Die Black-Metal-Band Ghost Bath

Die Kaiser von China

Ein Täuschungsmanöver mit Folgen: Die Black-Metal-Band Ghost Bath stammt gar nicht aus China.

Black Metal, der nach Deafheaven klingt. Aus China. Eine perfekte Kombination: boomendes und anrüchiges Genre, exotische Herkunft und große Ähnlichkeit zum derzeit einflussreichsten Act der Szene.
Das ist die Geschichte der Band Ghost Bath, die soeben ihr zweites Album namens »Moonlover« veröffentlicht hat – und sie ist falsch. Ein PR-Stunt. Ghost Bath kommen nicht aus China. Mein Artikel war bereits geschrieben, als herauskam, dass die fünf Mitglieder der Band aus North Dakota stammen. Zugegeben, manche Dinge konnten einen schon vorher stutzig werden lassen, die chinesischen Namen ergaben in der Übersetzung plötzlich sehr vertraute, westliche Namen. Und das Englisch bei Facebook und in Interviews schien perfekt. Aber wie rassistisch ist das, daraus herzuleiten, es könne sich nicht tatsächlich um eine chinesische Band handeln?
Trotz der Tatsache, dass die harte Gitarrenschiene mit Einflüssen von Black Metal und Postrock seit einigen Jahren boomt, ist klar, dass die vermeintlich exotische Herkunft das Interesse an Ghost Bath immens steigerte. In keiner Empfehlung der vergangenen Wochen, die auf den gigantischen Vorabsong »Golden Number« folgten, fehlte der direkte Hinweis auf China. Dass nun über die Falschinformation diskutiert werden kann, ist auch nicht von Nachteil.
Aber darf es etwas am Urteil über ihre Musik ändern, dass die Ortsangabe falsch war, dass die Band genau genommen gelogen hat? Nachdem zuvor nur das Gerücht die Runde gemacht hatte, womöglich sei nicht alles wahrheitsgemäß, veröffentlichten Ghost Bath auf ihrer Facebook-Seite ein Statement, in dem sie ihre persönliche Existenz als Nichtigkeit abtaten – es gehe allein um die Musik, den Affekt, das größere Ganze. In einem Interview mit Noisey, in dem sich die Band erklärt, betonen die Mitglieder diesen Punkt wiederholt, um letztlich zu sagen: »Fuck the press.«
Wer »Golden Number« hört, dem ist schnell klar, dass der Hype gerechtfertigt ist, der Exotenbonus womöglich bloß die Starthilfe war für ein Projekt, das musikalisch auf Augenhöhe ist mit den Genregrößen, mit Wolves In The Throne Room, Deafheaven und Liturgy. »Golden Number« ist ein monströser Song. Er gehört nicht nur aus dem Stand locker zum Besten, was der Depressive Black Metal überhaupt hervorgebracht hat, sondern er wird wohl auch in den allgemeinen Jahresbestenlisten von Pitchfork, The Needle Drop und anderen landen.
Ghost Bath seien aus Chongqing, hieß es, der – nach der Ausdehnung der Stadtgrenzen gerechnet – größten Stadt der Erde. Sie ist eines der kulturellen Zentren des Landes mit einer Vielzahl an Universitäten. Über 20 Millionen Menschen wohnen im Großraum, knapp fünf Millionen in der Stadt, deren Namen die meisten Menschen in westlichen Breiten noch nie gehört haben dürften. Und ja, man darf sich deshalb ignorant vorkommen – auch weil es solche Überraschung hervorgerufen hat, dass es überhaupt Black Metal in China geben soll.
Viele Künstler, die ihre Musik kostenneutral im Internet verbreiten möchten, bieten sie zum Streaming auf Bandcamp an. Die Website fragt nach einem Herkunftsort. Und anstatt hier den öden Scherz zu bemühen und vorzugeben, die Band sei aus Norwegen – wie es Tausende fälschlicherweise tun, weil Norwegen eben das Zentrum des frühen Black Metal war, nannten Ghost Bath eine chinesische Millionenstadt. Sie arbeiten mit chinesischen Schriftzeichen, auf Interviewanfragen reagieren sie selten.
Der Frage, wie sich unter dem staatlichen Druck eine so extreme und mutmaßlich verpönte Musik machen lasse, wichen sie in einem Interview mit dem Hinweis darauf aus, dass jeder Mensch mit Hindernissen umzugehen habe. Spätestens an dieser Stelle kann man sich über die Täuschung ärgern. Weil es – bedenkt man, dass die Bandmitglieder sich als Betroffene ausgaben – schlicht zynisch ist, die staatliche Gängelung und Beschneidung essentieller Freiheiten als gewöhnliche Hindernisse zu relativieren. Dieses Statement hätte eine vollkommen andere Bedeutung, wenn es tatsächlich von einer chinesischen Black-Metal-Band geäußert worden wäre. Man hätte es als strategische Reaktion deuten können, als Umgang mit der repressiven Politik.
