Die Entkriminalisierung der Prostitution reicht nicht

Legalisierung ist das Ziel

Die Forderung, Sexarbeit zu entkriminalisieren, ist ein notwendiger Schritt, der aber nicht weit genug geht.

Mit der Entscheidung, eine Handlungsempfehlung an Staaten zur Wahrung der Menschenrechte von Sexarbeitern herauszugeben, hat Amnesty International Empörung ausgelöst, weil darin die Aufforderung enthalten ist, Sexarbeit zu entkriminalisieren. Damit ist gemeint, Gesetze und Regularien abzuschaffen, die entweder Sexarbeiter für ihre Tätigkeit direkt der Strafverfolgung aussetzen, in Arrest bringen oder mit Bußgeldern bedrohen, oder die die Organisation, Unterstützung und Vermittlung von Sexarbeit unter Strafe stellen. Am Geschäft mit Sex beteiligte Dritte sollten nur dann bestraft werden, wenn sie Zwang, Druck oder Gewalt auf Sexarbeiter ausüben. Auch Kunden sollten nicht allein deswegen bestraft werden, weil sie Kunden sind. Bei den Gegnern der Prostitution ruft ein solches Ansinnen Empörung hervor, sie sind der Ansicht so würden Zuhälter, Menschenhändler und andere Ausbeuter von Prostituierten begünstigt und der Strafverfolgung entzogen, während die armen Prostituierten ihnen umso hilfloser ausgeliefert seien.
Gerne wird auf die deutsche Situation verwiesen, um anzuprangern, wohin eine Entkriminalisierung der Prostitution führe. Hierzu ist Mehreres zu bemerken. Deutschland ist nicht das Vorbild für Entkriminalisierung, das Amnesty vor Augen hat. Prostitution ist in Deutschland zwar weitgehend, aber nicht vollständig entkriminalisiert. Das hauptsächliche Relikt des alten Kriminalisierungs- und Reglementierungsmodells ist die Sperrbezirksverordnung, die es Städten und Kommunen gestatten, die Prostitution »zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes« in bestimmten Bereichen zu untersagen. Davon wird reichlich Gebrauch gemacht, auch in diskriminierender Weise. So wurde der neue Sperrbezirk in der Stadt Dortmund jüngst damit begründet, der Straßenstrich sei für Rumäninnen und Bulgarinnen zu attraktiv gewesen und einen solchen Anziehungspunkt für osteuropäische Migrantinnen wolle man nicht mehr bieten.

Entkriminalisierung und Legalisierung sind zu unterscheiden. Entkriminalisierung bedeutet die Abschaffung von Strafgesetzen und Ordnungswidrigkeiten, die sich in diskriminierender Weise auf Sexarbeit beziehen. Legalisierung wäre die Implementierung bestimmter gesetzlicher Regulierungen der Sexarbeit. Sexarbeiterorganisationen weltweit fordern eine Entkriminalisierung als notwendigen ersten Schritt. Amnesty hat sich bewusst nicht auf ein konkretes Modell der Legalisierung festgelegt, aber Mindeststandards aufgestellt, die ein solches erfüllen müsste. Auch hier ist Deutschland keineswegs vorbildhaft. Die Pläne für das neue »Prostituiertenschutzgesetz« sehen eine Anmeldepflicht für Prostituierte vor, die datenschutzrechtlich problematisch und zudem diskriminierend ist und für Sexarbeiter keinerlei Vorteile bringt. Der Zugang zu sozialer Absicherung und Arbeitsrechten, den Amnesty anmahnt, ist in Deutschland ebenfalls, vor allem für Migrantinnen, nicht immer gewährleistet. Auch der Kampf gegen die Stigmatisierung, den Amnesty den Regierungen aufträgt, wird in Deutschland nicht gerade engagiert geführt.
Dass die Entkriminalisierung auch Drittparteien mit einbeziehen muss, um die Menschenrechte von Sexarbeitern zu schützen, ist offensichtlich: In Frankreich etwa macht sich schon der Vermieter einer Wohnung strafbar, wenn in ihr der Sexarbeit nachgegangen wird. Würde eine Sexarbeiterin einen solchen Vermieter anzeigen, zum Beispiel weil die Miete untragbar hoch ist, so wird sie im Ergebnis einen neuen Arbeitsplatz auf der Straße haben. Erst eine Entkriminalisierung würde es ihr ermöglichen, ihm gegenüber faire Bedingungen durchzusetzen.

Amnesty spricht nicht nur über die Entkriminalisierung von Sexarbeit, sondern über zahlreiche andere staatliche Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, Menschen, die nur aus Mangel an Alternativen in der Sexarbeit arbeiten, andere Möglichkeiten zu geben. Dazu gehören sozialpolitische und Antidiskriminierungsmaßnahmen. Amnesty erkennt an, dass Armut, mangelnde Bildung, Diskriminierung und restriktive Migrationspolitik mitverantwortlich sind, dass Menschen in der Sexarbeit arbeiten, die es eigentlich lieber nicht tun würden. Diese Erkenntnis würde man den Prostitutionsgegnern auch wünschen: Anstatt permanent Schauergeschichten von Zuhälterringen und organisierter Kriminalität zu erzählen, könnten sie einmal ein Wort zu den ökonomischen Bedingungen verlieren, die Menschen in die Prostitution – wie auch in andere prekäre Arbeitsverhältnisse – nötigen. Mit ihrer vollkommen undifferenzierten Reaktion auf die Amnesty-Resolution desavouiert sich die Position der Abolitionisten erneut.