Geschäfte von EU und USA mit dem iranischen Regime

Die Milliarden der Mullahs

Nach der Aufhebung der Wirtschafts- und Finanzsanktionen durch die EU und die USA floriert der Handel westlicher Staaten mit dem Iran. In Europa gehört Deutschland zu den wichtigsten Handelspartnern des Mullah-Regimes.

»Bonanza im Iran« (Focus), »Gold Rush« (The Guardian), »Eldorado« (France Culture) – nicht nur die deutschen Medien überschlagen sich seit Mitte Januar angesichts der enormen Profite, die nach dem Ende eines Großteils der Sanktionen gegen das Land die Anleger locken. Nachdem die Internationale Atomenergiebehörde der theokratischen Diktatur Anfang des Jahres bescheinigt hat, sämtliche Verpflichtungen aus dem im Juli 2015 geschlossenen Atomabkommen einzuhalten, ist das Geschäft in vollem Gang. Ob die exportstarke Wirtschaftsmacht Deutschland oder der routinierte Finanzplatz Luxemburg, alle schicken Delegationen, in der Hoffnung auf den großen Reibach. »Wer im Moment nach Teheran will, bekommt dort kein Hotelzimmer«, beschreibt etwa Jeannot Erpelding, Mitglied der Direktion der Handelskammer des Landes, gegenüber der Jungle World den Andrang in der iranischen Hauptstadt.
Offizieller Startschuss für dieses Rennen war der sogenannte Implementation Day am 16. Januar, der ein zahlungskräftiges, aber wirtschaftlich ausgetrocknetes Land zurück an den Weltmarkt bringen soll. Denn nun gelten die mit den UN-Vetomächten, Deutschland und der EU in der »Wiener Vereinbarung« festgehaltenen Verpflichtungen des Iran als erfüllt. Sämtliche nuklearbezogenen Wirtschafts- und Finanzsanktionen seitens der EU und der USA wurden damit aufgehoben.
Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte bereits im Juli vergangenen Jahres Teheran besucht, der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer war im September mit einer großen Wirtschaftsdelegation an Ort und Stelle (Jungle World, 38/2015). Anfang Mai reisten über 100 deutsche Handelsvertreter in den Iran, um ein deutsch-iranisches Wirtschaftsforum zu eröffnen. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums wurden »erste Aufträge und Verträge in Millionenhöhe« gesichert.
Ziel der Europäischen Union ist es, an die Exporterlöse aus der Zeit vor den rund zehn Jahre andauernden Sanktionen anzuknüpfen und, wenn möglich, diese sogar noch zu überflügeln. 2004 lieferte die EU dem Iran Waren im Wert von zwölf Milliarden Euro, zehn Jahre später waren es lediglich noch 6,5 Milliarden, was sich nun rasch wieder ändern soll.
Jedoch wird Deutschland »zusammen mit Frankreich und Italien zu den Ländern gehören, die mehr von der Einigung profitieren als andere«, sagt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Noch im Jahr 2010 hatte der Iran Waren im Wert von 4,7 Milliarden Euro aus der Bundesrepublik importiert, die damit der wichtigste Handelspartner des Landes war. 2014 waren es dann trotz verschärfter Sanktionen immerhin noch knapp 2,4 Milliarden Euro. Nun prognostiziert der Bundesverband Groß- und Außenhandel (BGA) in den kommenden vier bis fünf Jahren einen Anstieg des Außenhandelsvolumens auf bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr.
»Praktisch jeder Wirtschaftszweig des Iran, von der PKW-Herstellung bis zu den Banken, braucht ein Upgrade«, so die Unternehmensberatung Roland Berger. Zu den Branchen, die sich die größten Hoffnungen machen dürfen, zählen dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge die Bereiche Maschinenbau und erneuerbare Energien. Auch die Automobilindustrie und die Erneuerung von Infrastruktur und Industrieanlagen versprechen neben dem Export von Konsumgütern ein lohnendes Geschäft.
Immer noch hat das Land mit den weltweit zweitgrößten Erdgas- sowie viertgrößten Erdölreserven zudem ein ernsthaftes Problem bei der Weiterverarbeitung der Rohstoffe. Allein hier soll ein Investitionsbedarf von rund 150 Milliarden Euro bestehen, weshalb beispielsweise Siemens unter anderem in diesem Segment auf eine Ausweitung seines nie aufgegebenen Iran-Engagements hofft. So hat man Anfang Mai ein »Memorandum of Understanding« mit den iranischen Partnern unterzeichnet, das die Reparatur bestehender Maschinerie sowie die Lieferung moderner Technologie umfasst.
Wenig überraschend sieht Luxemburg für sich auf dem Finanzmarkt »wirtschaftlich das größte Potential«, wie Jeannot Erpelding sagt. »Luxemburg ist eigentlich gut positioniert, denn der Iran tut sich schwer mit den USA und anderen großen Finanzplätzen wie Großbritannien.«
