Kurdische Journalistinnen und Journalisten werden in der Türkei verfolgt

Gefährliche Recherche

Die Arbeitsbedingungen kurdischer Journalistinnen und Journalisten in der Türkei haben sich bereits nach Beginn des Kriegs im Südosten des Landes drastisch verschlechtert. Sie werden von der Regierung und von deren Anhängern verfolgt. Seit dem Putschversuch sieht es noch düsterer für die Pressefreiheit aus.

»Die Verfolgung und Drangsalierung der Opposition und von Journalisten werden sich weiter verschärfen«, sagt Mahmut Bozarslan. Der kurdische Journalist arbeitet freiberuflich für internationale Agenturen und Medien wie AFP und Voice of America. Es ist die Woche nach dem gescheiterten Putschversuch, den mutmaßlich eine kleine Gruppe innerhalb des türkischen Militärs am späten Freitagabend des 15. Juli angezettelt hatte. Gut geplante und routiniert wirkende Massenverhaftungen von knapp 3 000 Richtern, darunter zwei des Obersten Gerichtshofes, und 9 000 Polizisten folgten innerhalb von weniger als 24 Stunden. In den Tagen darauf wurden Lehrkräfte und Hochschulrektoren suspendiert. Der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı zufolge hat die türkische Hochschulverwaltung am 20. Juli zudem allen Akademikern verboten, im Ausland zu arbeiten.
Der türkische Regierungssprecher spricht von einer »Säuberung«, die in diesem Umfang notwendig sei, um alle Unterstützer des Predigers Fethullah Gülen aus dem Staatsapparat zu entfernen. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden islamistischen Predigers Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Konkrete Beweise für diese Behauptung liegen bislang nicht vor.
Die Folgen für die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten lassen sich jedoch bereits absehen. Die von Ministerpräsident Binali Yıldırım und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in den vergangenen Wochen mehrfach öffentlich geäußerten Überlegungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe bestätigen die Befürchtungen Bozarslans. Recherchen des deutschen Journalisten Günter Seufert für die »Stiftung Wissenschaft und Po­litik« zufolge forderte außerdem Şeref Malkoç, einer der Berater Erdoğans, ­Gesetze zu lockern, um die Selbstbewaffnung des »Volkes« zu erleichtern.
Am Abend des 20. Juli verhängte Erdoğan den für drei Monate geltenden Ausnahmezustand. Nach Artikel 120 der türkischen Verfassung ermöglicht dies dem Präsidenten, per Dekret zu regieren. Kritiker befürchten, dass dadurch die Presse- und Versammlungsfreiheit weiter eingeschränkt werden, obwohl der stellvertretende Ministerpräsident, Mehmet Şimşek, auf Twitter verlauten ließ, dass der Ausnahmezustand keine derartigen Einschränkungen beinhalte. Dennoch kündigte Erdoğan weitere Verhaftungen an. Amnesty International warnte am 20. Juli, dass die mediale »Säuberung« bereits in vollem Gange sei. 34 Journalistinnen und Journalisten sei die Arbeitserlaubnis entzogen worden, mit der Begründung, sie hätten Beziehungen zur Gülen-Bewegung. Zudem seien in den Tagen nach dem gescheiterten Staatsstreich 20 Websites gesperrt worden. Im Deutschlandfunk bezeichnete Can Dündar, Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, den Ausnahmezustand in seinem Land als Kriegsrecht.
Die von vielen befürchtete weitere Verhaftungswelle blieb nicht aus: Am 27. Juli ließ die türkische Regierung per Dekret weitere 45 Zeitungen und 15 Zeit­schriften verbieten. Darunter sind, wenig überraschend, kritische oppositionelle Publikationen wie die linksliberale Zeitschrift Nokta oder die linke Tageszeitung Taraf. Auch die Tageszeitung Zaman, bis dato auflagenstärkste des Landes, wurde geschlossen, nachdem diese bereits im März unter staatliche Treuhandverwaltung und somit unter die Kontrolle der Regierung gebracht worden war. Der Vorwurf lautete, sie unterhalte Verbindungen zur Gülen-Bewegung und unterstütze die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zudem wurden 16 Fernsehsender und 23 Radiostationen, drei Nachrichtenagenturen sowie 29 Verlagshäuser geschlossen. Die meisten der derzeit inhaftierten Journalistinnen und Journalisten arbeiten für kurdische Medien. Dem Bia Media Monitoring Report vom 29. Juli zufolge gilt dies für 22 der 32 Journalisten und zehn Herausgeber, die in Haft sitzen.
Dass in der Türkei Drangsalierung, Gewalt, Gefängnis und Mord zum Alltag von Journalistinnen und Journalisten gehören, insbesondere für kurdische und Angehörige anderer Minderheiten, ist bekannt. Seit der Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK im vergangenen Jahr zum Erliegen kam und der Krieg in ­Syrien zusätzlich Hunderttausende Flüchtlinge über die Grenze treibt, verschlechterten sich die ohnehin schwierigen Arbeitsbedingungen für Journalisten in den kurdisch geprägten Gebieten drastisch. Die Reaktionen auf den Putschversuch verstärken nur die Tendenz, alles, was der Regierung widerspricht, unter den Generalverdacht terroristischer Propaganda zu stellen. Damit nimmt auch die Polarisierung innerhalb der Bevölkerung zu, zumal mit der Ausweitung des Terrorgesetzes und dem nach dem Putschversuch noch umfassender auf AKP-Linie gebrachten Justizwesen der Ausschaltung oppositioneller Kräfte im Land Tür und Tor geöffnet sind. Obwohl die Verwirklichung von Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit in der Türkei also derzeit in weite Ferne gerückt sind, sagt Bozarslan: »Ich will meine Hoffnungen bewahren.« Seit fast 30 Jahren ist er Journalist und er will diese Arbeit so lange wie möglich ­weiterführen, auch wenn er dafür manchmal sein Leben riskiert.
