Der Pate der Minimal Music – Terry Riley

Wenn sich Maschinensound und Afrobeats auf dem Weg nach Indien treffen

Er ist der Urgroßvater von Psychedelic, Ambient, Acid House und Techno. Ohne ihn hätte es nicht diese seltsame musikalische Strömung gegeben, die Anfang der sechziger Jahre als Minimal Musicdie Musikwelt revolutionierte: Terry Riley schuf die Voraussetzung für einen musikalischen Stil, der bis heute von Bedeutung ist. In diesem Jahr feiert er seinen 80. Geburtstag, doch sein Einfluss scheint nicht geringer zu werden. Die Ruhrtriennale nahm das Datum zum Anlass, dem Musiker in der Bochumer Jahrhunderthalle einen kompletten Abend zu widmen.

Runde Geburtstage oder Jubiläen werden immer gerne genutzt, um den jeweiligen Künstler zu ehren. Oft hat dies einen musealen Charakter, was auch bedeutet, dass das künstlerische Schaffen an praktischer Relevanz verloren hat. Terry Riley würde eine solche Ehrung nicht mögen, da sie gegen seine Philosophie und Überzeugung verstößt. »Das Leben verläuft in Zyklen, die nicht vorhersehbar sind«, sagte Riley einmal, folglich wisse man auch nie, wann die Zeit gekommen sei, in der sich Klänge und Kompositionen in ihrer Komplexität entfalten. Rileys Beschäftigung mit indischen Klängen und fernöstlicher Religion und Musik mögen seine Überzeugung erklären: »The future is unwritten.«
Die Kuratoren der Ruhrtriennale hatten ähnliche Gedanken. »Wir wollen zeigen, dass Terry Rileys Musik heute moderner ist denn je«, sagt Tobias Staab. »80 Jahre Terry Riley« nannte er den Abend, an dem Rileys Komposition »In C« in zwei verschiedenen Bearbeitungen zu hören war, die beide vom musikalischen Leiter des Instrumentalkollektivs Stargaze, André de Ridder, arrangiert wurden. Die abstrakte, brachiale Maschinenversion wurde dargeboten von Tyondai Braxton, Mouse on Mars und Sonic Robots. Für die melodischere Variante »Terry Riley’s In C Mali« waren Africa Express zuständig, die das Stück auf traditionellen afrikanischen Instrumenten und mit Gesang interpretierten. Maschinensound und Afrobeat treffen sich auf dem Lost Highway.
Verbunden wurden die beiden Aufführungen von einer Komposition für ein Streichdezett des walisischen Komponisten Lewis Roberts aka Koreless. Nicht nur der Titel des Stücks, »Cycles I«, klingt nach Riley, auch die Komposition, bestehend aus »repetitiven Scores«, ist an das große Vorbild angelehnt: Patterns, die sich aus einem Chaos entwickeln und Musiker, deren Einsätze über akustische Signale gesteuert werden.
Tyondai Braxton und Mouse on Mars hatten bereits im letzten Jahr das Stück »In C« in der Berliner Volksbühne aufgeführt. »Auch wenn die Grundlage gleich ist, das Resultat ist immer wieder neu«, sagt Braxton über »In C«. Wie Riley arbeitet der 36jährige Braxton mit modularen Synthesizern, erzeugt Loops und Patterns und nutzt die Möglichkeit, »Klänge zu organisieren, ohne ihnen die Freiheit zu nehmen, sich in völlig neue Richtungen zu entwickeln«, wie er sagt. Die Bochumer Version von »In C« unterscheidet sich von der Berliner. »In C Mali« klingt in der Jahrhunderthalle auch anders als in der Londoner Tate Modern, wo das Stück seine Premiere hatte. Das liegt nicht nur an der Architektur.
»Es gibt keine falschen Interpretationen meiner Stücke«, erklärte Terry Riley einmal. Seine Musik soll Open-Source-Charakter haben. »In C« gilt als erstes Stück der Minimal Music und wurde von Riley im Jahr 1964 an nur einem Tag geschrieben. Schon am selben Abend lud er befreundete Musiker ein, um es gemeinsam aufzuführen. Darunter waren Musikpioniere wie Steve Reich, Pauline Oliveros und Jon Gibson. Die Partitur besteht aus 53 kurzen, durchnummerierten musikalischen Phrasen in C-Dur und in der Paralleltonart A-Moll. Das Tempo ist nicht vorgegeben, soll aber während der Aufführung einheitlich sein. Die einzelnen Patterns müssen von allen Beteiligten von der Nummer 1 bis 53 gespielt werden. Das Stück endet, wenn die letzten Musiker bei Pattern 53 angelangt sind und dieses zum letzten Mal wiederholt haben – wann dies der Fall ist, entscheiden sie selbst.
