Etappensieg bei Protesten an der Universität Amsterdam

Nach der Euphorie

Die Amsterdamer Universität erlebte die heftigsten Studierendenproteste seit Jahren. Das Bündnis zwischen Studierenden, Dozenten und Universitätsbeschäftigten birgt Potential für langfristigen Wandel.

Zwischen Bungehuis und Maagdenhuis, der geisteswissenschaftlichen Fakultät und dem Sitz der Verwaltung der Universiteit van Amsterdam (UvA), liegt nur ein kurzer Fußweg über den Spui-Platz. »Wir haben tatsächlich eine kleine Tour daraus gemacht«, lacht Ian Velthuis. Er ist 26, studiert Geschichte und ist einer der Organisatoren von »De Nieuwe Universiteit« (DNU), der führenden Gruppe bei den längsten und intensivsten niederländischen Studierendenprotesten seit Jahren. Zusammen mit Harriet Bergman (DNU) und Sarah van Ierland, einer ehemaligen Wortführerin der Proteste, sitzen wir im Cafe Schuim, gegenüber vom Bungehuis. Das Gebäude gehört der UvA nicht mehr, es soll in den kommenden Jahren zu einem Soho-Clubhaus umfunktioniert werden. Viele weitere historische Universitätsgebäude sind ebenfalls bereits in der Hand von Privatinvestoren. Der Verkauf der Häuser steht symbolisch für das in diesen Tagen vielzitierte »Rendementsdenken«, das auf größtmögliche finanzielle Effizienz abzielende Vorgehen des College van Bestuur (CvB), der Verwaltung der UvA.

Neben der Vermengung akademischer und ökonomischer Interessen waren vor allem die im Rahmen des »Profiel 2016« festgesetzten drastischen Budgetkürzungen in den Geisteswissenschaften ausschlaggebend für die Proteste. Ende 2014 bildete sich mit der »Humanities Rally« ein Bündnis zwischen Studierenden und UvA-Mitarbeitern gegen »Profiel 2016«. Erste Demons­trationen und Streitschriften folgten. Als Anfang Februar interne E-Mails der Verwaltung an die Presse gelangten, in denen die weitere Reduzierung der Geisteswissenschaften thematisiert wurde, gründete sich das studentische Netzwerk DNU. Am 13. Februar besetzten etwa 100 DNU-Mitglieder das Bungehuis und blieben elf Tage. Im Gegensatz zur späteren Aneignung des Maagdenhuis war die Besetzung des Bungehuis detailliert geplant. Das CvB und die Amsterdamer Polizei reagierten mit Ratlosigkeit und Einschüchterungstaktiken. »ReThink UvA«, der Verbund des Lehrpersonals zur Unterstützung der Forderungen, bildete sich auch als Reaktion auf dieses Vorgehen. Eine Petition zur Unterstützung der Studierenden wurde unter anderem von Judith Butler, Noam Chomsky, Jacques Rancière, Saskia Sassen und David Graeber unterzeichnet. Doch die Verhandlungen zwischen DNU, CvB und dem Büro des Bürgermeisters scheiterten. Am 24. Februar wurde das Bungehuis geräumt, 46 Studierende wurden festgenommen, einer verletzt.

Am Tag nach der Räumung marschierten Studierendengruppen und Unterstützer den kurzen Weg vom Bungehuis zum Maagdenhuis und besetzten es. Dieses Mal blieben die Besetzerinnen und Besetzer mehr als sechs Wochen. Sarah van Ierland war es, die den Amsterdamer Bürgermeister Eberhard van der Laan Ende Februar vor laufenden Kameras zu einem Besuch des besetzten Maagdenhuis bewog. Es handele sich zwar um Hausfriedensbruch, so van der Laan, aber ein kritischer Geist gehöre zu Amsterdam. Es liege im Ermessen der Besetzer, ob sie das Maagdenhuis verlassen wollen, aber er wünsche ihnen Weisheit und bessere Studienbedingungen. »Für uns hieß das, wir haben zumindest eine Nacht lang Zeit gewonnen«, so van Ierland. Bereits 1969 wurde das Maagdenhuis für fünf Tage besetzt, eine Wiederholung galt seither als quasi unmöglich.
In der zweiten Aprilwoche verhandelten die Besetzer mit dem CvB über die freiwillige Räumung des Maagdenhuis. Erste Zugeständnisse seitens der Verwaltung und das langsam einkehrende Gefühl der Alltäglichkeit mündeten in die Überlegung, die Besetzung mit einem akademischen Festival zu beenden. Im Gegensatz zu ReThink UvA ließ die DNU allerdings nicht von ihrer Forderung nach einem geschlossenen Rücktritt der Verwaltung ab. »Wir hatten auch größere Debatten darüber, ob genderneutrale Toiletten im Maagdenhuis wirklich zu den unverhandelbaren Forderungen zählen sollten. Am Ende standen sie allen Ernstes mit auf der Liste«, sagt Harriet Bergman. Ungeachtet vorheriger Absprachen erwirkte das CvB am 10. April eine Verfügung über die sofortige Räumung des Maagdenhuis. Als die Truppen der Bereitschaftspolizei zwei Tage vor der geplanten freiwilligen Räumung eintrafen und die Situation eskalierte, war nur noch ein Teil der Besetzer überhaupt im Gebäude.