Nach mehrmaligem Hören und der Beschäftigung mit ihren Texten fällt es nicht schwer, der Band eine zumindest unterschwellige politische Haltung anzudichten. Man findet eine Auseinandersetzung mit Aufklärung und Affekt, mit Kollektivismus und Individualismus – was erklären könnte, wieso Ghost Bath auf Anonymität bestehen. Gerade der Einsatz des Gesangs macht deutlich, dass es um die Auflösung von Grenzen geht. Er ist flächig, permanent unidentifizierbar, geschlechtslos, eine Lautmalerei aus Seufzen, Flüstern und Kreischen. Michel Foucault schrieb am Ende seines frühen Buches »Die Ordnung der Dinge«, irgendwann sei der Mensch als Narrativ von der Bildfläche verschwunden wie ein Gesicht am Strand. Ghost Baths Umgang mit der menschlichen Stimme, der Mix, der die Stimme in den Hintergrund geschoben hat, wirkt wie die musikalische Umsetzung dessen. Sie kommt und geht, ist ohne Intention. Eher hysterisch als bedrohlich, eher euphorisch als traurig. Trotz Blast Beats und verzerrter Gitarren ist »Moonlover« nicht mal besonders hart. Aber es überwältigt.
Man kann es auch anders fassen: Die Auflösung der Grenzen, das Verwaschene und Subjektlose, das aus »Moonlover« spricht, hätte durchaus eine politische Dimension haben können. Dies gilt umso mehr in einem politischen Regime, welches das Kollektiv beschwört und den westlichen Individualismus zumindest öffentlich immer wieder kritisiert. Das Verschwinden der Einzelnen darin kann sehr unterschiedlich interpretiert werden: Einmal ist es staatlich gewollter Gewaltakt, ein Angriff auf individuelle Freiheitsrechte. Aber das Verschwinden kann auch bewusste, oppositionelle Strategie sein, eine Möglichkeit, sich gerade dem Zugriff des Staats zu entziehen. Die Einzelne wird unsichtbar im großen Ganzen und gewinnt gerade dadurch Freiheit. Hätte, könnte, würde. Ghost Bath bestehen so deutlich auf ihren künstlerischen Freiheiten, dass sie selbst dazu bereit sind, die staatliche Gängelung Chinas mit individuellen »Hindernissen« zu verwechseln. Ihre Kunst wirkt dadurch in unschöner Weise politisch, dass sie jede Verbindung von Politik, Kunst und Sozialem leugnet.
Es geht uns nur um die Musik. Sagen Ghost Bath. Sie sagen aber auch, das Mysteriöse mache die Schönheit der Kunst aus. Dieses Mysterium bezieht Fragen nach Biographie, Herkunft, Mitgliedern, Politik, Intention mit ein. Es geht um einen politisch-sozial-ästhetischen Zusammenhang. Einen Kontext aus Kunst, Kultur, Politik, um Machtverhältnisse. Wenn Ghost Bath sagen, man mache etwas falsch, wenn man sie aus anderen Gründen höre als nur wegen der Musik, dann ist hier eine absurde Einkapselung der Kunst am Werk, die schon ohne den Fake ärgerlich genug ist. Diesen Kontext zu bestreiten, ist nichts weniger als der Versuch, Kunst als universalistische und ahistorische Kraft zu installieren.
So lässt sich auch aus diesem scheinbar abseitigen Fall mehr ableiten. In der theorieaffinen Schreibe über Popkultur hat sich seit Jahren, eher Jahrzehnten mit der Kritik am machomäßigen Rockism gleichsam eine generelle Dekonstruktion des Begriffs der Authentizität breit gemacht. An einem Beispiel wie diesem gerät jenes – offensichtlich – an Grenzen. Auch diese Dekonstruktion war nur in einer bestimmten historischen und regionalen Konstellation verständlich und wünschenswert. Es wird ungemütlich, wenn eine solche Idee ihrerseits selbst hegemonial wird. Dann hat die Verknöcherung eingesetzt. Dann bewegt sich nichts mehr. Alles ist erlaubt, ohne Gründe, ohne Zusammenhänge. Das ist keine beruhigende Entwicklung.

Ghost Bath: Moonlover. Northern Silence Productions (Soulfood)