Soll man zum Fusion-Festival fahren?

Die Massen kommen von allein

Das perfekte Festival ist die Fusion nicht, trotzdem bleibt es eines der besten in Deutschland.

Warum ausgerechnet ich, der ich doch mit meiner Band vom König des Müritzer Kulturkosmos und somit Großen Vorsitzenden des Fusion-Festivals – man nennt ihn »Eule« – höchstpersönlich mit einem Auftritts- und Hausverbot belegt wurde, einen positiven Text über eben dieses Festival schreibe? Ganz einfach: Die Fusion ist, wenn man einen genaueren Blick auf das Festivalangebot im Allgemeinen wirft, ebenso außergewöhnlich wie wunderbar. Klar, konsequent zu sein gehört in manchen Bereichen nicht unbedingt zu den Tugenden der verantwortlichen Chefetage. So herrscht ein offen ausgesprochenes Nationalfahnenverbot auf dem Festivalgelände, wenn aber Jan Delay im Deutschland-Trikot die Bühne betritt, die Nationalmannschaft feiert und somit den sogenannten »Party-Patriotismus« zelebriert, scheint Schwarz-Rot-Gold kein Problem zu sein. Des Weiteren warf der Große Vorsitzende mir und meiner Kapelle wegen unserer israelsolidarischen Haltung »Antideutschtum« und Bellizismus vor, um im Gegenzug Fettes Brot auftreten zu lassen, nachdem die Band in unterstützender Absicht einen Truppenbesuch bei der Bundeswehr absolviert hatte. Dies legt zumindest den Verdacht nahe, dass »Eule« lediglich mit einer ganz bestimmten Nation Probleme hat. Stünde er mit dieser Sicht der Dinge nicht ziemlich alleine da, gäbe es an dieser Stelle rhetorisch Prügel und nicht die Lobeshymne, die genau jetzt beginnt.
Die Fusion ist eines der schönsten Festivals Deutschlands, wenn nicht sogar das schönste überhaupt, zumindest unter den mir bekannten, und das sind berufsbedingt wirklich eine ganze Menge. Nirgendwo sonst – außer vielleicht bei reinen Technofestivals wie der »Nation of Gondwana« – spielt das Line-up eine derart nebensächliche Rolle wie hier. Ein Headliner, der die Massen anzieht, wird schlicht nicht gebraucht, denn die Leute kommen allein wegen der ausgelassenen Grundstimmung. Wie friedlich sie ist, zeigt schon der Umstand, dass es dort sogar Glasflaschen, auf deren Herausgabe bei anderen Festivals nicht ohne Grund verzichtet wird, zu kaufen gibt. Während meiner Besuche – so viel zum Thema Durchsetzung des Hausverbots – habe ich dort nie auch nur eine einzige Schlägerei sehen, geschweige denn hautnah miterleben müssen. Der Polizei wird, und da sind die Betreiber wirklich außerordentlich konsequent, der Zutritt zum Gelände, auf dem der Spaß stattfindet, verwehrt. Das hat zwar zur Folge, dass man bei der Anfahrt illegale Mitbringsel wirklich gut verstecken und bei der Heimreise mit nervtötenden Kontrollen rechnen muss, aber diesen Umstand nimmt man nur allzu gern in Kauf, zumal das im Gegenzug bedeutet, dass man während der Veranstaltung selbst sich nicht wegen jedem Mist zu verstecken oder eine Toilette zu konsultieren hat. Das musikalische Programm lässt keinerlei Wünsche offen: Von Punk über Pop bis HipHop und House über Minimal bis Goa ist für wirklich jeden etwas dabei. Wo andere Festivals, wenn überhaupt, mit Müh’ und Not einen einzigen »Sleepless Floor« auf die Kette kriegen, bieten auf der Fusion nicht wenige Floors eine Komplettbeschallung rund um die Uhr an, weshalb in der Zeit, die das Festival dauert, problemlos auf Schlaf verzichtet werden kann, und was bitte kann es Schöneres geben, als zu der Musik deiner Wahl in den Sonnenaufgang zu tanzen?
Seit ein paar Jahren wird gebetsmühlenartig kritisiert, dass das Festivalgelände mittlerweile eingezäunt wurde. Dem Veranstalter, »Kulturkosmos e. V.«, kann man bestimmt so einiges vorwerfen, allerdings nicht den Zaun. Jedes Festival hat nunmal, nicht zuletzt der sanitären Anlagen wegen, nur begrenzt Platz, und mir ist bis dato kein anderes Festival bekannt, das teilweise – so wurde es mir von glaubwürdiger Stelle zugetragen – Besuchermengen ohne Bändchen im fünfstelligen Bereich beherbergte. Auch mit Zaun dürften sich auf der Fusion immer noch mehr Menschen kostenlos aufhalten als auf sämtlichen anderen Festivals dieser Größenordnung.
Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass die Bezeichnung »Ferienkommunismus« selbstverständlich völliger Unfug ist. Allerdings wird während der Fusion eine ganze Menge Geld zur Unterstützung antifaschistischer Projekte erwirtschaftet, und das, liebe Kritikerinnen und Kritiker, ist nun wirklich mehr, als man sonst von so manchem Festival erwarten kann.