Dawn Cavanagh im Gespräch über die Lage von LGBTI in Afrika

»Lesben bekommen gesagt, sie seien nicht afrikanisch«

Dawn Cavanagh ist Geschäftsführerin der Coalition of African Lesbians (CAL) mit Hauptsitz in Südafrika. Die CAL ist mit 33 Mitgliedsorganisationen in 19 afrikanischen Ländern die größte LGBTI-Vernetzungsorganisation auf dem afrikanischen Kontinent. Die Organisation engagiert sich unter anderem für Lesben- und Frauenrechte, Sexarbeiterinnen, Frauen mit HIV und das Recht auf Abtreibung; sie unterstützt die länderübergreifende Zusammenarbeit gegen die Diskriminierung von LGBTI und ist auf internationaler Ebene bei den UN tätig. Im April 2015 wurde CAL der Beobachterstatus bei der Afrikanischen Kommission für Menschen- und Völkerrecht eingeräumt. Mit Cavanagh sprach die Jungle World über die Lage von LGBTI in Afrika.
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Wie arbeitet die CAL?
Die CAL ist aus der Frauenbewegung hervorgegangen und sieht sich als Teil davon. Wir legen einen Fokus auf die Lesben- und Frauenbewegung, aber wir arbeiten auch zu Fragen der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung. Die CAL ist in unterschiedlichen Bewegungen aktiv, neben Frauenrechten, sexuellen Rechten und Reproduktionsrechten engagieren wir uns auch für ökonomische Gerechtigkeit und Umweltschutz. Wir kämpfen darum, dass Politiker und Entscheidungsträger akzeptieren, dass unsere Körper und unser Leben uns gehören, dass wir Frauen und LGBTI niemandes Eigentum sind. Wir gehören weder unseren Brüdern, unseren Vätern, unseren Ehemännern noch dem Staat.
Wie ist die Situation für LGBTI im subsaharischen Afrika?
Viele von uns sind tagtäglich Bedrohungen ausgesetzt: LGBTI werden angefeindet, erfahren körperliche und sexuelle Gewalt, bis hin zu Mord. Es wird viel über den rechtlichen Status von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in Afrika geredet. Uns interessiert das nicht wirklich, weil der Fokus auf die Gesetze zu einem falschen Verständnis davon führt, wie Veränderungen herbeigeführt werden können. In Südafrika haben wir die fortschrittlichsten Antidiskriminierungsgesetze der Welt, gleichzeitig haben wir die höchste Rate von Gewalttaten gegen LGBTI. Wir beschäftigen uns deshalb nicht wirklich mit Gesetzesfragen, was wir brauchen, ist eine Veränderung der sozialen Verhältnisse.
Wie sieht es in anderen afrikanischen Ländern aus?
Viele afrikanische Länder haben gar keine Antidiskriminierungsgesetze. Von den über 40 Ländern haben nur etwa zehn keine LGBTI-feindliche Gesetzgebung. Doch jedes Gesetz kann dazu benutzt werden, um zu behaupten, dass LGBTI es übertreten haben: Beispielsweise wird behauptet, dass LGBTI den Frieden stören. Deshalb sind wir sehr vorsichtig, wenn es darum geht, um Gesetze zu kämpfen. Letztlich verringern sie nicht die Zahl der Übergriffe und können sogar den gegenteiligen Effekt haben. In Südafrika zum Beispiel gab es einen backlash. Es gab weniger Übergriffe, bevor die Antidiskriminierungsgesetze eingeführt wurden.
Wie kam es zu dem backlash?
Nach Ende des Apartheid-Systems wurde 1996 eine neue Verfassung erlassen, die sich auch gegen Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität wandte. Es gab eine große Kampagne, die darüber informieren wollte, welche Rechte LGBTI haben und wie man sich verhält, wenn sie verletzt werden. Damals sahen vor allem junge, ärmere Lesben aus den Townships die Verfassung als gegeben an. Sie bekannten sich zu ihrer Homosexualität und ernteten nur Ablehnung und Anfeindungen. Lesben bekommen bis heute immer wieder gesagt, sie seien nicht afrikanisch, sie seien gottlos, sündig, verrückt, unnatürlich.
Was bedeutet die Aussage, LGBTI seien nicht »afrikanisch«?
Grundsätzlich akzeptieren wir diese Aussage nicht, weil wir selbstbestimmt sein wollen. Wir wissen, dass es keine monolithische afrikanische Identität gibt. Wir wehren uns dagegen, von den nördlichen Staaten als korrupt und faul bezeichnet zu werden. Wir wehren uns gegen stereotype Zuschreibungen einer »afrikanischen« Identität, auch von anderen afrikanischen Staaten. Wer hat entschieden, wie Afrikanerinnen und Afrikaner ihr Leben leben sollen? Es gibt so viele historische Beweise, dass unsere Lebensweise nicht »unafrikanisch« ist. Teilweise gründet der Widerstand gegen LGBTI nicht darauf, dass sie gleichgeschlechtliche Beziehungen führen, sondern darauf, dass sie die Sprache des Nordens reproduzieren würden, wenn sie sich als lesbisch, schwul oder bisexuell bezeichnen. Auch wir problematisieren in manchen Fällen diese Begriffe, weil es überall Menschen gibt, die sich in gleichgeschlechtlichen Beziehungen befinden, sich aber nicht als lesbisch, schwul oder bisexuell bezeichnen.
