Ein Nachruf auf David Bowie

Immer was Neues

David Bowie ist tot.

David Bowie ist schon ein krasser, krasser Typ. Ab einem gewissen Alter und ab einer gewissen Erfahrung hat man einfach gecheckt, wie krass der Typ eigentlich wirklich ist.« Jan Delay hat das gesagt, angesichts der unter großem medialem Tamtam begleiteten Ausstellung, die David Bowie 2014 in Berlin gewidmet wurde. So profan seine Erkenntnis klingen mag, sie ist wahr und bringt sehr genau auf den Punkt, was sich im Kopf der nachgeborenen Generationen abspielt. Also jener, die David Bowie als Künstler erst kennenlernten, als er bereits zur lebenden Legende und zu einer Ikone geworden war, auf die sich nahezu alle popmusikalischen Fraktionen einigen konnten.
In den Neunzigern war diesem David Bowie nicht zu trauen. Zumindest nicht, wenn die eigene Jugendzeit aus Dosenbier, geschwänzten Schulstunden und alternativem Jugendzentrum bestand. David Bowie war kein Punk, so viel war sicher. Er hatte in Berlin gelebt, gut. Irgendwann Mitte der Siebziger, das war bekannt. Und er hatte ein wildes Leben geführt: Drogen, Iggy Pop, Nachtleben – durchaus interessant, gleichsam aber verdächtig. War nicht längst alles Wilde aus seinem Leben verschwunden, hatte er es nicht abgeschafft, so wie es die eigenen Eltern einem täglich vorturnten? Und das war es auch, was diesen Bowie endgültig disqualifizierte: Er war einer von ihnen, von Eltern und Lehrern gleichermaßen geschätzt. Seine Lieder, eingängig und von einer Schönheit, deren Elaboriertheit man damals weder ertrug noch verstand, wurden im Dudelfunk gespielt – spätestens wenn die eigene Mutter im Wohnzimmer zu »Heroes« herumtänzelte, beschlich einen das Gefühl, dass das jugendliche Aufbegehren, das man damals als radikale politische Gesinnung missinterpretierte, mit dieser Musik ganz sicher nicht in Einklang zu bringen war. Bestätigung erhielt man durch Bowies Fernsehauftritte. Der Sänger, dieser schräge Schlacks, der offensichtlich über einen verqueren Klamottengeschmack verfügte, zeigte dann seine langen, spitzen Eckzähne, ziemlich spaßbefreit, zur einen Hälfte ein Freak, zur anderen wahnsinnig höflich und distanziert, geradezu manierlich. Nein, mit Punk hatte dieser Sänger nichts zu tun und glich damit all den anderen Popstars.
Erst später, als der Wust an Neuerscheinungen nichts Neues mehr zu bieten hatte, man seinen Blick in die Vergangenheit richtete und aus klugen Konflikten, Aneignungen und Umdeutungen war, da stellte sich langsam ein Jan-Delay-Gefühl ein: David Bowie, das ist wirklich ein krasser Typ! Schon allein weil er die Frage, wie viel Typ, wie viel Mann eigentlich in ihm steckte, so virtuos aufs Tapet brachte. Eine Männlichkeitsverweigerung, die irgendwie entschiedener war als beispielsweise die des weichgespülten Schmuseboys Boy George, den man, in völliger Ignoranz für alle Zwischen­töne, noch wenige Jahre zuvor mit Bowie in einen Topf geschmissen hatte. Bowie war einfach kühler, distanzierter, er war unnahbar – und er war, so ist es überliefert, der bedeutsamste unter denjenigen Künstlern, die Androgynität ausbuchstabieren konnten. »Bitte ­oszillieren Sie«, forderten Tocotronic vor ein paar Jahren. David Bowie hätte sich nicht ­lange bitten lassen.
Kein Wunder, dass die Ausstellung in Berlin ein solcher Erfolg wurde. Mit Bowie verbinden alle etwas, selbst diejenigen, die ansonsten mit Musik wenig am Hut haben, finden sich plötzlich in Diskussionen wieder, welches seiner Stücke nun das gelungenste sei. Außerdem war Bowie, das »Chamäleon des Pop«, ein Angebot an alle. Die zahllosen Metamorphosen, die er im Laufe seiner Karriere durchlebte, machten ihn zur vielleicht größten, weil grenzüberschreitenden Projektionsfläche der Pop­geschichte. Die Rangfolge geht so: Erst kommt Bowie, dann lange nichts, dann Madonna, dann wiederum lange nichts. In seiner Figur kulminieren nicht nur die Geschmäcker und Lebenseinstellungen seiner Fans und Bewunderer, Bowie, der Regisseur, Dramaturg und Schauspieler, der später zu einem leidenschaftlichen Maler werden sollte und so viel Bertolt Brecht und Kurt Weill in sich hatte, schien gleichsam Pop- und Hochkultur miteinander zu vermählen.
