Berlin Beatet Bestes. Folge 332.

Stadt, Land, Sehnsucht

Berlin Beatet Bestes. Folge 332. Leib & Seele: Kreuzberglied (1981).

Ick wohn in Berlin, gleich an der Mauer,/im tiefsten Kreuzberg, noch was genauer,/inne Wiener Straße, im vierten Stock./Und massenhaft Leute und Spatzen sind im Block./Und tausend Hunde,/was sag’ ick, dit sinn noch viel mehr./Renn ick über de Straße,/kommt er hinter mir her./Und ick krieg Schiss, vor Gebell und Gebiss./Und hör noch sofort,/dasser janz harmlos is’.

Die Kreuzberger Krautrocker Leib &  Seele schrieben diese Kreuzberghymne über kuschelige Kaputtheit im lauschigen, grauen, eingemauerten West-Berlin. Wehmütig beschreibt auch immer meine Freundin das Berlin vor dem Mauerfall. Als Hamburger dachte ich bei meinen gelegentlichen Besuche nur: Was für ein Schrotthaufen – hässlich und prollig. Wir Hamburger haben schließlich einen See mitten in der Stadt und einen Hafen und frische Seeluft. Als ich vor fast 20 Jahren plötzlich doch nach Berlin zog, war es wegen der Liebe zu meiner Freundin, die allerdings eine richtige Berliner Pflanze ist, mit »Icke, icke, wattn, wattn« und so, und ihre Heimatstadt und die Berliner heiß und innig liebt. Eine ganz tolle Frau, da hatte ich mal echt Glück. Ich fing an, die Stadt mit ihren Augen zu sehen und zu lieben. Heute kann ich es nicht mehr leiden, wenn Leute über Berlin meckern.
Ich bin ja selbst in der Innenstadt von Hamburg, also mitten in der Großstadt aufgewachsen. Provinz hingegen macht mir Angst und wenn ich einen Jägerzaun sehe, muss ich kotzen. Nun wird mein Teil von Kreuzberg immer braver und touristischer, zum Bezirk der bree­der, wo die bürgerlichen Pärchen zur Aufzucht ihres Nachwuchses hinziehen, den sie dann aber weitgehend un­sichtbar halten. Sie sind nicht in Kreuzberg aufgewachsen und ihre Kinder werden das auch nicht, denn sie werden ihren Kiez nie selbständig kennenlernen. Eigentlich bleiben sie Fremde in der Stadt und ihren Kindern vererben sie ­vermutlich ihre Sehnsucht nach dem verlorenen idyllischen Land­leben. Die einzigen wirklichen Berliner, die noch an der Ecke stehen, sind nicht die jungen Männer mit westdeut­schem, sondern die mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund. Gemütlich hängen sie draußen ’rum und kämen gar nicht auf den Gedanken, dass ihnen irgendwas Angst machen könnte. Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land haben sie jedenfalls nicht.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.