In Irland wurde die gleichgeschlechtliche Ehe gerade legalisiert. Wie beeinflusst diese Entwicklung die Situation in den afrikanischen Ländern?
Die Entwicklung bedeutet den afrikanischen Regierungen überhaupt nichts. Im Gegenteil, sie ist eher Anlass für ihren Widerstand, weil sie sie nicht als ihre Angelegenheit, nicht als »afrikanisch« ansehen. In Südafrika wurde schon 1996 damit begonnen, alle diskriminierenden Gesetze in diesem Bereich abzuschaffen und so auch die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt. Deshalb sind Aktivistinnen und Aktivisten in den afrikanischen Ländern eher inspiriert von der südafrikanischen Gesetzgebung als von der irischen. Für manche Bewegungen mag die gleichgeschlechtliche Ehe wichtig sein, für uns ist sie es nicht. Wir engagieren uns nicht einmal dafür. Tatsächlich finden wir sie sehr problematisch, weil sie Freiheit und Selbstbestimmung eher einschränkt als unterstützt.
In welchem Zusammenhang steht die diskriminierende Gesetzgebung vieler afrikanischer Länder mit der Kolonialisierung?
Die Gesetzgebung basiert auf der britischen und französischen Rechtsprechung, aber ich möchte die Wirkung dieser Gesetzgebung nicht überbewerten. Auch schon davor war es für LGBTI nicht leicht: Das Thema wurde unter dem Motto »Don’t ask, don’t tell« verhandelt. Vor der Kolonialisierung gab es kein Rechtsprechungssystem, das Verhalten gründete mehr auf Toleranz. Es wird berichtet, dass manche Könige früher gleichgeschlechtliche Beziehungen hatten und dieses Verhalten gesellschaftlich nicht nur toleriert, sondern akzeptiert wurde. Aber generell durften LGBTI ihre sexuelle Orientierung nicht offen ausleben. Die Kolonialgesetze schrieben die Diskriminierung fest, gleichgeschlechtliche Beziehungen wurden illegalisiert.
In Gambia wurde vor kurzem eine EU-Diplomatin des Landes verwiesen, weil sie sich für LGBTI-Rechte eingesetzt hat. Wie ist Ihre Sicht darauf?
Wenn der gambische Diktator gegen LGBTI hetzt, sind LGBTI nicht wirklich das Problem, sondern der Mangel an Demokratie und Menschenrechte in dem Land. Es geht nicht nur um die Möglichkeit zu wählen, sondern darum, den Menschen eine Stimme zu geben, sie selbst tagtäglich regieren und nicht nur alle vier oder fünf Jahr ihren Stimmzettel abgeben zu lassen.
Die CAL kämpft dagegen, dass jeden Tag Lesben zwangsverheiratet, vergewaltigt oder ermordet werden. Aber wir müssen diese Probleme in ihrem größeren sozialen und ökonomischen Kontext sehen. Die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen auf dem afrikanischen Kontinent müssen sich erst hin zu einem grundlegenden Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten und Demokratie entwickeln.
Welche Probleme ergeben sich durch christliche oder muslimische Diskriminierung für LGBTI?
Nicht Religion an sich ist das Problem, sondern fundamentalistische Religion. Christlicher Fundamentalismus spielt in Afrika eine viel größere Rolle als muslimischer, weil die meisten Länder christlich sind. Wenn Geistliche durch ihre Predigten Männer dazu ermutigen, die Körper von Frauen als Besitz anzusehen, ist das für uns hate speech. Sie erzeugt Gewalt, weil die Gesellschaft die Körper von Frauen durch Gewalt und die Androhung von Gewalt kontrolliert.
Wir selbst sind nicht religiös, wir arbeiten nicht mit religiösen Gruppen zusammen, wir wollen Staaten dazu zu bringen, ihre Pflichten zu erfüllen.
Viele Menschen fliehen aus afrikanischen Ländern, weil sie dort bedroht oder verfolgt werden. Welche Erfahrungen hat die CAL bei der Arbeit mit lesbischen Flüchtlingen gemacht?
LGBTI-Flüchtlinge geben selten homosexuelle Diskriminierung als Fluchtgrund an, weil sie sich davor fürchten, wieder diskriminiert zu werden. In Südafrika, wo unser Hauptsitz ist, arbeiten wir deshalb zusammen mit der Universität an einem Forschungsprojekt über Fluchtursachen und Interventionsmöglichkeiten auf diesem Gebiet. Für LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten haben wir Schutzräume, in denen sie Zuflucht vor Verfolgung suchen oder sich erholen können, wenn sie von der Arbeit ausgebrannt sind. Außerdem bieten wir an, Flüchtlingen neue Wohnorte innerhalb eines Landes zu verschaffen oder sie in einem anderen Land auf dem afrikanischen Kontinent oder außerhalb Afrikas unterzubringen.