Das Debütalbum von Schnipo Schranke

Let us entertain you!

Die Hamburgerinnen von Schnipo Schranke brechen eine Lanze für die Unterhaltung. Ihr Debütalbum »Satt« hätte bei allem Spaß mehrdeutiger ausfallen können.

Es läuft gut für Schnipo Schranke, und das ging recht schnell. Ihr erster Hit hieß »Pisse«, er erschien im vergangenen Jahr auf einem Sampler, das Video erhöhte die Aufmerksamkeit weiter. Youtube sperrte es, weil gegen Ende ein entblößter Penis in eine Kaffeetasse pinkelt. Auch andere Bands wie Trümmer, Messer und Die Heiterkeit bestärkten in den vergangenen zwei Jahren die Zuversicht, dass 20 Jahre nach Blumfeld, Tocotronic und den anderen endlich wieder eine kritische, kluge Popmusik in deutscher Sprache boomt. Jetzt erscheint »Satt«, das Debütalbum von Schnipo Schranke, und es wirkt, als sei die Einordnung der Band als Fortsetzung der Hamburger Schule mit anderen Mitteln ein Missverständnis.
Schnipo Schranke bestehen aus den zwei Neuhamburgerinnen Daniela Reis und Fritzi Ernst. Sie lernen sich im Studium in Frankfurt kennen. Reis studiert Cello, Ernst Blockflöte. Eigentlich wollten sie von Anfang an auf die Bühne, möglichst viele Menschen erreichen und unterhalten. Dass ein Blockflöten-Studium an einer Musikhochschule dafür nicht unbedingt geeignet ist, sehen die beiden nach einer Weile ein und gründen die Band. Bloß alles anders machen als im steifen und auf Virtuosität abzielenden Studium! Schnipo Schranke, diese Mischung aus Pop, Chanson und Neue-Deutsche-Welle-Trash mit explizit-komischer Sprache, ist somit auch aus Trotz entstanden.
Im Gespräch wirkt es mehr als einmal so, als seien die Dinge für Schnipo Schranke eher so passiert. Sie hangeln sich von Entscheidung zu Entscheidung, einen Plan gibt es nicht, und plötzlich sitzen sie mit Ted Gaier von den Goldenen Zitronen im Studio. Erfolg im Mainstream ist trotzdem das Ziel, sagen sie. Und die explizite Sprache muss ihnen nicht im Weg stehen. Man denke nur an Sleaford Mods aus England. Deren excremental anger, so der Poptheoretiker Mark Fisher, ist auch in Deutschland gerade auf dem Sprung zum Erfolg außerhalb der Nische. Sleaford Mods sind in ihrer obszönen Sprache und ihrem ausgestellten Working-Class-Stolz auch deswegen interessant, weil sie ihre häufig autobiographischen Texte als dezidiert linke Kritik an Prekarisierung und kapitalistischer Ausbeutung verstanden wissen wollen. So funktionieren Schnipo Schranke nicht. Die zugespielten Bälle, in ihrer Musik gehe es doch um mehr als lustige Suff- und Bettgeschichten, um Feminismus zum Beispiel, Charlotte Roche, schießen sie im Verlauf des Gesprächs immer genervter ins Aus.
Ernst habe noch nie von den Sleaford Mods gehört, behauptet sie, Reis kennt sie höchstens aus der Ferne. Das wird noch mehrmals in diesem Gespräch geschehen: Schnipo Schranke geben sich so unwissend, als würden sie kaum Musik hören. Und für den Diskurs, der zum linksalternativen Pop mindestens seit den neunziger Jahren dazugehört, scheinen sie sich kaum zu interessieren. Ihr Ziel sei es eben, zu unterhalten. Aber da ist doch so viel Politisches in ihrer Haltung: Das Fluchen und das Obszönsein, sind das nicht Gesten gegen diejenigen, die diplomatisch sein wollen, gegen das Förmliche und das Akademische?
