Berlin Beatet Bestes. Folge 288.

Ein Asi mit Niveau

Berlin Beatet Bestes. Folge 288. Zeltinger Band: De Plaat (im Roxy und Bunker live) (1979).

Glatze, Oberlippenbart, Leder. Als 13jähriger Gymnasiast ging der Look für mich gar nicht. Ich hasste die siebziger Jahre und war ehrlich froh, als sie endlich vorbei waren. Die frühen Achtziger schienen zum Glück die ganze Hässlichkeit des vergangenen Jahrzehnts mit frischem Wind wegfegen zu wollen. »Die Lippen sind blau, die Haare grün, Steichholzetiketten am Ohr«, sangen Extrabreit. Das war die ästhetische Losung!
Den dicken Zeltinger hingehen habe ich als versnobter Oberschüler ignoriert. Leider war ich wohl einfach noch zu jung und humorlos, denn die 1979 live eingespielte und von Conny Plank aufgenommene erste LP von Zeltinger ist genial. Obwohl die Band zu diesem Zeitpunkt erst ein halbes Jahr bestand, waren das Konzept und die außerordentliche Energie der Band bereits voll entwickelt. »Asi-Rock« nannte Zeltinger augenzwinkernd seinen Stil auf dem Klappentext der Single-Auskopplung von »Müngersdorfer Stadion«: »Ich fahr schwatz mit de KVB/Dä Hals voll krieje die Bonze nie.«
Die Coverversion von »Rockaway Beach« von den Ramones machte Zeltinger auch bei vielen Punks beliebt. Während Nena später in Interviews immer gern erzählte, sie hätten im Tourbus Ramones gehört, hat es die Zeltinger-Band wirklich gemacht. Eine richtige Punk-Band war sie jedoch nie, dafür hatte die Person Jürgen Zeltinger zu viele Brüche. Und zu viel Humor. So steht auf der B-Seite der ersten Single programmatisch der Tuntensong: »Ich bin en Tunt, bin kengesund/mein Popo, der ist ja noch so wund/wat sull ich machhe, wat sull ich dun.«
Zeltinger war schwul, über 30 und sah überhaupt nicht aus wie ein jugendlicher Popstar. Und dennoch erfasste er die Rock’n’Roll-Idee besser als die meisten deutschen Rocker. Ihre Kölner Kollegen BAP waren nie eine gute Rock-Band. Zu ernst, zu sehr um Authentizität bemüht und zu humorlos, wollten sie immer alles richtig machen, während Zeltinger das abseitige Leben besang und fröhlich auf musikalische Perfektion verzichtete. Einen Text wie »Stüverhoff« hätte Wolfgang Niedecken jedenfalls nie zustande gebracht. Inhaltlich nah am Original, Lou Reeds »Walk On The Wild Side«, besingt Zeltinger darin die Realität der Prostitu­tion: »Et is jetz schun 3 Uhr morjens vorbei/ich han noch kein Freier, wat e Leid/ich han kein Lus mieh un jon no Hus/wat is dat für nen miesen Verdruß!«
Zeltingers größten Hit schreiben ihm seine Bandkollegen 1980 auf den Leib: »Ich bin ’nen Asi mit Niwoh,/lese Lyrik auf dem Klo./Ich poliere Kritikern die Fressen,/für die Band mach’ ich das Abendessen.« In einem der besten Musikvideos der achtziger Jahre für die Sendung Bananas, in dem auch die als Rocker verkleideten Komiker Frank Zander, Herbert Fux und Hans Herbert Böhrs mitspielen, singt Zeltinger inmitten einer Kneipenschlägerei in eine Bierflasche.
Jürgen Zeltinger ist mittlerweile 65, tritt aber immer noch regelmäßig auf. 2014 hat er die neue CD »Avjespeck!« veröffentlicht. Rocker gehen eben nicht in Rente.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.