Rechtsextreme Angriffe in Leipzig

Leipzigs letzte No-go-Area

Neonazis haben es zwar nicht geschafft, im linksalternativen Stadtteil Leipzig-Connewitz zu demonstrieren. Der Versuch ist aber Ergebnis einer Stimmung, in der sich Rechtsextreme nicht nur zu Provokationen hingerissen fühlen.

Neonazis und andere Rassisten schaffen es in jüngster Zeit immer wieder, Unsicherheit und Angst zu verbreiten. Im sachsen-anhaltinischen Halle marschierten vor einer Woche Mitglieder der örtlichen »Brigade Halle/Saale« ungestört mit Fackeln durch die Stadt, liefen dabei an einer Unterkunft für Flüchtlinge vorbei und riefen Parolen wie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus«. Am Rande von Pegida- und AfD-Demons­trationen kommt es immer wieder zu Angriffen auf Migranten, Journalisten und Antifaschisten. Die Zahl der Attacken auf Flüchtlingsheime ist in diesem Jahr mittlerweile auf über 800 gestiegen.

Doch nicht immer geht es vorrangig um Einschüchterung und Hassbotschaften. Manchmal dient das Auftreten auch der Provokation des politischen Gegners. Nur so ist es zu erklären, dass verschiedene rechtsextreme Gruppen Anfang November ihren Plan verkündeten, am 12. Dezember ausgerechnet im linksalternativen Leipziger Viertel Connewitz aufmarschieren zu wollen. Dort können ihre Parolen auf absehbare Zeit kaum auf fruchtbaren Boden fallen, Anhänger dürften sie in Connewitz nicht rekrutieren. Das Viertel gehört zu jenen Gegenden im Osten Deutschlands, wo sich Rassisten noch keinen Raum erkämpfen konnten. Anfang der neunziger Jahre lieferten sich hier Hunderte alternative Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei, um die Räumung besetzter Häuser zu verhindern. Für die Angriffe von Neonazis interessierte sich die Staatsmacht hingegen weniger. Einwohner von Connewitz organisierten deshalb erfolgreich den Selbstschutz. Selbst im eher linken Leipzig ist das Viertel auch heute noch eine rote Insel.
Wenn Neonazis beschließen, in diesem Stadtteil zu demonstrieren, dann suchen sie – anders als von ihnen selbst behauptet – sicher keinen Dialog, sondern unter anderem Anerkennung von Gleichgesinnten. Die Neonazis hatten einen Sternmarsch auf drei Routen in Richtung Connewitz angekündigt. Als Anmelder traten die »Offensive für Deutschland« (OfD), eine Abspaltung des Pegida-Ablegers Legida, und die Neonazipartei »Die Rechte« auf, deren sächsischer Landesverband nach Erkenntnissen sowohl des Verfassungsschutzes als auch von Antifaschisten aus nur etwas mehr als zehn Mitgliedern besteht. Eine bedeutende Rolle spielten beide Organisationen in der Region bislang nicht.
Die OfD trat erstmals Ende September öffentlich in Erscheinung und bewegte damals etwa 300 Menschen zu einer Kundgebung im Zentrum Leipzigs, darunter zahlreiche organisierte Neonazis. Seitdem verloren ihre Demonstrationen, die zunehmend in die Peripherie verlagert wurden, an Anziehungskraft und wurden zuletzt gerade noch von 20 Personen besucht. Auch der vor allem in Nordrhein-Westfalen tätigen Partei »Die Rechte« gelang es in Sachsen bislang nicht, vom derzeitigen gesellschaftlichen Klima zu pro­fitieren. Ihrem Landesvorsitzenden Alexander Kurth, der wegen mehrerer Vorstrafen von der zuständigen Behörde als Versammlungsanmelder abgelehnt wurde, machte im Laufe des Jahres vor allem der Diebstahl seines Mobiltelefons zu schaffen – und die daraus resultierende Veröffentlichung von Daten aus dem Gerät auf Indymedia.

