Aserbaidschan und Iran nähern sich einander an

Auf gute Nachbarschaft

Der Iran bemüht sich im Südkaukasus um geopolitischen Einfluss. Nach jahrelangen Spannungen nähert sich das iranische Regime dem schiitischen Aserbaidschan an.

Hossein Dehghan ist kein Mann, der dem bewaffneten Jihad fernsteht. Als Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden im Libanon gilt er als einer der Hauptverdächtigen für den Anschlag auf den US-Truppenstützpunkt in Beirut 1983. Von 2005 bis 2009 war er zudem Direktor der von der Islamischen Republik finanzierten »Märtyrer-Stiftung«, die unter anderem die Aktivitäten von Hamas und Hizbollah alimentiert; 2013 wurde er unter Präsident Hassan Rohani iranischer Verteidigungsminister. In dieser Funktion besuchte Dehghan am 20. April die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, um mit dem dortigen Diktator Ilham Alijew die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu bekräftigen. »Die Kooperation im Bereich des Anti-Terror-Kampfs wird die Sicherheit in der Region erhöhen«, zitierte der staatliche Nachrichtensender Press TV den Verteidigungsminister. Aserbaidschan habe einen speziellen Platz in Irans Außenpolitik, geopolitisch sei man auf einer Ebene. Alijew ließ verlauten, Aserbaidschan werde die militärische Zusammenarbeit mit dem Iran vertiefen, im Atomstreit habe sein Land den südlichen Nachbarn ohnehin immer unterstützt.

Dass beide Länder eine gemeinsame Verteidigungskommission etablieren wollen, wie es nach dem Treffen in Aussicht gestellt wurde, kann im iranisch-aserbaidschanischen Verhältnis besondere Annäherung angesehen werden – und ist Anzeichen für die Intensivierung des iranischen Engagements im vormals sowjetischen Südkaukasus. Vor drei Jahren waren die Beziehungen noch an einem Tiefpunkt angelangt. 2012 wurden von den aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden mehrere Iraner wegen der Planung terroristischer Anschläge verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Unter anderem seien von ihnen Attentate auf die Botschaften Israels und der USA sowie auf die israelischen Mitarbeiter einer jüdischen Schule in Baku geplant worden. Darüber hinaus warf der aserbaidschanische Kommunikationsminister, Ali Abbasow, dem Mullahregime öffentlich vor, Cyberattacken gegen sein Land durchgeführt zu haben. Im Zuge des Eurovision Songcontest, der 2012 in Baku stattfand, spottete der iranische Ayatollah Sobhani, das Ganze sei eine »Schwulenparade«, und tadelte Aserbaidschan für dessen »unislamisches Verhalten«.
Als Grund für die damaligen Spannungen gelten die exzellenten Beziehungen Aserbaidschans zu Israel, das dem Regime Alijews unter anderem moderne Waffensysteme und Drohnen verkauft. Die iranische Regierung befürchtete damals, Israel könnte den aserbaidschanischen Militärflughafen Sitalçay zur Zwischenlandung nutzen, um Angriffe gegen iranische Atomanlagen zu fliegen.
Von derartig offen geäußerten Animositäten kann gegenwärtig kaum die Rede sein. Irans Präsident Rohani sagte bei seinem Amtsamtritt 2013, er wolle die Beziehungen zu den Nachbarstaaten verbessern. Aserbaidschan mit seiner schiitischen, aber überwiegend säkularen Bevölkerung ist neben dem abgeschotteten und gasreichen Turkmenistan das wichtigste Land, zu dem der Iran derzeit aufschließen möchte. Schwerpunkt der Kooperation könnte dabei neben der Terrorismusbekämpfung, die sich vor allem gegen sunnitische Islamisten aus dem russischen Nordkaukasus richtet, auch die Transanatolische Gaspipeline (Tanap) sein. Durch sie soll das Erdgas aus dem zu Aserbaidschan gehörenden Schah-Denis-Feld im Kaspischen Meer ab 2018 über die Türkei und Georgien nach Europa gelangen. Bislang wird Tanap von Aserbaidschans staatlichem Energiekonzern Socar, der türkischen Firma BOTAŞ und BP getragen. Im Mai kündigte der Iran Agenturberichten zufolge an, sich ebenfalls an dem Projekt beteiligen zu wollen.

