von Scargill nach der Niederlage angekündigte »permanente Guerillakrieg der Arbeiterklasse« blieb nur ein Wunsch. Die Vermögensverteilung hat sich – auch dank der von Thatcher, ihrem Nachfolger John Major und anschließend auch von Tony Blair betriebenen regressiven Lohnpolitik und der großzügigen Steuersenkungsprogramme – seit Mitte der achtziger Jahre permanent zuungunsten der Subalternen verschoben. Auch dies ist ein internationales Phänomen, für das neben den USA auch Großbritannien stilbildend war. MacGregor hatte dies im März 1985 bereits in seine triumphalistischen Worte gekleidet: »Jetzt machen wir sie alle fertig.«