Musikalisch hat sich Riley früh an Bach orientiert, später an Bartók und Ravel, an John Coltrane und Miles Davis, dessen modale Spielweise er übernommen hat. Stets versucht Riley, dominante Linien zu vermeiden: In seiner Musik gebe es »keine Dirigenten, keine Anführer, nur eine gemeinsame Seele«. Seinen Konzerten in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ist dies anzumerken. Die nächtelangen Aufführungen am Philadelphia College of Art sind legendär. Das Album »The Persian Surgery Dervishes« enthält zwei Solo-Auftritte aus Los Angeles (1971) und Paris (1972), bei denen Riley mit elektrischer Orgel und Bandverzögerungen arbeitet. Die Aufnahmen gelten als Vorläufer der Trance-Improvisationen und der meditativen Musik – ohne den Einsatz bewusstseinserweiternder Drogen: Man könne auch »high werden, wenn man in einen Groove gerät« oder einfach »auf einer Note hängen« bleibe, so Riley.
Die Komposition »Mescalin Mix« aus dem Jahr 1960 allerdings ist eindeutig unter dem Einfluss psychedelischer Drogen entstanden. »Es bestand«, so Riley über sein Stück, »aus Tape-Loops von Leuten, die Klavier spielen und lachen und anderen Geräuschen, die ich hier und dort gesammelt hatte, Explosionen. Das Stück ist aus sich überlagernden Tonbandschleifen zusammengesetzt.«
Bevor Riley den Schritt Richtung Pop unternahm, hatte sein Sound bereits in die Welt des Rock und des Jazz Einzug gehalten. Die Band Soft Machine, eine der wichtigsten Formationen auf dem Weg zur Fusion von Pyschedelic, Prog-Rock und Jazz, kopierte auf ihrer wichtigsten Platte, dem Album »Third« (1970), den Riley-Sound: Das Stück »Out-Bloody-Rageous« beginnt mit einer repetitiven Orgel- und E-Pianoschleife, mutiert zwischendurch zum reinen Fusion-Stück, ehe es zum Ausgangspunkt zurückkehrt und später mit Fragmenten im klassischen Klaviersound endet.
Ein Jahr später bedienten sich »The Who« auf ihrem Album »Who’s Next« ähnlicher Mittel. Das Eröffnungsstück »Baba O’Riley« ist, wie man am Titel unschwer erkennen kann, Terry Riley gewidmet. Auch hier ist die Eingangssequenz von Riley inspiriert: Pete Townsend erzeugte auf seiner TBO-1 sich überlagernde, oszillierende Klänge, die auch von einem modularen Synthesizer hätten stammen können. Dass der Rest des Stücks aus einem schnöden Rockriff besteht, ist die Kehrseite der Medaille: Musikalisch führte es in eine Sackgasse.
Im selben Jahr wagte Terry Riley den Ausflug in die Popmusik. Als Partner sucht er sich mit John Cale einen Musiker und Komponisten,
der seine Wurzeln in der Klassik hatte und mit John Cage, La Monte Young und Tony Conrad gearbeitet hatte. Cale war mit der gemeinsamen Platte »Church of Anthrax« – ein Hybrid aus Pop und Minimal Music 
– nicht wirklich zufrieden und nannte sie rückblickend »a job half done«.
Für die Entwicklung der Popmusik waren die Schritte dennoch essentiell. Die Ideen, Fragmente, Patterns, Beats und Sounds der Minimal Music tauchten in der Folge auf zahlreichen Aufnahmen auf: bei Brion Eno und den Talking Heads, bei PIL und Robert Fripp oder später bei Aphex Twin und eben Mouse on Mars.
Retro muss nicht regressiv sein, der Fortschritt in der Musik folgt keinem evolutionären, teleologischen Ziel – im Gegenteil. »Gerade das Wiederentdecken alter Musiken, das Nutzen von Zitaten und Samples, kann dabei helfen, die Musik wiederzubeleben und weiterzuentwickeln«, glaubt Tyondai Braxton. Zumindest solange die Rückbezüge nicht zur bloßen Kopie verkommen und mit einer Verklärung der Vergangenheit einhergehen, oder wie Riley sagt: »Man muss in der Lage sein, Musik auf der Stelle zu entwickeln, wenn man offen bleiben will. Das war es, was von John Cage zu mir durchgedrungen ist: Halte es immer offen.«