Doch wie ambitioniert sind die iranischen Interessen im Südkaukasus tatsächlich? Der Kaukasusexperte Thomas de Waal vom Think Tank Carnegie Endowment for International Peace schreibt auf dessen Website, dass es für die iranischen Machthaber schwer werde, in der politisch und wirtschaftlich von Russland dominierten Region Fuß zu fassen. Gleichzeitig meint de Waal: »Für die hochideologische Führung der Islamischen Republik ist die Region im Vergleich zum Irak und Syrien nicht von strategischem Kern­interesse. Es ist ein Ort, an dem der Iran als rationaler außenpolitischer Akteur auftritt und mit allen Regierungen im Gespräch ist, trotz aller ideologischen Differenzen.«
Deutlich wird dies an Irans strategischem Bündnis mit dem christlichen Armenien, das aufgrund seiner geschlossenen Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan einen Ausweg aus seiner geographischen Isolation sucht. Der Handel zwischen den beiden scheinbar ungleichen Partnern ist marginal, doch spielen einem Bericht des Europäischen Parlaments vom März 2013 zufolge die Niederlassungen iranischer Banken in Armenien eine wichtige Rolle dabei, die internationalen Sanktionen gegen die Islamische Republik zu umgehen. Weiterhin geben die Autoren des Papiers an, die Konten der Bank Melli Iran würden vor allem von iranischen Revolutionsgardisten geführt und der Finanzierung des Atomprogramms dienen. Diese Finanztransaktionen seien auch in der Konfliktregion Bergkarabach üblich, die nach internationalem Recht zu Aserbaidschan gehört, aber seit dem Waffenstillstand von 1994 von Armenien kontrolliert wird. Die rechtliche Grauzone in Bergkarabach würde die Aktivitäten des Iran erleichtern. Daneben gibt es eine Vielzahl kultureller Beziehungen zwischen dem Iran und Armenien. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge leben bis zu 300 000 Armenier im Iran. Sie sind mit fünf Sitzen im Parlament vertreten, als einzige nationale Minderheit halten sie einen Beobachterstatus im Wächterrat inne. Zudem ist Armenien aufgrund seiner vergleichsweise liberalen Visumsregeln eines der beliebtesten Urlaubsziele für iranische Touristen.
»Iran wird mit Armenien weiterhin ein intensiveres Bündnis bilden als mit Aserbaidschan«, sagt der Analyst Richard Giragosian vom Regional Studies Center in Eriwan. Aufgrund des defensiven Charakters des beschlossenen Sicherheitsabkommen zwischen Aserbaidschan und dem Iran sei die armenische Regierung kaum besorgt über die iranische Annäherung mit dem verfeindeten Nachbarn. Eine sich ändernde Haltung des Irans zum Bergkarabach-Konflikt ist Giragosian zufolge ebensowenig zu befürchten. Als Vermittler im Streit um die abtrünnige Provinz hat sich der Iran nur einmal 1992 versucht und ist kläglich gescheitert, eine neue Initiative sei von keiner Konfliktpartei wirklich gewünscht.

Trotz der warmen Worte, die die Führungen Aserbaidschans und des Iran im Zuge ihrer Annäherung zuletzt austauschten, glaubt Giragosian, dass das Misstrauen auf beiden Seiten weiterhin überwiegen wird. Aserbaidschan fürchtet den religiösen Einfluss der Mullahs auf seine schiitische Bevölkerung sowie auf die im Süden des Landes lebende Minderheit der Talyschen, die eine dem Persischen ähnliche Sprache sprechen. Im Iran hingegen gibt es Vorbehalte gegen die ungebrochene Allianz Aserbaidschans mit Israel und gegen den aserbaidschanischen Nationalismus, da 16 Prozent der iranischen Bevölkerung ethnische Aseris sind, unter ihnen auch Staatsoberhaupt Ali Khamenei.
Es bleibt fraglich, ob diese Befürchtungen begründet sind. Im weitgehend weltlichen Aserbaidschan finden tiefreligiöse Ideen und der schiitische Gottesstaat kaum Anhänger. Die iranischen Aseris hingegen sind größtenteils assimiliert und zeigen wenig Interesse an der nationalistischen Ideologie der in Baku ansässigen Südaserbaidschanischen Erweckungsbewegung. »Iran wird im Südkaukasus als Regionalmacht in Zukunft selbstbewusster auftreten«, sagt Giragosian. »Doch das eher politisch als religiös.«