»Wenn das so ist, dann war es auf jeden Fall keine Absicht. Ich habe auch das Buch von Charlotte Roche gar nicht gelesen.« Nichtkennen und Nichtwissen als Konzept: »Als wir die Band gestartet haben, waren wir total abgeschottet und hingen ständig bei Daniela auf dem Kaff rum. Feminismus war da für uns überhaupt kein Thema. Wir haben geschrieben, was uns eingefallen ist.« Das Unbekümmerte ist durchaus reizvoll und funktioniert in einigen Songs in seiner entwaffnenden Direktheit. In »Tot« beispielsweise, wo es »Ich küss’ dich in Schutt und Asche, noch bevor ich dich vernasche« heißt – woraufhin ein Drumcomputer den Song auf schöne Weise sabotiert. Auch das an den unterschätzten Poetry Slammer Nico Semsrott erinnernde »Scherz« klingt stoisch und morbide zugleich – nicht nur albern.
Eines der ersten Stücke der Band war das großartige »Beste Freunde«, das es unverständlicherweise nicht auf das Album geschafft hat. »Beste Freunde« kombiniert den bewusst naiven Singsang mit schön dahingerotzten Rap-Strophen und mehr als einer irrwitzigen Punch­line wie »Halt die Fresse Hello-Kitty-Pyjama.« Eine solche Abwechslung der Stile und Einflüsse hätte dem Album gut getan. Der Waschzettel zum Album teilt schlicht mit, HipHop sei jetzt out. Schade, denn so klingt »Satt« quasi über die volle Distanz wie eine deutschsprachige Version der Dresden Dolls.
Die Dresden Dolls, bestehend aus Amanda Palmer am Gesang und Klavier und Brian Viglione am Schlagzeug, sorgten vor knapp zehn Jahren mit ihrem anarchischen Witz und ihrer Mischung aus Punk, Cabaret und Chanson international für Furore. »War mit 15 meine Lieblingsband«, meint Fritzi Ernst denn auch. Der große Unterschied zwischen Schnipo Schranke und den Dresden Dolls ist, dass letztere Wert auf ihre Herkunft aus dem Punk legen und sich in der Öffentlichkeit als politische und streitbare Personen geben. Bei den Dresden Dolls treffen Peaches und Bertolt Brecht aufeinander. Schnipo Schranke haben von Peaches möglicherweise noch nie gehört. Zumindest würden sie es vermutlich behaupten.
An zu vielen Stellen lebt »Satt« vom Witz der Texte, die sich wie eine Mischung aus Rainald Grebe und eben Charlotte Roche lesen. Kürzlich vermutete die Spex, es gehe auf »Satt« im Kern um die »Ökonomisierung der Liebe«. Allerdings bietet das Album wenig, um über die Kurzweil hinauszukommen und die Lieder der Deutung der Künstlerinnen – »Wir wollen unterhalten. Wer die Welt verändern will, soll Vorträge halten« – zu entreißen. Und so entsteht der Eindruck, die Obszönität ihrer Texte sei tatsächlich keine Reaktion auf die politischen und sozialen Verhältnisse, kein Realismus, wie so mancher Kommentar zur Band nahelegt. Möglicherweise rufen Schnipo Schranke einem zu, man solle doch einfach mal wieder lachen. Nimm’s nicht so ernst, das Glas ist halbvoll! »Komm in meine Arme. Komm in meinen Mund« – darauf springen auch Leute an, die sich über Karten für Carolin Kebekus freuen.
Es geht viel zweideutiger, viel melancholischer und überlegter bei allem Spaß. Der Song »Cluburlaub« erinnert an die wunderbare Kleingeldprinzessin und lässt die Hoffnung aufkommen, vielleicht doch eine Erzählerinnenstimme zu finden, die mehr begehrt als den Typen fürs Leben und das Bett und den Suff ohne Brummschädel. Und am Ende geht es dann doch nur um die Flatrate an der Cocktailbar. Schnipo Schranke sagen, es sei ihnen sehr wichtig, dass sie niemanden ausschließen durch ihre Sprache und ihre Art, Geschichten zu erzählen. Das klappt.

Schnipo Schranke: Satt (Buback/Indigo)