Design und Sozialismus

Klassenkampf am Nierentisch

Das schlichte Design der Bauhausarchitekten fand in der DDR wenig Verbreitung. Die Massenmöbelproduktion der Nachkriegsjahre war in Ost und West ein geschmackliches Desaster.

»Plaste und Elaste aus Schkopau« – dieser berühmte Werbeslogan entfaltet immer noch seine Wirkung. Die Zeiten, in denen er auf Reklametafeln die Transitstrecken zierte, sind zwar schon lange vorbei, mit Möbeln aus der DDR assoziiert man aber weiterhin Massenartikel aus Plastik oder Pressspan mit Holzdekorfolie. Obwohl Museen und Sammlungen Designklassiker des Sozialismus und deren Gestalter seit ein paar Jahren mit Ausstellungen würdigen, haben es Möbel »Made in GDR« auf dem Auktionsmarkt immer noch schwer, wie die Süddeutsche Zeitung im März berichtete. Es gebe kaum Kunden, die gezielt danach suchen.
Das könnte auch daran liegen, dass die DDR zwar einige Design-Stars hervorbrachte, ihnen aber konsequent den entsprechenden Status verweigerte. Die pädagogischen Spielzeuge von Renate Müller konnte man schon im New Yorker MoMA bewundern, die Keramiken von Hedwig Bollhagen werden heutzutage für Museumsshops nachgetöpfert. Der Schichtholzstuhl, den Erich Menzel in den fünfziger Jahren entwarf, gilt als Musterbeispiel der Gestaltung in der Nachfolge des Bauhaus: als DDR-Designer sind sie alle dennoch kaum bekannt. Sie blieben ungenannt, es galt die Anonymität des Kollektivs.
In der Zeit des Kalten Krieges wurden Möbel zum Politikum. Als Walter Ulbricht auf der Leipziger Herbstmesse 1956 zum ersten Mal die Möbelserie 602 der Deutschen Werkstätten Hellerau sah, rastete er aus. Die »unmöglichen Kastenmöbel« hatte Franz Ehrlich entworfen. Nach einer Lehre als Maschinenschlosser war Ehrlich von 1927 bis 1930 Student und Mitarbeiter am Bauhaus in Dessau. Ehrlich war in der kommunistischen Jugendbewegung aktiv, 1934 wurde er von den Nationalsozialisten wegen der »Verbreitung von Hochverrat« verurteilt. 1937 wurde er ins KZ Buchenwald deportiert. Auf Befehl eines SS-Bauleiters entwarf Ehrlich dort den zynischen Schriftzug im Tor des KZ: »Jedem das Seine« – die Typographie des Schriftzugs ist eindeutig Bauhaus.
Der Sprecher der Gedenkstätte Buchenwald, Philipp Neumann-Thein, sagte 2014 im Interview mit Deutschlandradio Kultur: »Wir interpretieren das als Akt des Widerstands von Franz Ehrlich. Wenn das bekannt geworden wäre – das Bauhaus war verfemt durch die Nationalsozialisten – wäre das für Franz Ehrlich möglicherweise das Todesurteil gewesen.«
Die Abneigung gegen das Design des Bauhaus, die Ulbricht beim Anblick der 602-Möbel auf der Leipziger Messe zum Ausdruck brachte, war nicht von Anfang an Staatsdoktrin der DDR. Für die Abkehr der DDR vom Bauhaus sorgten erst die Erfolge, die Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius in den USA feierten. In der DDR setzte eine staatlich initiierte Kulturdebatte um Literatur, Musik, Kunst und Design ein, die unter dem Begriff Formalismusstreit bekannt wurde. Deren Ziel war eine klare Abgrenzung der DDR-Kunst vom »westlich-dekadenten Kunstbetrieb«. Illustrieren lässt sich dieser Weg am Scheitern des Mehrzweckgeschirrs »Angelika«. Eine Kommission lehnte die Produktion der in Wagenfeldscher Schlichtheit gehaltenen Behälter ab; danach begann die Zeit des neuen realsozialistischen Biedermeiers.
Der Kaffee wurde fortan aus Tassen mit floralem Dekor getrunken, dazu passte die Blümchentapete im Wohnzimmer. Und weil im staatlichen Einzelhandel der DDR keine Fliesen erhältlich waren, machte die Blütenpracht auch vor den Badezimmerwänden im Plattenbau keinen Halt. 1958 beschloss die SED-Führung auf der Chemiekonferenz von Leuna beim sogenannten Pro-Kopf-Verbrauch chemischer Erzeugnisse den Westen zu überholen. Die Folge war der Beginn der Ära »Plaste und Elaste« innerhalb weniger Jahre hatte die Plastifizierung sämtliche ­Lebensbereiche umfasst. Während Heiner Müller die Wohnungen im Plattenbau als »Fickzellen mit Fernheizung« charakterisierte, erinnert sich der Fotograf Siegfried Wittenburg in der Rubrik »einestages« von Spiegel Online noch an den Geruch von Formaldehyd, den die Möbel in den Räumen verströmten.
In der BRD wurde die Tradition des Bauhaus-Designs allerdings nicht unbedingt liebevoller gepflegt. Das beweist nicht nur die weite Verbreitung des Gelsenkirchener Barock, sondern vor allem die Einrichtung des Bonner Kanzlerbungalows unter Helmut Kohl. Der Eindruck demokratischer Architektur, den dieser Bungalow, der an Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon von 1928 erinnert, vermitteln sollte, endete ab 1983 spätestens hinter der Haustür. Für die Chesterfield-Sofas und Eames-Sessel fand Kohl biederen Ersatz, die Klinkerwände wurden mit Stoff bespannt, vor den Fensterfronten hingen nun dicke Vorhänge, die Badezimmer wurden beigebraun gefliest und auf dem Boden lagen schwere Teppiche. Luft, Licht und filigrane Leichtigkeit im Kanzlerbungalow waren damit passé. Antiamerikanismus als Anlass für diese Renovierung kann man Kohl allerdings nicht unterstellen, hier treffen sich stattdessen Politik und Ästhetik. In Kohls Bonner Bungalow wurde die »geistig-moralische Wende« entworfen.