Der Wille zum Konsens unter den einzelnen Gruppen entwickelte eine spezielle Dynamik, deren Auswirkungen sich erst jetzt, nach dem Ab­ebben des »Chaos und der revolutionären Euphorie«, wie George Blaustein es nennt, zeigen werden. Blaustein ist Assistenzprofessor für Amerikanische Geschichte, wie viele seiner Kollegen wurde er erst im Zuge der Besetzungen aktiv. Durch seine Essays für das New Yorker Magazin N+1 verhalf er den Amsterdamer Protesten zu internationaler Aufmerksamkeit. Auch er sieht die Gründe für die frühen Erfolge der Proteste im Schulterschluss zwischen Studierenden und UvA-Mitarbeitern. »Ich habe durch die Proteste Kontakt zu Leuten aus völlig anderen Disziplinen bekommen«, so Blaustein. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen sei wichtig gewesen.
Sein Kollege Dan Hassler-Forest ist ein weiterer öffentlichkeitswirksamer Unterstützer der Bewegung. Regelmäßig tritt der Assistenzprofessor für Englische Literatur und Filmwissenschaft in den Medien in Erscheinung, als Experte für Superhelden im Spätkapitalismus, Science-Fiction oder Zombies. Als erstes Mitglied des Lehrpersonals hielt er am zweiten Tag der Bungehuis-Besetzung eine Vorlesung, wofür er sich über eine Leiter durch das Fenster des Hauses gezwängt hatte. Titel der Vorlesung: »Zombie Neoliberalism«. »In den vergangenen Monaten habe ich erkannt, dass ein struktureller Wandel für Dozenten und Studenten unbedingt vonnöten ist und diese Bewegung jetzt gerade wichtiger als das dämliche Science-Fiction-Buch, an dem ich schreibe«, erklärt er lachend. Seit Februar nutzt er seine Medienkontakte vor allem für ReThink UvA, betreut die Website und Social-Media-Kanäle der Gruppe und gibt Interviews. Hassler-Forest kennt die bürokratischen Wirrungen an der UvA aus erster Hand. Erst vor wenigen Tagen hat er erfahren, dass die UvA wohl doch langfristig mit ihm plant. Es wäre sein erster unbefristeter Arbeitsvertrag nach über zehneinhalb Jahren Lehrtätigkeit an der UvA.
Die Arbeit an seinem Buch hat er mittlerweile wieder aufgenommen, doch ReThink UvA ist so aktiv wie zuvor. In Absprache mit dem CvB und in enger Zusammenarbeit mit DNU und den Gewerkschaften werden seit Anfang Mai zwei unabhängige Komitees zusammengestellt: eines zur Demokratisierung und Dezentralisierung der administrativen Prozesse an der Akademie und eines zur unabhängigen Evaluation der Finanzlage der UvA. Seit dem 26. Mai liegt ein Papier über die konkrete Zusammenstellung des Finanzkomitees vor. Unter der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Partei GroenLinks (Grünlinks), Femke Halsema, soll das Komitee aus Professoren, Finanzexperten, Politikern und Angestellten des öffentlichen Diensts gebildet werden. Gleichzeitig diskutiert die Stadt über die etwa eine halbe Million Euro Schaden, die die Besetzung des Maagdenhuis verursacht haben soll, die endgültige Schätzung liegt aber noch nicht vor. Pieter Duisenberg, Abgeordneter der konservativen VVD, forderte die UvA auf, die Protestierenden für die Schäden aufkommen zu lassen. Bildungsministerin Jet Bussemaker von der Arbeiterpartei wurde zuvor für ihren Einwand, es müsse erst genauer untersucht werden, ob zwischen den Schäden und der Besetzung eine Verbindung bestehe, innerhalb der großen Koalition kritisiert.
Trotz der zahlreichen Baustellen wird der Rücktritt der CvB-Direktorin Louise Gunning am 18. April von vielen als wichtiger Etappensieg angesehen. Nun gilt es für die Amsterdamer Gruppen, die personelle Erneuerung der Verwaltung aktiv mitzubestimmen.