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Haben Sie uns diesmal vermisst? Sonst hatten ja wir immer Zeit für ein Schwätzchen und Fotos mit den Fans oder wir stellten eben auf Durchzug, wenn krude Linke ihre Verschwörungstheorien auf uns niederschwallen ließen. Die aktuelle Ausgabe gab’s obendrein gratis dazu, Sie mussten Ihre Arbeitskraft nicht ausbeuten, um am 1. Mai ein Exemplar Ihrer Lieblingszeitung zu erstehen. Doch dieses Jahr war alles anders: Der 1. Mai war tatsächlich arbeitsfrei für das Jungle World-Kollektiv, es gab keinen Stand auf dem dies­jährigen »Myfest« in Berlin-Kreuzberg. Im Privaten sollten sich alle vielmehr politisch oder sonstwie betätigen. Die Revolution hat es auch ohne den Jungle-Stand wieder nicht gegeben, das steht fest. Aber wo trieben sie sich denn rum, die Printrevolutionäre?
Eine Redakteurin ließ sich nicht von der Kampfmüdigkeit beeindrucken und tat bereits morgens ihre Arbeiterinnenpflicht auf der Gewerkschaftsdemonstration bei den schwarz-roten Fahnen. Einige andere wollten dem kalten Kapitalismus zunächst lieber ihre warm gebettete Schulter zeigen und standen etwas später auf. Irritiert war eine Kollegin vom Partyvolk in Kreuzberg, in das sie unabsichtlich hineingeraten war, als sie zu einer Verabredung gehen wollte. Werden die Menschen, die am 1. Mai die Straßen verstopfen, tatsächlich immer unerträglicher? Und jünger? Andere Kolleginnen und Kollegen hatten es in ihrer Naivität dennoch gewagt, sich auf den nachmittäglichen Demonstrationsspaziergang zu begeben. Wichtig dabei: Bier trinken, um nicht positiv aufzufallen. Die Demonstration, der Place-to-be nicht nur für allerlei linke Splittergruppen, sondern auch für Krawalltouristinnen und Schlägerprolls, endete aber ohne große Randale, es konnte gemütlich zum Feierabendbier übergegangen werden. Wieder andere suchten ihr Heil in der Natur, Gartenfeste waren bei diesen Arbeitskampfverweigerinnen und -verweigerern sehr beliebt oder der Besuch eines Kinderbauernhofs. Ein Kollege verbrachte den Tag mit der Betrachtung von Tulpen. Eine andere Kollegin konnte dem arbeitsfreien Mob aber selbst in der Idylle eines Potsdamer Parks nicht entgehen, laute beschwippste Schwäbinnen machten die Gegend unsicher.
Ein paar Radikale finden sich aber auch in der Jungle World-Redaktion. Mit der Negation der Negation meinte es der Kollege sehr ernst, der am Feiertag einfach widerständig von zuhause aus arbeitete. Am radikalsten aber trieb es die Kollegin, die nicht einmal zum Ausruhen in der Lage war. Sie hatte Migräne.
Auf das Schwätzchen mit uns müssen Sie allerdings nicht verzichten. Am 8. Mai wird im Berliner Schwuz gefeiert: Deutschland kaputt. Hurra!