Die Ausstellung »Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland«

Wenn der Punker geschluckt wird

Unter dem Titel »Geniale Dilletanten« musealisiert das Münchner Haus der Kunst die progressive Gegenkultur der frühen achtziger Jahre.

Der Trend zur Rückbesinnung auf die achtziger Jahre hält an. Das Städel-Museum in Frankfurt zeigt unter dem Titel »Die 80er« figurative Malerei, auf dem Münchner Filmfest begleitete Glenn O’Brien eine Warhol-Retrospektive, Oskar Roehlers Spielfilm »Tod den Hippies – Es lebe der Punk« lief ebenso wie der Essayfilm »B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989« vor wenigen Wochen in den Kinos und nun zieht das Goethe-Institut mit einer internationalen Tourneeausstellung nach, die für ihre Präsentation im Münchner Haus der Kunst erweitert wurde.
Das anhaltende Interesse am frühen deutschen Punk erstaunt, weil das Thema kulturell und medial bereits erschöpfend behandelt schien. Jürgen Teipels Doku-Roman »Verschwende Deine Jugend« – eine unterhaltsame oral history jener Zeit – war in der ersten Hälfte der Nullerjahre zum Bestseller avanciert und hatte einen Medienhype ausgelöst, der nicht nur zu einem gleichnamigen Kinofilm führte, sondern auch zu einem Comeback mehrerer Bands der Epoche. Es besteht daher eine gewisse Erwartungshaltung an die Münchner Ausstellung, dem Thema etwas hinzuzufügen.
Der absichtlich falsch geschriebene Titel »Geniale Dilletanten« geht zurück auf ein Musikfestival, das 1981 in Berlin stattgefunden hatte und auf dem mit Einstürzende Neubauten und Die tödliche Doris zwei Protagonisten der Münchner Schau aufgetreten waren. Sie besteht im Kern aus sieben Stellwänden, auf denen jeweils ein Musikprojekt jener Zeit mit Fotos, Texten und Videomaterial portraitiert wird – neben den beiden bereits genannten Vertretern sind das D.A.F., Der Plan, Palais Schaumburg, F.S.K. sowie Ornament und Verbrechen. In München wird die Ausstellung durch Arbeiten von bildenden Künstlern wie Martin Kippenberger, Markus Oehlen und A. R. Penck ergänzt, die in den achtziger Jahren den »Neuen Wilden« zugeordnet wurden, eine gewisse Nähe zur Punkszene aufwiesen und in einigen Fällen auch selber als Musiker in Erscheinung traten.
Der Stoff für die Narration einer Subkultur findet sich meist weniger in ihrer Existenz als solcher, sondern in den Bedingungen ihrer Entstehung sowie in ihrem Einfluss und Vermächtnis. Erstaunlicherweise zeigt die Ausstellung gerade an diesen Aspekten kein Interesse. Sie bildet nur wenige Jahre ab und spart das Davor und Danach aus. Schon der diffuse Untertitel »Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland« zeigt eine konzeptuelle Fahrigkeit: Nicht nur, dass eine zwar vielfältige, keineswegs aber die einzige Subkultur jener Zeit abgebildet wird, auch konzentriert sich die Auswahl der Protagonisten vornehmlich auf künstlerisch arbeitende Musikprojekte und ist deshalb nur bedingt repräsentativ. Selbst die zeitliche Einordnung erscheint fragwürdig: Sechs der sieben Bands hatten sich bereits Mitte der Achtziger von ihren Ursprüngen wegorientiert oder sich gleich ganz aufgelöst.
Dass mit Ornament und Verbrechen auch ein ostdeutsches Projekt vertreten ist, mag zunächst löblich erscheinen, offenbart aber auch die größte Schwäche der Ausstellung. Dass die politischen und gesellschaftlichen Umstände, unter denen die ostdeutschen Akteure gearbeitet haben, sich grundsätzlich von denen westdeutscher Gruppen unterschieden haben, wird durch den kuratorischen Willen, einen gemeinsamen Überbau zu konstruieren, verwässert. Dabei waren es gerade die konkreten deutschen Verhältnisse, an denen sich alle Protagonisten abgearbeitet haben. Anstatt aber diesen Zusammenhang als Bedingung für ihr Wirken zu untersuchen und dabei möglicherweise sogar beide deutschen Staaten in ein Verhältnis zu setzen, belässt die Ausstellung es bei einer oberflächlichen Bebilderung.
