Der Stern des Anstoßes

Er ist doch so schön in seiner Schlichtheit. Aber um ästhetische Gesichtspunkte ging es Dimitra Tsanaka nicht, als sie verlangte, den Davidstern von einem Gedenkstein zu entfernen. Erinnern sollte das Denkmal an die 1 484 jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner der nordgriechischen Stadt Kavala, die unter deutscher Besatzung von Wehrmacht und SS in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurden. Enthüllt werden sollte der Gedenkstein am Sonntag, viele An­gehörige der Ermordeten waren dazu eigens aus Israel angereist. Doch Tsanaka verschob die Einweihung des Denkmals. Als seit 2014 amtierende Bürgermeisterin der Stadt trägt sie eben Verantwortung für den städtischen Frieden und den sah sie angeblich ­bedroht. Der Gedenkstein könnte von Antisemiten geschändet werden, so ihre Argumentation; er solle daher nur mit dem vorge­sehenen Schriftzug auf Griechisch, Englisch und Hebräisch aufgestellt werden – und ohne Davidstern. Die Mehrheit des Stadtrats stand hinter ihrer Forderung. Damit wäre das Problem des Antisemitismus natürlich pragmatisch gelöst, keinem Antisemiten soll zugemutet werden, von einem steinernen Davidstern provoziert zu werden. Juden gibt es ja zum Glück nicht mehr so viele in Griechenland, dafür hatten schon die Nazis gesorgt, die etwa 80 000 griechische Jüdinnen und Juden deportierten und ermordeten.
Doch schon wurde die studierte Ärztin Tsanaka für ihre Umsicht gerügt. Der Zentralrat der jüdischen Gemeinden Griechenlands, ­internationale jüdische Organisationen, die Mehrheit der griechischen Parteien sowie der Bildungsminister kritisierten ihre Forderung vehement, selbst Tsanakas eigene Partei, die konservative Nea Dimokratia, hatte kein Verständnis für ihr Vorgehen. Die Bürgermeisterin entschuldigte sich daraufhin, sie habe keinerlei antisemitische Absichten gehegt, und diskutierte mit den von weither an­gereisten Angehörigen. Das Denkmal soll nun voraussichtlich Anfang Juni eingeweiht werden. Konsequent ist Tsanaka in ihrem Bemühen, den Frieden zu wahren, jedoch nicht. Angenommen, Antisemiten könnten doch lesen – Griechisch, Englisch oder Hebräisch – und so herausfinden, an wen das Denkmal erinnern soll und warum, wie will sie diese Provokation verhindern? Nicht nur die Deutschen werden den Juden Auschwitz eben nie vergeben, sondern auch die Antisemiten anderswo.