Leipzig feiert seine neue urbane Ordnung

Wir feiern hier ’ne Party und du bist nicht dabei

Leipzig veranstaltet eine Festwoche anlässlich seines 1 000jährigen Bestehens. Doch nicht alle Bürger sind in Jubelstimmung, es gibt Protest gegen die Vermarktung der Stadt als Wirtschaftsstandort.

»Unsichtbare aller Stadtteile – vereinigt euch«, hieß es am Samstag in Leipzig, als rund 1 000 Menschen zur »Parade der Unsichtbaren« zusammenkamen. Sie protestierten gegen die offizielle Selbstdasrstellung anlässlich der 1 000-Jahrfeier der Ersterwähnung der Stadt. Sicher nicht unabsichtlich wurde dabei das Motto der gemeinsamen Befreiung der Ausgebeuteten aus dem Kommunistischen Manifest abgewandelt. Und auch wenn die Demonstration nicht den großen Befreiungsschlag von kapitalistischen Unterdrückungsverhältnissen nach sich zog, so war sie doch ein Anstoß zur Artikulation der Unzufriedenheit mit der immer mehr spürbaren neoliberalen Verwertung der Stadt.

Fünf monströse Kopfskulpturen rollten zur Jubiläumsfeier aus verschiedenen Stadtvierteln und in kärglicher Begleitung vereinzelter Bürgerinnen und Bürger zum Zentrum der Stadt, wo sich nach offiziellen Angaben 25 000 Menschen zu einer pompösen, millionenteuren Veranstaltung trafen. Damit reiht sich die »1 000 Jahre Leipzig«-Feier in eine Reihe kitschiger Selbstinszenierungen des Stadtmanagements ein. Da wären hochpreisige Bauinvestitionen für jäh geplatzte Olympiaträume, eine katholische Kirche mit Millionenbezuschussung der Stadt, ein unterirdisches S-Bahnsystem oder das ewig währende Märchen der »friedlichen Revolution« zu nennen. Bei deren Feier werden geschichtsrevisionistische Elemente aufgenommen, zum Beispiel wenn Wendeprotagonisten, die eine reformierte DDR abseits der BRD anstrebten, keine Rolle spielen oder ein unkritischer Vergleich der »beiden deutschen Diktaturen« gezogen wird. Leipzig gönnt sich ein Marketing-Spektakel, das die Stadt in ihrer Einzigartigkeit preist. Die den Veranstaltern zufolge »herausragende wirtschaftliche, kulturelle und bürger­liche Tradition« des »weltoffenen« Leipzig dient zur Beweihräucherung einer Stadt, die in den vergangenen Jahren durch ihre »kreative Szene« und das »Potential zur Selbstverwirklichung« bekannt wurde, vor allem aber von steigenden Mieten, Verdrängungsprozessen und rassistischen Mobilisierungen geprägt war.

Die »Parade der Unsichtbaren« kritisiert das Stadtmarketing als »Teil eines Projekts, das Leipzig fit machen soll für eine besser verdienende Mittelschicht, für gut ausgebildete Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen und zahlungskräftige Konsumenten und Konsumentinnen«. Maren Levy aus dem Organisationskreis sagt: »Das ist eine Form von Selbstinszenierung, in der es darum geht, Leipzig als ein Konsum- und Kulturzentrum zu vermarkten und damit für Investoren attraktiver zu machen.« Das von der Stadt propagierte Kollektivsubjekt eines »Wir sind die Stadt« sei dabei mehr Ausschluss als Einbeziehung der Einwohner und Einwohnerinnen. »Wer ist denn mit ›Wir sind die Stadt‹ gemeint? Sind das Vermieter oder Mieter oder Immobilienfirmen? Kaffeehausbesucher oder die Prekären oder Rassisten und Rassistinnen?« Klar ist, wer nicht gemeint ist: die Unsichtbaren. Das sind all jene, die von dieser Politik des Ausschlusses betroffen sind, eben solche, die nicht für die kapitalistische Verwertungslogik nutzbar gemacht werden können. Diese Menschen will die Parade zusammenbringen. »Uns geht es um die Erfahrungen derer, die in dieser großen ›Das neue Hypezig‹-Erzählung nicht auftauchen und die auch von dieser Politik nicht repräsentiert werden«, sagt Levy. Denn bei der Feier der florierenden Kulturstadt werden Probleme wie Entmietung, Gentrifizierung, Mieten, die schneller steigen als Löhne, eine ausgrenzende Asylpolitik und nicht zuletzt ein rassistischer Alltagszustand, der durch Legida, den Leipziger Ableger der Pegida-Aufmärsche, sich deutlich ­artikuliert, weder erwähnt noch kritisch angegangen. Wer möchte schon solche Partykiller auf seiner Geburtstagsfeier haben? Stattdessen initiiert die Stadt eine Werbeschleife für die besserverdienende Mittelschicht. Das Paradoxe daran ist, dass ein Teil derjenigen, die mit alternativen Lebensformen wie Wagenplätzen der Stadt politisch ein Dorn im Auge sind, für diese Marketingstrategie nutzbar gemacht werden sollen. Leipzig als »the better Berlin«, wie es die New York Times beschrieb. Ein bisschen verrucht, etwas verwegen, in jedem Fall aber sexy und voller Möglichkeiten der vermeintlich freien Selbstentfaltung. Dass diese Möglichkeiten immer mehr der Logik einer neoliberalen Vermarktung unterworfen sind, ist die traurige Konsequenz eines Ausschlusses jener, die als ökonomisch wertlos wahrgenommen werden. Dabei wird sogar das geopfert, womit sich die Stadt so rühmt.

»Die Schizophrenie besteht darin, dass die kulturelle Diversität kaputtgemacht wird, indem die Stadt sich immer stärker nach Leistungs- und Profitkriterien ausrichtet«, so Levy. »Der immaterielle Reichtum der geschaffen wurde, führt jetzt dazu, dass Investoren kommen und sich die Viertel aneignen. Die Leute, die die Viertel lebenswert gemacht haben, sind gezwungen, zu gehen, weil ihre unkommerziellen Initiativen kein Geld oder keine Anerkennung bekommen und sie so aus dem urbanen Raum verdrängt werden.«
Diese »neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt«, wie ein kürzlich erschienenes Buch die neoliberale Entwicklung in Leipzig betitelt, führt also auch im Leipziger Land der unbegrenzten Möglichkeiten zur Verdrängung marginalisierter Gruppen. So werden hier gleichermaßen Luxuslofts für Besserverdienende gebaut, während am anderen Ende der Stadt Asylsuchende in maroden Sammelunterkünften leben und Prekäre entmietet werden. Gegen diese Prozesse und »für eine Stadt für alle« demonstrierte daher die »Parade der Unsichtbaren«. Und auch wenn der Protest nicht mehr als eine Demonstration war, so bietet diese Form der Selbstermächtigung marginalisierter Gruppen Potential zur Bildung eines Gegengewichts. Auch die Symbolfigur des Protests zeigte sich ganz im Sinne des Aufstandes der Unterdrückten: als Gespenst, das in Leipzig umherging.