Als Nachgeborenem bleibt einem nur der Blick in die Annalen der Popgeschichte: Bevor David Bowie als Ziggy Stardust 1972 seinen kommerziellen Durchbruch feierte, hatte er bereits Shows im London der späten Sechziger Jahre inszeniert, Bühnenschauspiele, bei denen Film, Dichtung, Tanz und Musik ineinander übergingen. An bürgerlichen Lifestyle war nicht zu denken. »Ich glaube, alle standen immer erst ziemlich spät auf, so gegen elf Uhr abends. Niemand schlief besonders viel«, hat Bowie rückblickend über diese Zeit gesagt. Während sich in den Clubs die Spiegelkugeln auch um ihn drehten, inszenierte Bowie sich als Kunstfigur. Irgendwo, ganz weit draußen, saß Major Tom in einer Raumkapsel fest, sehr allein und kam zu einer ernüchternden Erkenntnis: »Planet Earth is blue, and there’s nothing I can do.« Vielen Erdenbewohnern mag er damit aus der Seele gesprochen haben. Eine andere Welt, die einige Jahre zuvor noch möglich schien, hatte sich nicht eingestellt. Kriege fanden weiterhin statt, genauso Terrorismus, die drohende atomare Katastrophe, Umweltzerstörung – Che Guevara: tot. Jimi Hendrix: tot. Die Beatles: auch weg vom Fenster. Dass Joni Mitchell und Neil Young noch Anfang der Siebziger an die Aufbruchstimmung der Sechziger erinnerten, half wenig. Bowie wusste es und begehrte selber auf gegen das Authentizitätsgebaren und die duselige Welt der Hippies. »Diese ganze Flower-Power-Geschichte und ihren humanistischen Ansatz wollte ich komplett umkrempeln und setzte eine fremdartige, entmenschlichte Welt dagegen, mit der wir es in einer technologischen Gesellschaft zu tun haben«, hat er einmal gesagt.
David Bowie wurde zum Mittelpunkt der Hysterie um Glam Rock, um T. Rex und wie sie alle hießen. »I always wanted to make a difference«, wird er zitiert. Und es gelang ihm: Zwischen Major Tom, Disco-Wesen, Ziggy Stardust, dem Thin White Duke und dem Paradiesvogel-Rocker – immer wieder ein unvorhergesehener Entwurf, zu jedem Album gab es einen neuen Look. Der Künstler gestaltete seine Biographie und feierte lustvoll ihre Brüche. Und wenn man schon nicht zu den Reichen und Schönen gehören konnte, stand einem die Möglichkeit zur Prominenz offen, für wenige Augenblicke zumindest: »Though nothing will keep us together,/We can beat them for ever and ever,/Oh we can be heroes just for one day«.
Von 1976 bis 1978 lebte Bowie in Berlin. Er nahm mit Brian Eno auf, diesem Visionär, er arbeitete und lebte mit Iggy Pop zusammen und sollte diese Phase später als die kreativste seines Lebens bezeichnen. Die Soundexperimente dieser Jahre ließen sich etwa bei Devo finden und überhaupt: Der oszillierende Bowie mit seinem Make-up, den Phantasiekostümen und spektakulären Shows wurde für nachkommende Künstler zu einem ihrer wichtigsten Bezugspunkte – ob intendiert oder nicht. Wie sollten dick geschminkte Männer ihre Bühnenspektakel abfeuern, ohne mit ­Bowie in Verbindung gebracht zu werden? Waren nicht die New Romantics, Visage, Adam Ant et cetera nur Aufgüsse seiner Inszenierungen? Wäre eine Band wie Soft Cell in den acht­ziger Jahren möglich gewesen, hätte es einen Marc Almond als perfekte Verkörperung des Hedonismus gegeben, wenn nicht David Bowie viele Jahre zuvor es vorgelebt hätte? Wären ­Duran Duran jemals darauf gekommen, jene Uneindeutigkeit zu feiern?
Als Bowie 2013 nach zehn Jahren ein neues Album veröffentlichte und aus dem Nichts ­zurückzukommen schien, lag das böse Wort des Comeback griffbereit. Unpassender hätte es nicht sein können. Wer verbindet mit diesem Begriff schon diese Würde und Erhabenheit, die Bowie zeit seines Lebens ausstrahlte? 25 Alben hat er aufgenommen, die sich schätzungsweise 140 Millionen Mal verkauft haben, sein letztes ist erst zu Beginn dieses Jahres erschienen – wer in einer deutschen Großstadt lebt, wird es wissen. Man möchte gern in die Köpfe der Leute blicken, während sie an den Werbeplakaten vorbeikommen. Den 55jährigen Mathelehrer mögen sie an seine Jugend erinnern und daran, dass dieser Bowie auslebte, was er sich immer versagte. Der 49jährige Bankangestellte denkt an einen Artikel, der beruhigend behauptete, Bowie habe die Exzentrik ausschließlich auf der Bühne ausgelebt und sei ansonsten streichelsanft gewesen. Und die 25jährige Kunststudentin, die wie alle Spätgeborenen zur Literatur über Bowie greifen muss, gerät ins Philosophieren darüber, wie in seiner Biographie die Verschmelzung von Kunst und Leben tatsächlich gelang. Am 10. Januar ist David Bowie nach 18monatigem Kampf mit dem Krebs im Alter von 69 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben.