Es kann keine antideutsche Bewegung geben

Selbstkritik des Linksradikalismus

Auch bald 25 Jahre nach dem Zerbrechen des Bündnisses »Radikale Linke« versucht sich mancher weiter an einem Antiimperialismus gegen Deutschland. Eine Kritik der Polemik gegen die Flaschenpost.
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Wie die Vorstellungen sich doch ähneln: Vor 25 Jahren scheiterte ein Bündnis – die Radikale Linke –, das auf Antiimperialismus gegen ein vereintes Deutschland gesetzt hatte, das vom Vereinigungsrausch 1989 gerade übergangslos in den Golfkriegs-Friedenstaumel 1991 verfiel. Damals wie heute scheint der Balkan die Lösung zu beinhalten, wird eine aktualisierte Neuauflage der damals prägenden antiimperialistischen Vorstellungen wieder als »antideutsch« verkauft, in der das, was manch einer damals von Serbien erhoffte, dass nämlich der Feind meines Feindes schon allein dadurch geadelt würde, auf Griechenland übertragen wird. Alexis Tsipras ist Bini Adamczak und Jakob Apfelböck heute offenkundig das, was Jürgen Elsässer einst sein Slobodan Milošević war. Denn wie damals lässt Deutschland sich durch diese Brille als Viertes Reich ansehen, dessen Eliten und Kapitalmagnaten sich gegen die Völker der Erde verschworen hätten und damit der Dimitroffschen Doktrin, dass der deutsche Faschismus eine Machination der radikalsten Fraktionen des Finanzkapitals sei, erneut Scheinplausibilität verleihen.
Dabei sei gar nicht in Abrede gestellt, dass der heutige Antiimperialismus gegen Deutschland ökonomisch durchaus triftigere Fakten anführen kann, als es im Falle der Jugoslawienkriege und der Zerlegung des ehemaligen Ostblocks vor einem Vierteljahrhundert der Fall war: Denn die Annahme, dass militärische Kontrolle über irgendwelche Rohstoffvorkommen, sei es in Bosnien oder gar in Oberschlesien (was einst Georg Fülberth in der Konkret als deutschen Masterplan vermutete), handlungsleitend für die deutsche Außenpolitik sein könnte, erschien von Anfang an so lächerlich, wie es heute vor aller Augen steht. Nur macht der Fakt, dass Griechenland schlicht nicht mehr mithalten kann im durch den Euro mittlerweile unbeschränkten Effektivitätswettbewerb der Länder und Regionen, genauso wie der Fakt, dass die sozialen Verhältnisse dort desaströs sind, die griechische Regierung nicht zum natürlichen Bündnisgenossen irgendeiner antideutschen Politik – ebenso wenig, auch wenn der Vergleich natürlich hinkt, wie einst die serbischen Tschetniks.
Das Problem ist nämlich, dass es gar keine anti­deutsche Politik geben kann, sondern nur entweder eine unkritisch ihr altes Unwesen fortschleppende linke Politik oder aber die Kritik an jener linken Politik, die wie von selbst immer und immer wieder in einem Boot mit Querfronten und Israelfressern landet.
Denn jene Massen, zu deren Vorhut im Herzen der Bestie man sich gerne aufschwingen würde, denken im Grunde nicht anders als die Deutschen auch, insbesondere im Falle des antizionistischen Musterlandes Griechenland: verschwörungstheoretisch, xenophob, autoritär und von jenem Geist beseelt, der dem Kapital seine abstrakte Form austreiben möchte und kurz als Antisemitismus bezeichnet wird. Das handelt sich ein, wer – von keinem kritischen Gedanken berührt – im Namen des Volkes – momentan des griechischen – gegen das Diktat des raffenden Kapitals agitiert, weil er dieses mit Deutschland an sich assoziiert und jenes zu dessen Widerpart stilisiert.
Eine kurze Passage aus dem Disko-Beitrag von Adamczak und Apfelböck mag das verdeutlichen: Antideutsche benähmen sich, so die beiden Autoren, »als wäre der Nationalsozialismus aus linken Massenbewegungen hervorgegangen, als betreibe nicht Deutschland, sondern Attac die Verarmungspolitik in Südeuropa. Heute aber bedeutet antideutsche Kritik praktische Solidarität mit den internationalen Kämpfen gegen das deutsche Krisenregime. Sollte das linke Projekt etwa in Griechenland scheitern, steht die faschistische Alternative schon bereit.« Um so reden zu können, muss man zunächst davon absehen, dass die »faschistische Alternative« in Griechenland bereits mitten im »linken Projekt« sitzt, vor allem aber ignorieren, dass der Nationalsozialismus selber durchaus eine »linke Massenbewegung« war, im Sinne eben jener Kapitalismuskritik, die mittels staatlicher Autorität den Krisencharakter des Kapitals exorzieren will. Nur dann kann man sich vorbehaltlos auf die Seite von Attac und ähnlich gestrickten Protestgruppen schlagen. Was die gegen Deutschland vorzubringen haben, ist selbst urdeutsch: dem Kapitalismus nämlich sein raffendes Wesen auszutreiben, wobei die Zuschreibung »jüdisch« sich bislang meist noch auf manische Feindschaft gegen den jüdischen Staat begrenzt; die Betonung liegt hier auf: bislang.

