Schalke-Fans boykottierten das Spiel gegen Dortmund

Auswärts im eigenen Stadion

Aus Protest gegen Polizeirestriktionen boykottierten Tausende Schalker Fans das Spiel bei Borussia Dortmund und verfolgten die Niederlage Schalkes im eigenen Stadion.

Das Ruhrgebietsderby zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 bewegt in jeder Saison mindestens zweimal die Herzen von Fans der beiden Vereine und bereitet der Polizei in Dortmund und Gelsenkirchen Kopfzerbrechen. Nachdem die Polizei für das Derby am vergangenen Sonntag in Dortmund einige Restriktionen für Auswärtsfans angekündigt hatte, blieb die aktive Schalker Fanszene dem Dortmunder Westfalenstadion fern und schaute das Spiel in der heimischen Arena. Wie zu erwarten war, gewann die Borussia das Spiel.
Spätestens seit im Sommer 2013 eine Polizeihundertschaft die Nordkurve in der Gelsenkirchener Arena stürmte und etliche Schalke-Anhänger mit Pfefferspray und Schlagstöcken verletzte, ist das Verhältnis der Ultras Gelsenkirchen und etlicher Fanclubs zur Polizei sehr angespannt. Der Einsatz war damals damit begründet worden, dass die mazedonische Fahne von Skopje-Fans, die mit den Schalker Ultras befreundet sind, die griechischen Gästefans von PAOK Saloniki provoziere. Auf verschiedenen Ebenen versuchten Schalker, gegen den Einsatz vorzugehen. Sie protestierten im Stadion und auf der Straße gegen die Polizei. Beides blieb ohne Erfolg, und auch juristisch haben die Beamten nichts mehr zu befürchten. Die Ermittlungen gegen sie wurden in diesem Sommer eingestellt.
Nun war für den damaligen Einsatz die Gelsenkirchener Polizei verantwortlich, für die Schikanen vor dem Derbys ist allerdings die Polizei Dortmund zuständig. Doch viele Fans aus Ultra-Gruppen, nicht nur vom FC Schalke, vermuten hier eine übergreifende Strategie des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD), der sich auf Fußballanhänger eingeschossen habe. Immer wieder versuche der Minister, die Freiheiten im Stadion einzuschränken und den Fußballanhängern den Spaß am Spiel zu nehmen. Die Ultras sehen sich als Gruppe ohne Lobby, auf deren Rücken Jäger PR-Erfolge zu erzielen versucht. Und tatsächlich kann man eine gewisse Gängelung von Fußballfans in Nordrhein-Westfalen feststellen. Nach, aus Sicht der Fans von Borussia Mönchengladbach, unzumutbaren Auflagen blieben die Gladbacher beispielsweise dem Spiel in Köln im September komplett fern. Die Folge war ein leerer Auswärtsblock.
Zum Ruhrgebietsderby hatte sich die Dortmunder Polizei für die Schalke-Fans auch einiges einfallen lassen. So sollte das Ticket-Kontingent von 8 000 auf 4 000 – obendrein personalisierte – Karten reduziert werden und die Anreise ausschließlich per Bus erfolgen. Das wollten auch die Verantwortlichen des BVB und des FC Schalke nicht hinnehmen, man einigte sich schließlich auf 6 500 Karten für die Gäste-Fans. Für die Ultras Gelsenkirchen war dies allerdings kein akzeptabler Kompromiss. Sie riefen zum Boykott des Derbys auf und bezeichneten diesen Schritt als »schmerzhaft«, aber »unumgänglich«.
Dass die Dortmunder Polizei plötzlich solche Maßnahmen vorschlug, verwundert dabei nicht nur Fans, schließlich hatte sie in ihren Mitteilungen die letzten beiden Derbys in Dortmund explizit als friedlich bezeichnet und erklärt, ihr Sicherheitskonzept sei aufgegangen. Nachdem in der vergangenen Woche verstärkt über den Boykott der Schalke-Fans berichtet wurde, sprach die Polizei jedoch von Gewalt­taten im Umfeld der letzten Begegnung. Genauere Angaben machte sie dazu allerdings nicht.
