In Lateinamerika wird Abtreibung bestraft

Brutale Abtreibungsverbote

In Paraguay wird angesichts des Falls eines zehnjährigen Mädchens, das mutmaßlich nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, das strikte Abtreibungsverbot kritisiert. In vielen Ländern Lateinamerikas bleibt Abtreibung weiterhin verboten.

Sie ist erst zehn Jahre alt und im fünften Monat schwanger. Der Fall eines Mädchens in Paraguay ist zurzeit Thema in allen Medien. Schwanger wurde sie offenbar von ihrem Stiefvater, der sie vermutlich schon seit mehr als einem Jahr ver­gewaltigte. Der Stiefvater sitzt in Untersuchungshaft, nachdem er sich der Verhaftung durch Flucht zu entziehen versuchte. Auch die Mutter wurde wegen Komplizenschaft und Verletzung der Aufsichtspflicht verhaftet. Sie hatte bereits vor einem Jahr Anzeige gegen ihren Mann erstattet, diese aber später zurückgezogen. Die genaueren Umstände sind unklar.
Das Mädchen hält sich derweil zur Beobachtung in einem Krankenhaus auf. Abtreiben darf sie nicht. Das ist in Paraguay nur erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren in schwerer Gefahr sind. »Das Mädchen hat keine Schmerzen und ist in guter Verfassung«, sagte Antonio Barros, Paraguays Gesundheitsminister: »Es wird nicht abgebrochen.«

Schwangerschaft und Geburt sind für Minderjährige sehr viel gefährlicher als für Erwachsene. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind Schwangerschaften für unter 16jährige viermal riskanter als für über 20jährige, da ihr Körper noch nicht voll ausgebildet ist. Das erzwungene Austragen einer durch wiederholte Vergewaltigungen entstandenen Schwangerschaft kann zudem psychisch enorm belastend sein.
Amnesty International initiierte eine Solida­ritätskampagne unter dem Hashtag #NiñaEnPeligro (»Mädchen in Gefahr«). Es gibt eine Online­petition, die sich an Präsident Horacio Cartes und an die Staatsanwaltschaft mit der Forderung richtet, dem Mädchen den Zugang zu allen Informationen und medizinischen Möglichkeiten inklusive einer Abtreibung zu ermöglichen.
Auch die Vereinten Nationen sehen die Menschenrechte des Mädchens verletzt, vor allem das Recht auf Leben, auf Gesundheit sowie auf psychische und physische Integrität. Ende vorvergangener Woche setzte die paraguayische Regierung eine international geforderte multidisziplinäre Expertenkommission ein. Diese soll prüfen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Gesundheit des Mädchens zu schützen. Bei aller Drastik handelt es sich nicht um einen Einzelfall: Das Kinderhilfswerk Unicef teilte mit, in Paraguay brächten täglich zwei Mädchen im Alter von zehn bis 14 Jahren ein Kind zur Welt. Es darf bezweifelt werden, dass alle dieser Schwangerschaften durch freiwilligen Geschlechtsverkehr zustande gekommen sind.

In drei lateinamerikanischen Ländern – in Chile, El Salvador und seit 2006 auch in Nicaragua – sind Abtreibungen komplett verboten, selbst in extremen Notlagen der Frauen. Nur in Kuba, Französisch-Guayana, Guyana, Puerto Rico, Mexiko-Stadt und seit 2012 auch in Uruguay gilt eine Fristenlösung bis zur zwölften Woche. Die meisten anderen Länder Lateinamerikas haben sehr restriktive Gesetze, die Abtreibungen nur bei Gefahr für das Leben der Frau, nach Vergewaltigungen oder im Fall einer schweren Behinderung des Fötus zulassen. Oft braucht die Frau eine Einverständniserklärung ihres Ehemanns oder gesetzlichen Vertreters sowie medizinische Gutachten und einen positiven Gerichtsbeschluss.
In Chile erregte vor zwei Jahren der Fall der elfjährigen Belén Aufsehen. Auch sie wurde vergewaltigt und durfte nicht abtreiben. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet hat im Januar dieses Jahres einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der eine Abtreibung zumindest in solch krassen Fällen ermöglichen würde. Das Gesetzesprojekt wird derzeit in der Gesundheitskommission des Abgeordnetenhauses verhandelt. Es soll Abtreibungen bei drei Indikationen möglich machen: Nichtlebensfähigkeit des Fötus, Risiko für das Leben der Schwangeren und Vergewaltigung. Frauen, die ungewollt schwanger wurden, würde das allerdings immer noch nicht helfen.
Obwohl mit diesem Gesetz nur eine relativ geringe Verbesserung erreicht würde, wird die Abtreibungsnovelle von der chilenischen Frauenbewegung unterstützt. Um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und auf die dramatische Situation mancher Frauen aufmerksam zu machen, wurde eine aufsehenerregende Videokampagne lanciert. Zu sehen sind Szenen, in denen Schwangere einen spontanen Abgang auslösen, indem sie sich vor ein Auto werfen oder eine hohe Treppe herunterfallen lassen. Betont wird, dass ihnen so keine Absicht abzutreiben nachgewiesen werden könne und ihnen im Krankenhaus geholfen werden müsse.

Diese Bilder spielen auf ein weitverbreitetes Problem an. In Ländern mit einem totalen Abtreibungsverbot müssen Frauen manchmal bereits wegen Fehlgeburten ins Gefängnis. Viele Frauen trauen sich nicht, nach einer missglückten Abtreibung ein Krankenhaus oder einen Arzt aufzusuchen, da sie mit einer Anzeige rechnen. Die Strafe für Abtreibung liegt je nach Land bei einigen Monaten bis mehreren Jahren Gefängnis, sowohl für die Frau wie auch für die Person, die den Abbruch vorgenommen hat.
Derzeit verbüßen 16 Frauen aus El Salvador Haftstrafen bis zu 30 Jahren, weil sie abgetrieben oder eine Fehlgeburt erlitten haben, die von Richtern als Abtreibung gedeutet wurde. Nach einer intensiven Kampagne wurde eine weitere Frau mittlerweile freigelassen (Jungle World 30/2014).
Ein entscheidender Faktor für die Liberalisierung oder Verschärfung von Gesetzen und deren Auslegung ist der Einfluss der katholischen Kirche in den jeweiligen Ländern – ein Einfluss, den auch die erstarkenden linksliberalen Regierungen nicht zurückdrängen. In dem von der katholischen Kirche zum 50. Jahrestag des zweiten Vatikanischen Konzils ausgerufenen »Heiligen Jahr der Barmherzigkeit« ist sie für ihre Verhältnisse jedoch ungeheuer großzügig: Obwohl Abtreibung und auch die Hilfe dazu als besonders schwere Sünde gelten, die automatisch die Exkommunikation nach sich ziehen, können sie ausnahmsweise vergeben werden, »ehrliche Reue« vorausgesetzt. Na dann.