Berlin Beatet Bestes. Folge 328.

Besuch aus Wien

Berlin Beatet Bestes. Folge 328. Schnitzelbeat Vol. 2: You Are The Only One (2015).

Ich sammle noch immer Platten, meine Leidenschaft hat sich sogar noch weiter gesteigert, potenziert durch den Hass auf alles Digitale und die zunehmende Ignoranz der Mehrheit. Jeder lauwarme Laptop-DJ, den ich treffe, bestätigt mich darin, an meiner Liebe zum Vinyl festzuhalten. Aber es ist eine einsame Beschäftigung geworden. Früher hatte ich noch Freunde, mit denen ich gemeinsam in Plattenläden ging. Über die Jahre habe ich leider viele von ihnen aus den Augen verloren und auch mich selbst zurückgezogen. Ich begann, geschmackliche Pirouetten zu drehen, die meine Garage- und Beat-Freunde nicht mehr nachvollz­iehen konnten.
Als ich Anfang des Jahrtausends plötzlich wieder in Richtung DIY-Hardcore-Punk-Szene umschwenkte, wollte mich keiner meiner Freunde in die Köpi begleiten. Aber ehrlich gesagt war mir das damals auch recht so. Die Rock ’n’ Roll-Szene fand ich sowieso längst zu gemütlich und kommerziell. Ende 2007 rief ich meinen Blog ins Leben und begann plötzlich, noch leidenschaftlicher zu sammeln, diesmal Incredibly Strange Music aus Deutschland; Werbeplatten, religiöse Musik und Privatpressungen von singenden Polizeibeamten, all die Singles, die ich auch an dieser Stelle immer wieder vorstelle. Gleichgesinnte Freunde hatte ich in dieser Richtung nicht mehr, fand sie dafür aber im Internet, über die ganze Welt verteilt. Vor sechs Jahren entdeckte ich dann mit meiner Freundin das Swing-Tanzen und den Jazz. Ein Großteil meiner sozialen Bedürfnisse wird seither von wöchentlichen Tanzveranstaltungen abgedeckt. Mit dem Plattensammeln bin ich noch immer allein.
Am Wochenende hatten wir Besuch aus Wien. Albert und Ana ­Threat, die ich vor zwei Jahren auf einer Reise der Jungle World kennengelernt hatte, verbrachten mit meiner Freundin und mir einen netten Abend bei uns in Kreuzberg. Beide spielen zusammen in dem Duo Happy Kids, Ana Threat ist in den vergangenen Jahren häufiger allein aufgetreten und hat eine Reihe von Schallplattenaufnahmen gemacht. Albert hat auf seinem Label Trash Rock Archives auch zwei Compilations namens »Schnitzelbeat« veröffentlicht, der österreichischen Variante der ame­rikanischen »Back From The Grave«-Sampler, betreibt ein Vinylarchiv und veranstaltet einen monatlichen Schallplattenclub. In der Kreuzberger Raucherkneipe Ernst hatte Albert zwei Tage zuvor eine »Sound Lecture« über »Schnitzelbeat« gehalten. Jetzt schnipselte ich uns einen Obstsalat, während Albert auf dem Küchentisch Singles aus meiner Sammlung auf einem kleinen tragbaren Plattenspieler auflegte – thailändischen Instro-Rock der Band Johnny Guitar und Berliner Beat von Bernhard Frank. Ich war so aufgeregt wegen des Besuchs der beiden Plattensammler, dass ich zwar zwei Zitronen auspresste, dann aber vergaß, sie über den Obstsalat zu gießen. Egal, hat trotzdem sehr gut geschmeckt!