Streit um die Parteilinie beim Front National

Le Pen contra Le Pen

Dem Front National (FN) ist es vorerst nicht gelungen, den ehemaligen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen aus der Partei zu werfen. In der politischen Ausrichtung ringt die Partei um eine einheitliche Linie.

Am Dienstag vergangener Woche fiel das Urteil des Berufungsgerichtshofs von Versailles in der Causa Le Pen gegen Le Pen. Es war bereits das dritte in Folge seit Anfang Juli. Das Urteil durchkreuzte den Plan der seit viereinhalb Jahren amtierenden Parteiführung des Front National (FN), sich des Problems in Gestalt seines Altvorsitzenden Jean-Marie Le Pen auf administrative Weise zu entledigen. So einfach wird man ihn nicht loswerden, er klagt sich erfolgreich wieder hinein. Richterliche Entscheidungen hoben nacheinander die »Suspendierung« des 87jährigen als Parteimitglied – den vorläufigen Entzug seiner Mitgliedsrechte – und den Beschluss zur Anberaumung einer innerparteilichen Urabstimmung auf. Bei dem Votum ging es unter anderem um die Abschaffung der »Ehrenpräsidentschaft«, die Jean-Marie Le Pen bekleidete, nachdem er 2011 formal den Parteivorsitz an seine Tochter Marine Le Pen abgegeben hatte.
Allem Anschein nach hatte sich die derzeitige Parteiführung amateurhaft angestellt und nicht einmal die eigene Satzung genau studiert – die hatte sich Jean-Marie Le Pen dereinst auf den Leib schneidern lassen. Weil der genaue Zeitraum der Suspendierung Le Pens nicht benannt worden war, betrachteten die Richter sie als unrechtmäßig. Ein Ausschluss auf Zeit sei nur dann möglich, wenn auf einen festgelegten Zeitraum entweder ein endgültiger Ausschluss oder eine Wiederaufnahme folge. Auf die gerichtliche Annullierung der Urabstimmung antwortete die Parteiführung am Abend des 29. Juli, indem sie deren vorläufiges Ergebnis trotzdem veröffentlichte. 29 000 von derzeit 51 000 Parteimitgliedern nahmen bis zu ihrem Abbruch an der Abstimmung teil; 94 Prozent von ihnen votierten für die Änderungen, mit denen Jean-Marie Le Pen der »Ehrenvorsitz« durch dessen Abschaffung entzogen worden wäre.

Ihr Mitgründer, der sie von 1972 bis 2011 leitete, bleibt der Partei demnach vorläufig als Mitglied erhalten; und er dürfte nicht zögern, sich als solches lautstark zu Wort melden. Ein eventueller Ausschluss verkompliziert sich nun, denn nach der Sommerpause beginnt der Wahlkampf für die am 6. und 13. Dezember in ganz Frankreich stattfindenden Regionalparlamentswahlen. Misstöne im Vorwahlkampf kann die Partei jedoch absolut nicht gebrauchen. Einige Parteigänger Jean-Marie Le Pens, besonders in Südostfrankreich, drohen nun damit, ihre eigene Partei mit konkurrierenden Listen zu stören. Sich darauf einzulassen, dürfte für den Altvorsitzenden jedoch riskant sein. Denn die Unterstützung einer eigenen Liste von »Dissidenten« könnte einen handfesten Ausschlussgrund liefern.
Auffällig ist unterdessen, welcher Mittel sich der Altvorsitzende gegen seine Gegner bediente. In Presseaussendungen und Videobotschaften griff Jean-Marie Le Pen mehrfach gezielt Bemühungen seiner Nachfolgerin Marine Le Pen an, dem offenen Antisemitismus abzuschwören. Eine Pressemitteilung Jean-Marie Le Pens vom 25. Juni, in der es überwiegend um die diversen innerparteilichen Auseinandersetzungen geht, fragt er: »Der FN als Schutzschild der jüdischen Gemeinde?« Dies spielt auf eine Formulierung von Marine Le Pen an, als sie vor Jahren behauptete, die extreme Rechte schütze durch Ablehnung von Einwanderung die jüdische Gemeinde Frankreichs vor einer angeblichen muslimischen Bedrohung. Am 10. Juli erschien eine seiner Videobotschaften, die er regelmäßig unter der Bezeichnung »Bordtagebuch« im Internet veröffentlicht, unter der Überschrift: »Jean-Marie Le Pen zeigt sich erstaunt über das Treffen zwischen Marine Le Pen und einer Delegation des Europäischen Jüdischen Kongresses.«

Dabei hatte Jean-Marie Le Pen selbst einmal eine ähnliche Strategie verfolgt wie seine Tochter heute. Den seit den fünfziger Jahren existierenden Vorwurf, ein Hitler-Sympathisant zu sein, versuchte er durch demonstrative Kontakte zu jüdischen Institutionen und Gruppierungen zu entkräften. Im Februar 1987 traf er sich deswegen in New York mit einzelnen Vertretern des Jüdischen Weltkongresses sowie Repräsentanten der rechtsnationalen israelischen Herut-Partei, dem Vorläufer des Likud-Blocks. Das nutzte ihm aber nichts. Als Le Pen im September 1987 wegen Äußerungen, die den Holocaust relativierten, wieder in die Kritik geriet, brach die Strategie zusammen. Daraufhin warf Jean-Marie Le Pen seine seit 1956 verfolgte und ostentativ zur Schau gestellte proisraelische Orientierung über Bord. Seitdem glaubt Le Pen, er sei damals hinters Licht geführt worden, und meint, dass Versuche rechter Kreise, durch die Nähe zu jüdischen Gruppierungen den Vorwurf des Antisemitismus loszuwerden, vergebens seien. Sie würden sich dadurch auf Dauer nur zu den Handlangern einschlägiger »Lobbys« und »antinationaler Kreise« machen.

Parallel zum Streit mit dem ehemaligen Vorsitzenden sind im FN Konflikte über dessen wirtschaft- und sozialpolitische Orientierung ausgebrochen. Seit 1990 setzte die dominierende Fraktion der rechtsextremen Partei verstärkt auf soziale Demagogie. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Ostblocks hatte die Partei auf die Prognose »Der Marxismus ist tot« gesetzt und gehofft, die Linke in ihrer Rolle als »Opposition gegen die herrschende Ordnung« verdrängen zu können. Das Projekt scheiterte nicht zuletzt an der starken Position der Gewerkschaften. Unter Marine Le Pen wurde dieser Kurs, den der FN bereits vor 25 Jahren einschlug, fortgesetzt und verstärkt – darin liegt die angebliche »soziale Sensibilität« der Partei begründet, über die bürgerliche Journalisten sich gelegentlich auf naive Weise erstaunt zeigen.
Seit einigen Monaten ist der FN jedoch wegen seines angeblich »linken« Wirtschaftskurses scharfer Kritik von rechts ausgesetzt. Die stärkste Oppositionspartei, die konservativ-wirtschaftsliberale Les Républicains, griff den FN wegen angeblicher »Linkslastigkeit« seiner Programmatik scharf an. Die aufgrund rassistischer Ausfälle berüchtigte konservative Abgeordnete Nadine Morano warf dem FN im April gar ein »linksradikales Wirtschaftsprogramm« vor. Auch Jean-Marie Le Pen griff die Kritik am »Linkskurs« der Partei auf und erhielt auch aus Kreisen des FN Unterstützung.
Das führte dazu, dass auch Marine Le Pen in den vergangenen Wochen ihre Kritik am Wirtschaftsliberalismus spürbar abschwächte. Sie griff im Juli vor allem die Steuerbelastung für kleinere und mittlere Unternehmen an und fordert nun Grenzen für staatliche Intervention. Nach wie vor spreche sie sich für einen Staat als »strategischen Wirtschaftsplaner« aus, dieser dürfe jedoch kein »aufdringlicher Staat« gegenüber der Privatwirtschaft sein.