Obwohl neben den Ultras Gelsenkirchen über 100 Fanclubs zum Boykott des Derbys aufgerufen hatten, blieb der Gästeblock beim Derby am Sonntag nicht leer. Zwar gab der FC Schalke fast 1 000 Sitzplatzkarten an den BVB zurück, trotzdem war der Gästeblock gefüllt, Sitzplätze wurden an neutrale Zuschauer und BVB-Fans vergeben. Der Stehplatz-Bereich wies zwar einige Lücken auf, dennoch verfehlte der Boykott der Schalke-Fans zumindest optisch seine Wirkung. Wirklich bemerkenswert war allerdings die Solidarität von Dortmunder Seite. Im Stadion hielten BVB-Anhänger ein großes Banner hoch, auf dem sie das volle Kartenkontingent für alle Gästefans forderten. Das BVB-Fanzine Schwatzgelb schrieb: »Polizei zerstört mit Forderungen die Fankultur« – seltene Einigkeit zwischen zwei Fanlagern, die sich in der Regel gegenseitig »Tod und Hass« wünschen.
Das Derby zu Hause oder verteilt in zig Kneipen anzusehen, war für die aktiven Schalke-Fans keine Options. Die Ultras Gelsenkirchen riefen dazu auf, am Samstag das letzte Training des Teams zu begleiten, und sorgten dafür, dass die Boykotteure am Sonntag gemeinsam in der heimischen Arena das Spiel ver­folgen konnten. Also feuerten schon zum Abschlusstraining rund 3 000 Schalke-Fans ihre Mannschaft an. Höhepunkt waren die bengalischen Lichter, die gegen Ende des Trainings entzündet wurden.
Weniger beeindruckend und eher kurios war dagegen die Stimmung am Sonntag in Gelsenkirchen. Am Hauptbahnhof war viel Polizei aufmarschiert, die auch die Straßenbahnen begleitete, mit denen die Fans in die Arena fuhren. Das Spiel wurde dann nicht im Stadion selbst geschaut, sondern auf der »Arena Promenade«, einem langen schlauchartigen Gang, der sich einmal komplett um den Innenraum zieht. Auf dieser Promenade befinden sich die Toiletten und Imbissbuden der Gelsenkirchener Arena. Und, was für das gemeinsame Derby-Schauen wichtiger war: Im Abstand von jeweils wenigen Metern hängen hier viele Fernsehschirme.
So standen also 3 000 bis 5 000 Schalker auf dem langen Gang verteilt und starrten auf kleine Bildschirme. Was dort geboten wurde, ließ erst einmal hoffen. Das Spiel begann eng, keine Mannschaft schaffte es, so richtig Druck zu machen. Angesichts der unterschiedlichen Formkurven beider Teams war das ein guter Anfang aus Schalker Sicht. Dass die Borussen mit 1:0 in Führung gingen, sorgte nur kurzzeitig für Frust, denn Schalke glich schnell aus. Das großzügig verschütte Bier nach dem Ausgleich führte übrigens dazu, dass einige Fern­seher mit dem Wischmopp gereinigt werden mussten. Das anschließende 2:1 durch den BVB in der ersten Halbzeit und das 3:1 zu Beginn des zweiten Durchgangs sorgten dann doch für Ernüchterung. Beinahe still war es im Arenaflur, Anfeuerungen und Beleidigungen waren kaum zu hören. Die Dortmunder spielten überlegen. Die Stimmung änderte sich erst wieder beim 3:2-Anschlusstreffer durch Klaas-Jan Huntelaar in der 71. Minute. Alle aufkommende Hoffnung wurde jedoch enttäuscht, der BVB spielte, gerade in der Schlussphase, zu clever für das Schalker Team und ­gewann verdient. Immerhin konnten sich die Fans darüber freuen, dass die Mannschaft ­ihren Kampfgeist wiederentdeckt hatte – ein Fortschritt gegenüber dem letzten Spiel in Dortmund, denn im Februar waren die Schalker noch mit 0:3 beim BVB untergegangen.
Das nächste Auswärtsderby wollen die aktiven Fans aus Gelsenkirchen allerdings gerne wieder im Westfalenstadion erleben. Man werde das Derby, bei dem man »im falschen Sta­dion« war, zwar nicht vergessen, so die Fans, aber es sei doch ein deutlicher Unterschied, ob man das eigene Team direkt anfeuere oder einen Fernseher anschreie.