Die syrische Band Khebez Dawle

Die Zukunft der Band in den Händen der Sachbearbeiter

Khebez Dawle begannen als Rockband und sind inzwischen zu einem Symbol für ein anderes Syrien geworden.

Dass Anas, Sänger von Khebez Dawle, heute in einem Berliner Café sitzen und ein Interview geben kann, ist nicht selbstverständlich. Vor wenigen Monaten noch befanden er und seine Bandkollegen sich im Libanon, wohin sie zwei Jahre zuvor geflohen waren. Im September vergangenen Jahres dann machten sie sich auf: über die Türkei, mit dem Schlauchboot nach Lesbos, dann weiter nach Norden, immer an der Balkan-Route entlang, die von der EU inzwischen zur Sackgasse gemacht wurde.
Im Gepäck hatten die vier ihr erstes Album, das sie kurz zuvor aufgenommen hatten. Wo sie hinkamen, verteilten sie CDs, lernten Leute kennen und gaben immer wieder Konzerte. Die Flucht sei ihre erste Europa-Tour gewesen, sagt Anas, halb im Scherz. Ob es eine zweite geben werde, stehe in den Sternen. Derzeit laufen die Asylverfahren der Musiker.
Angefangen hat Khebez Dawle als Soloprojekt, erzählt Anas. Zwar hatte er mit seinen zukünftigen Kollegen schon vorher unter anderem Namen zusammengespielt, aber das Projekt war wie so viele im damaligen Syrien nie aus dem Proberaumkeller hinausgekommen. Zu hoch waren die Auflagen, zu stark die Zensur. Zwei von ihnen, Gitarrist und Bassist, waren bereits nach Beirut gegangen, der andere Gitarrist war zur Armee eingezogen worden. Ihr Schlagzeuger Rabea Al-Gazzi, ein politischer Aktivist, war im Mai 2012 tot in einem Auto aufgefunden worden. Genickschuss – in Assads Syrien geschehen solche Dinge.
Anas hingegen suchte Zuflucht in der Musik, schrieb Songs und stellte schließlich einige von ihnen online. Plötzlich war auch das Interesse seiner alten Weggefährten wieder da. Mitte 2013 folgte er ihnen nach Beirut. Wenig später stieß auch der noch fehlende Gitarrist zu ihnen, der sich von der syrischen Armee abgesetzt hatte und ohne Papiere über die Berge in den Libanon getürmt war. Dort, im vom jahrzehntelangen Bürgerkrieg noch immer gezeichneten Beirut, entstand schließlich auch das erste Album der Band.
Auch das heißt »Khebez Dawle«, was sich am besten mit »Brot des Staates« übersetzen lässt. Eine Anspielung auf die Parolen des Regimes, das sich immer rühmte, dass in Syrien alle Menschen ausreichend Brot zu essen hätten.
»Khebez Dawle« ist eine Art Konzeptalbum geworden. »Es erzählt in elf Songs, wie ein junger Mann den ›arabischen Frühling‹ erlebt«, erklärt Anas. Der freilich war, als die Band in Beirut im Studio stand, schon lange vorbei. In Ägypten regierte das Militär, Libyen und Syrien waren im Bürgerkrieg versunken. Und so wirkt die Platte trotz aller Hoffnung und Wärme fast ein wenig anachronistisch.
Musikalisch schlagen Khebez Dawle eine Brücke zwischen Nahost und West, zwischen Postrock und traditioneller arabischer Musik. Sphärische verhallte Gitarrenlinien treffen auf das arabische Tonsystem mitsamt seiner Vierteltöne. Kaum ein Artikel über die Band kommt ohne Vergleiche zu Radiohead aus, die so falsch auch gar nicht sind. Noch ähnlicher jedoch ist die Musik der Isländer Sigur Rós oder auch – zumindest in den weniger melancholischen Momenten – The Mars Volta, der schwer mit Progrock infizierte Nachfolger der Post-Hardcore-Band At The Drive-In.
Dass diverse europäische Medien wie etwa der Guardian schon über Khebez Dawle berichteten, hält Anas für ein »sehr verrücktes und überwältigendes Erlebnis«. Ein bisschen wirkt es so, als sei ihm die Aufmerksamkeit um seine Band etwas zuviel. Ständig muss er Interviews geben – was vielleicht daran liegt, dass Anas das perfekte Gegenbeispiel zu Assads veraltetem Regime personifiziert.
»Nein, nein«, wehrt er ab. »Ich habe schon etwas zu sagen und kann gerne über all das sprechen, aber« – und da ist wieder diese gewisse Müdigkeit in seinen Augen – »ich will auch einfach mal ich selbst sein können und nicht immer anderen zur Verfügung stehen müssen«.
Anas ist primär ein Musiker, der aus Syrien geflohen ist, und kein politischer Aktivist, der rein zufällig auch eine Band hat. Khebez Dawle auf ihre Fluchtgeschichte zu reduzieren, wäre angesichts ihrer musikalischen Qualität ohnehin ein Fehler. Die Klangsprache der Band ist genauso bemerkenswert wie die ihres berühmten Landsmanns Omar Souleyman oder besser die seines Keyboarders Rizan Sa’id, dem es ähnlich wie Khebez Dawle erfolgreich gelingt, Elemente arabischer Musik mit westlicher Instrumentierung zu verbinden.
Derzeit verbringen Anas und seine Kollegen viel Zeit in ihrem Proberaum in Ostberlin. »Ich weiß nicht, ob wir uns weiterentwickelt haben, aber wir haben uns auf jeden Fall verändert«, sagt er. Wie sich die Erfahrungen der Flucht, aber auch des Lebens in der Musikmetropole Berlin in ihrer Musik niederschlagen werden, bleibt abzuwarten. In nächster Zeit stehen erst einmal Konzerte im Vordergrund. Und alles übrige hängt von den Sachbearbeitern und ihrem Wohlwollen ab.