Und dem entkommt man auch nicht, wenn man, wie Bernhard Torsch im »Jungle-Blog«, kurzerhand Griechenland mit Israel gleichsetzt: »Die Situation in Athen erinnert viel eher an Israel, dessen ›Kritiker‹ auch nicht verstehen, warum eine von islamistischen und vernichtungsantisemitischen Banden bedrohte Gesellschaft mehrheitlich Politiker wählt, die Sicherheit und Härte gegen die Feinde versprechen.« Denn weder ist Benjamin Netanyahu ein Agitator gegen das Finanzkapital, der entsprechende Sentiments bedient und/oder bedienen muss, noch wollen die sogenannten »Institutionen« die Griechen ins Meer treiben und ein vorgebliches internationales Griechentum vernichten (was man leider wiederum umgekehrt von weiten Teilen der griechischen Linken in Hinsicht auf Israel und die Juden nicht mit derselben Sicherheit behaupten kann).

Diese Kritik zu äußern bedeutet nicht, dass einem die Austeritätspolitik Deutschlands egal sein sollte, genauso wenig, wie einem vor Jahrzehnten die deutschen Jugoslawienkriege egal bleiben konnten und durften. Wogegen sie sich richtet, ist der weltrevolutionäre Gestus, der schon wieder einmal zum entscheidenden, letzten Gefecht rüstet; denn darauf insistiert die Sehnsucht nach Tathandlungen umso dringender, je zwielichtiger die Bundesgenossen sind, an deren Seite man sich zu stellen gedenkt. Antideutsche Kritik muss aber heißen, dass nicht egal sein darf, mit wem man wogegen kämpft, Hauptsache: irgendwie gegen Deutschland; der Kampf und seine Agenten selber müssen ständig von den Schlacken dessen befreit werden, was der erste Antideutsche, Karl Marx, als »deutsche Ideologie« hellsichtig kritisiert hatte. Ideologie, die schon im 19. Jahrhundert den Naturzwang, die Enge der Verhältnisse verhimmelte, um antikapitalistisch gegen den Mammon und antiimperialistisch gegen den Universalismus zu Felde zu ziehen. Antideutsch zu sein, so diese Bezeichnung überhaupt noch irgendetwas bedeuten kann, heißt demnach, sich klarzumachen, dass die Existenz von Kämpfen allein nicht von der ideologiekritischen Anstrengung befreit, sondern sie vielmehr notwendiger denn je macht. Antideutsch in diesem Sinne heißt, den Kampf um die Köpfe der Kämpfenden zu führen, und sei es, aus der Außenseiterposition heraus, mit dem Abschicken der vielgeschmähten Flaschenpost.
Denn die stete Reproduktion dieser Ideologie hat ja objektiven Grund, entsteht mit Notwendigkeit aus den falschen Verhältnissen: Aus dem Schein, dass der autoritäre Staat das Kapital entab­straktifizieren könne, sowie aus der Regression und Entmündigung der verstaatlichten Subjekte. Beides zeugt Verfolgungswahn und Verfolgungswut, gibt dem Kapital Namen und Adresse, ohne je begreifen zu wollen, dass die geforderten Schuldigen und Drahtzieher, die man für ein durchaus abstraktes Verhängnis zur Rechenschaft ziehen will, jenes nicht ursächlich ins Werk setzen. Was übrigens nicht heißt, dass die tatsächlichen, in der Tat häufig bösartigen Charaktermasken den Zwang der Verhältnisse nicht so oder so exekutieren könnten; genau dazu wären sie auch politisch zu zwingen, durch Streiks, durch Selbstorganisation, nicht aber durch wohlfeile Fernidentifikation mit irgendeinem dritten Weg, einem »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« oder auch nur einem frisch aus dem Amt geschiedenen griechischen Finanzminister.
Was folgt nun daraus, gerade in Hinsicht auf die in dieser Diskussionsreihe gewünschte Bilanz von 25 Jahren »Nie wieder Deutschland«? Zunächst einmal eines, das vor 25 Jahren genauso wichtig war wie heute: Antiimperialismus gegen Deutschland ist absurd, denn der Antiimperialismus ist ein Meister aus Deutschland. Es hat historisch bewiesen, dass es möglich ist, fast ganz Europa zu unterjochen und sich selber doch in einem Abwehrkampf gegen den Westen zu wähnen, und damit die Blaupause geliefert für jene Sorte Befreiungsbewegungen, vor denen Max Horkheimer früh schon als möglichem »neuen faschistischen Block« zu Recht warnte. Und zweitens: Es kann keine antideutsche Bewegung geben (worauf Paulette Gensler an dieser Stelle bereits hingewiesen hat).
Als antideutsch im obigen, durchaus orthodoxen Sinne könnte man nur die notwendige, meist mit verheerenden Folgen unterbleibende Selbstkritik des Linksradikalismus bezeichnen. Das meint Ideologiekritik, im Sinne der Kritik der Ideologien, die die Köpfe der kämpfen Wollenden beherrschen. Diese Aufgabe endet, fürchte ich, auch nicht in den kommenden 25 Jahren, denn sie dauert so lange an, bis kein griechischer Rentner mehr am Geldautomaten auf die Rothschilds schimpft, bis Gewerkschaften nicht mehr glauben, Resolutionen gegen Israel verfassen zu müssen, und der notwendige Zusammenhang zwischen Lohnarbeit und Zins endlich gerade auch von Linken begriffen wird.