Die Anmeldung der Demonstration in Connewitz ist nicht nur eine Provokation, sondern auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins von Rechtsextremen. Seit etwa einem Jahr ist es Rassisten möglich, nahezu ungestört wöchentlich durch die Innenstadt von Leipzig zu laufen. Gingen anfangs noch mehrere Zehntausend Menschen gegen Legida auf die Straße, scheinen sich weite Teile des bürgerlichen, aber auch des linksradikalen Milieus mittlerweile damit abgefunden zu haben, dass wirkungsvoller Protest in Anbetracht eines stets massiven Polizeiaufgebots so gut wie unmöglich ist. Auch die Zahl jener, die zumindest am Rande der Legida-Kundgebungen lautstark protestieren, ist recht schnell auf einige Hundert zurückgegangen.
Seit einigen Monaten häufen sich zudem die Angriffe auf Flüchtlinge, Politiker und angebliche »Zecken«. So wurde die Fassade eines Hauses, in dem sich die Wohnung eines Lokalbloggers befindet, mit den Worten »Du Zecke« besprüht. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) fand seinen Namen kürzlich neben einem aufgemalten Galgen wieder. Mehrere geplante Unterkünfte für Flüchtlinge wurden in den vergangenen Monaten mit Hakenkreuzen und ähnlichen Symbolen und Botschaften beschmiert.
Bei Einschüchterungsversuchen und handfesten Auseinandersetzungen am Rande von Demons­trationen bleibt es jedoch nicht mehr. Als im Anschluss an die »Geburtstagsfeier« von Pegida eine Gruppe von 50 Gegendemonstranten in der Nacht nach Leipzig zurückkehrte, wurde sie im Hauptbahnhof von Rechtsextremen empfangen, die mit Holzlatten und einem Messer bewaffnet waren. Letzteres kam an diesem Abend glücklicherweise nicht zum Einsatz. Auch die Anmeldung der Demonstration nach Connewitz gehört in diesen Kontext.
Am Ende mussten sich die OfD, Alexander Kurth und der Bundesvorsitzende von »Die Rechte«, Christian Worch, der zuletzt vor zehn Jahren den Versuch unternommen hatte, nach Connewitz zu gelangen, jedoch mit einer kleinen Route in der benachbarten Südvorstadt zufrieden geben; aus dem geplanten Sternmarsch wurde nichts. Die Ordnungsbehörden hatten in Anbetracht der Aufrufe im Internet (»Connewitz in Schutt und Asche legen« hatten Nazis angekündigt; zur »Hetzjagd auf Kurth« hatten Antifaschisten aufgerufen) und vergangener Ereignisse schwere Auseinandersetzungen befürchtet. Diese wurden jedoch auch durch das Ausweichmanöver nicht verhindert.
Stundenlang lieferten sich Linke und Polizei abseits der Demonstration der Nazis Auseinandersetzungen. Zahlreiche Barrikaden brannten. Haltestellenhäuschen, Werbetafeln und Sitzgelegenheiten anliegender Geschäfte gingen zu Bruch, Hunderte Steine und Flaschen flogen durch die Luft. Die Polizei setzte Wasserwerfer sowie Reizgas und Pfefferspray ein. Letztere versprühten Beamte auch in einer friedlichen, angemeldeten Kundgebung und gegen Journalisten. Ein Gegendemonstrant erlitt schwere Kopfverletzungen. Die Polizei meldete ihrerseits 69 verletzte Beamte. Einige wurden Opfer des eigenen Reizgases. Manche Publikationen und Politiker sprachen anschließend von »Bürgerkrieg« und »Straßenterror«.
Allein in der darauffolgenden Nacht kam es in Deutschland an mindestens drei Flüchtlings­heimen zu Angriffen mit Steinen und Böllern. Auf eine Unterkunft wurde ein Brandanschlag verübt. Das mediale Echo blieb eher verhalten.