Die Widersprüchlichkeit, das Disparate, die Unterschiede zwischen den einzelnen Szenen und deren Rivalität, der Konflikt zwischen Kunst und dem proletarischen Anspruch von Punk, das Emanzipatorische – kurzum: vieles von dem, was die junge Subkultur ausgemacht hat und was beispielsweise in Teipels Buch zwischen den unkommentiert gegeneinandergestellten O-Tönen sichtbar wird, ignoriert die Ausstellung. Stattdessen konzentriert sie sich auf die künstlerische Praxis der Akteure, insbesondere auf deren Interdisziplinarität und handwerkliches Nichtkönnen. Aber Schauwände sind selten revolutionär, und ohne gesellschaftlichen Kontext bleibt die subversive, lustvolle Kraft von Punk und Avantgardekultur bloß behauptet.
Welches Potential die Ausstellung verschenkt, zeigt beispielhaft das gerade wiederveröffentlichte Albumprojekt »Die unsichtbare LP« von Die tödliche Doris. Die Berliner Künstlergruppe hatte Mitte der Achtziger die Idee umgesetzt, insgeheim zwei Alben zu produzieren, die sich musikalisch unterschieden, die aber erst gleichzeitig abgespielt ein stimmiges Ganzes ergaben. Das eine Album »Unser Debut« – schon der Titel war eine Lüge, denn es handelte sich mitnichten um das erste Album von Die tödlich Doris – tat opportunistisch so, als wolle die Band absichtsvoll kommerziell klingen. Das andere Album »sechs« kam dagegen gewollt unzugänglich und experimentell daher und behauptete künstlerische Unabhängigkeit. Beide Alben wurden im Abstand von zwei Jahren veröffentlicht.
Die Idee ging auf, und niemand ahnte etwas von ihrer verborgenen Gemeinsamkeit: »Unser Debut« wurde verrissen und »sechs« gemeinhin gelobt. Als die Gruppe das Konzept schließlich offenlegte, kam nicht nur ein immaterielles drittes Album zum Vorschein, sondern auch die Wirkungsweise der medialen Musikrezeption, das Spiel mit dem eigenen Image und die Limitierungen des physischen Tonträgers – alles Themen, die auch heute, im Zeitalter der Digitalkultur, aktuell sind.
»Die unsichtbare LP« ist nun erstmalig als limitierte Doppel-LP erschienen, gepresst auf klarem Vinyl, und mit einem A1-Nachdruck des Plakats, auf dem die Band später die zugrundeliegende Idee der beiden Alben verraten hatte.
So sehr es ein Gewinn ist, den ergrauten Akteuren zuzuhören, wenn sie über ihre sympathische, widerständische Jugend berichten, und so sehr der unvermeidliche Diedrich Diederichsen im Katalog bemüht ist, die vielen konzeptuellen Ungenauigkeiten auszubügeln – die Ausstellung ist nicht mehr als eine Infoschau und taugt vor allem für Leute, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben, oder als nostalgische Erinnerung. In dem historisch aufgeladenen Haus der Kunst, das 1937 mit der NS-Propagandaschau »Große Deutsche Kunstausstellung« eröffnet hatte, ist eine solch oberflächliche Bebilderung zu wenig.
Das monströse Gebäude hat immer dann seine stärksten Momente als zeitgenössischer Ausstellungsraum, wenn es zu einer kritischen Auseinandersetzung zwischen Kunst und Geschichte kommt. Die Ausstellung unterlässt es aber, die Auseinandersetzung der Subkultur mit dem aufzugreifen, was Diederichsen als eine »low, trashig, real und unterbeschrieben empfundene BRD« bezeichnet. Es spricht nicht für die Konzeption der Schau, wenn Gabi Delgado-López von D.A.F. den Mussolini tanzt und die Protagonisten in einem eigens produzierten Interviewfilm ihre Verwendung der deutschen Sprache explizit nicht als Hinwendung zu einer Nationalkultur bezeichnen, die damit begonnene Hinterfragung der deutschen Nation aber im musealen Kontext nicht fortgeführt wird.
Auch einer möglichen Verbindung zwischen den expressiven Arbeiten der »Neuen Wilden« an den Wänden und dem NS-Begriff der entarteten Kunst wird nicht nachgegangen, obwohl die gleichnamige NS-Ausstellung 1937 erstmalig in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses der Kunst gezeigt wurde.
Stattdessen versucht die Ausstellung sich gemäß dem Motto »Sprache. Kultur. Deutschland« des Goethe-Instituts an einer affirmativen Kontinuität deutscher Kultur. Gegenkultur wird darin vereinnahmt, sobald sie künstlerisch progressiv daherkommt. Auch der frühe Punker ist dann Deutschland. Das darf man schade finden.

Die Ausstellung »Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland« läuft noch bis zum 11. Oktober im Münchner Haus der Kunst.
Die tödliche Doris: Die unsichtbare LP (Major Label)