Ganz ungetrübt sind die westlichen Perspektiven dennoch nicht. So haben sich vor allem China und Indien in den vergangenen Jahren bemüht, die Nachfrage nach Konsumgütern und Technologie im Iran zu bedienen. Ein Drittel aller Importe in den Iran kamen 2014 aus diesen beiden Ländern. Diese Konkurrenten müssen nun vom Markt verdrängt werden, auch bestehen nach zehn Jahren Embargo Schwierigkeiten bei der Kompatibilität zwischen chinesischen, indischen und westlichen Technologien.
Das Regime im Iran will zudem nicht nur den Warenimport ankurbeln, sondern zielt auf Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen und mit einem Technologietransfer verbunden sind. Nahezu acht Millionen Erwerbslose – inoffiziellen Schätzungen zufolge liegt die Arbeitslosenquote gar bei nahezu 30 Prozent – machen der Diktatur zu schaffen. Deshalb zwingt man europäische Investoren erfolgreich in Gemeinschaftsunternehmen mit iranischen Firmen, die allerdings zu 80 Prozent staatlich oder halbstaatlich und damit im Besitz der Revolutionsgarden, der Bassiji-Volksmiliz und ähnlicher Organe der theokratischen Diktatur sind. Wo man auf solche Geschäftspartner zählen muss, da kann es kaum verwundern, dass die Mär vom Kampf zwischen »Hardlinern« und »Reformern« innerhalb des Regimes höchst willkommen ist.
Weniger interessengeleitete Beobachter zeigen sich von dem Schauspiel unbeeindruckt. So etwa der Politologe Sadegh Zibakalam, der gegenüber dem Deutschlandfunk betont, »dass die iranische Wirtschaft eine korrupte staatlich gelenkte Wirtschaft ist. Es hängt nicht davon ab, wer gerade regiert, denn er kann im Grunde nichts ändern. Die gesamte Wirtschaft wird vom Herrschaftssystem gelenkt.«
Massive Probleme gibt es auch weiterhin bei dem Bemühen, den Iran in den internationalen Zahlungsverkehr zu integrieren. »Man kann zurzeit zwar Geschäfte abschließen, aber wenn es darum geht, die Rechnungen zu bezahlen, hat man immer noch Probleme«, so Jeannot Erpelding. »Und wenn das Geld nicht mehr fließen kann, werden die besten Geschäfte nichts.« Ein Grund dafür ist, dass der Iran noch nicht an das SWIFT-Identifikationsverfahren angekoppelt ist. Doch das erscheint gegenüber der zögerlichen Haltung der meisten europäischen Banken, von Irans stellvertretendem Notenbank-Chef Hamid Tehranfar als »Iran-Phobie im Finanzsektor« bezeichnet, nahezu als Lappalie. Weil US-Behörden in den vergangenen Jahren gegen Banken, die das Embargo ignorierten, Strafen in Milliardenhöhe verhängten, hätten viele Kreditinstitute immer noch »Angst vor den Konsequenzen« der Finanzierung des Iran-Geschäfts, so Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn in einem schriftlichen Statement gegenüber der Jungle World. Die deutsche Regierung hat weniger Skrupel und will das einsetzende Iran-Geschäft mit Hermes-Bürgschaften garantieren.
Auch die Europäische Kommission kennt kein Halten mehr. So reiste Federica Mogherini, die EU-Beauftragte für Außenpolitik, Mitte April gleich mit sieben EU-Kommissaren nach Teheran. Wirtschaftliche Themen standen bei den Gesprächen klar im Vordergrund. Sie leiteten Mogherini zufolge »eine neue Ära« in den Beziehungen zum Iran ein, wobei die EU-Außenbeauftragte meinte, »im Namen der 500 Millionen Europäer« zu sprechen.
Angesprochen wurde auch das Thema Migration. Man habe beschlossen, sich gemeinsam um die »Migrationsströme aus dieser Region« und deren Auswirkungen auf die EU und den Iran zu kümmern. In der Tat halten sich im Iran knapp eine Million dokumentierter, meist afghanischer Flüchtlinge auf, schätzungsweise 1,5 bis zwei Millionen weiterer Migranten sind unregistriert im Land. Mogherini hatte daher auch die Zusage einer Hilfeleistung von 6,5 Millionen Euro für die Bildung und Gesundheitsversorgung dieser Menschen im Gepäck. Dass die iranische Diktatur keinesfalls als »sicherer Drittstaat« gilt, ist dabei einerlei: Wer dort bleibt, fällt nicht in Europa zur Last.
Nichts sollte die Stimmung trüben. Daher betonte Mogherini in ihrer Abschlusserklärung gleich zweimal, dass die iranischen Raketentests vom März nicht als Bruch der Wiener Vereinbarung zu betrachten seien. »Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei den jüngsten Raketentests um einen Verstoß gegen die UN-Resolution 2 231, mit der das Atomabkommen mit dem Iran gebilligt worden war«, meint hingegen der luxemburgische Außenminister gegenüber der Jungle World. Man könne die Tests als provozierend und destabilisierend bezeichnen: »Jedenfalls helfen sie nicht, das Investitionsklima zu verbessern.«
Zyniker oder Verzweifelte mögen daher hoffen, auf diese Weise habe das fortgeführte iranische Raketenprogramm, sofern der Iran noch nicht über Nuklearsprengköpfe verfügt, womöglich einen begrüßenswerten Nebeneffekt. Das wäre ein Irrtum. Auch in Teheran hat man wie Erdoğan, Assad und andere die Bedeutungslosigkeit humanitärer Rhetorik europäischer Regierungen längst erkannt.