Mob gegen Medien
»Meine Kollegin ist schwer am Kopf verletzt. Die Bewohner von Midyat attackieren uns und bewerfen uns mit Steinen.« Als Mahmut Bozarslan am 8. Juni diese Nachricht über sein Twitter-Profil veröffentlicht, ist es kaum ein paar Stunden her, dass eine Autobombe in der Nähe der Polizeistation in Mid­yat, einer Stadt im überwiegend kurdisch geprägten Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze, explodiert ist, die drei Menschen in den Tod gerissen und mehr als 30 verletzt hat. Bozarslan war zusammen mit den beiden freiberuflichen Journalisten Ha­tice Kamer (BBC, Voice of America) und Sertaç Kayar (Reuters) nach Midyat gefahren, um dort über den Bombenanschlag zu berichten. Kurz nachdem sie mit dem Filmen begonnen hatten, näherte sich ihnen eine Gruppe von Anwohnern, die sie beschimpften und bedrohten. Da sich die drei Journalisten nicht einschüchtern ließen und weiterarbeiteten, habe der Mob sie angriffen und Kamera und Ausrüstung zerstört, erzählt Bozarslan. Hatice Kamer wurde durch einen Stein schwer am Kopf verletzt. »Alle Umstehenden schauten zu, was passiert, doch niemand half uns. Wir riefen mehrmals die Polizei, doch niemand kam«, so Bozarslan.
Er wirkt sichtlich mitgenommen, als er erzählt, er habe erst im Nachhinein herausgefunden, dass der persön­liche Bodyguard des lokalen Vorsitzenden der türkischen Regierungspartei AKP in die Attacke involviert gewesen sei. Hätten zu Beginn etwa zehn Männer die drei Journalisten umkreist, seien es binnen kurzer Zeit rund 50 Männer gewesen. Nachdem die Angegriffenen schließlich Schutz und Behandlung im Krankenhaus gefunden hatten und im Anschluss Midyat verlassen wollten, habe vor der Eingangstür des Krankenhauses erneut derselbe Lynchmob gestanden. »Sie fingen wieder an, uns zu attackieren, aber diesmal war die Polizei vor Ort und feuerte in die Luft«, so Bozarslan. Das Verwunderliche an dieser Geschichte: Einige der Polizisten griffen die Journalisten gemeinsam mit dem Mob an und verletzten dabei Sertaç Kayar. »Andere Polizisten verfrachteten uns in ein gepanzertes Polizeiauto, während ein Teil auf Sertaç, unseren Kollegen, einschlug. Wir gingen zur Polizeistation in Midyat, um Beschwerde einzulegen. Aber bis heute gibt es keine Reaktion.«
Dass weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft Nachforschungen anstellen, wird auch von der linken Arbeitergewerkschaft der Türkei (DİSK) kritisiert. In einer Presseerklärung heißt es: »Wir wollen wissen, wer diese unbekannten Angreifer sind. Warum kann man sie nicht dingfest machen? Warum wird es nicht versucht? Ernsthaft, wer sucht nach ihnen?«
Kampf um Deutungshoheit
Von Repression sind viele kurdische Journalistinnen und Journalisten betroffen. Als die türkische Regierung am 24. Juli vergangenen Jahres dem »Islamischen Staat« (IS) offiziell den Krieg erklärte, wurden gleichzeitig Hunderte kritische Websites gesperrt, darunter viele prokurdische wie DİHA, die eine große Reichweite hat. Insgesamt sei die Seite seit Kriegsbeginn 28 Mal gesperrt worden, sagt Ramazan Pekgöz. Der Journalist sitzt am Konferenztisch der Redaktion von DİHA, die in einer Hochhauswohnung in der Neustadt Diyarbakırs untergebracht ist, und erzählt von seiner Arbeit. »Wir kommen direkt aus der kurdischen Gemeinschaft und sind vor Ort, wenn Menschen von Kugeln getroffen werden. Wir lassen uns nicht von Polizisten mit einem gepanzerten Auto durch die Nachbarschaft fahren, um vom Auto aus die Situation zu analysieren.« So habe es etwa der türkische Journalist gemacht, der Anfang des Jahres für Hürryiet einen Artikel über die Lage in Diyarbakır schrieb.
Frustriert beschreibt Pekgöz die Lage: »Als die Regierung den Krieg gegen den IS begann, hatte sie ein Ziel: zu verheimlichen, dass der Kampf gegen den IS zugleich als Vorwand diente, die in den vergangenen Jahren erstarkenden Autonomiebestrebungen der Kurden im Südosten der Türkei, aber auch in Syrien zu unterdrücken. Wie lässt sich am besten die Wahrheit verbergen? Indem sie regierungskritische Medien sperren und die Bevölkerung nicht informiert wird, dass bei angeblichen Antiterroreinsätzen nicht nur PKK-Kämpfer, sondern ebenso Hunderte Zivilisten sterben. Es wird verschwiegen, dass das türkische Militär mit schwerer Artillerie gezielt dicht besiedelte Gebiete und zivile Infrastruktur in den mehrheitlich von Kurden besiedelten Städten zerstört.«
Weil Kurdinnen und Kurden in den türkischen Medien derzeit ausschließlich als »Terroristen« auftauchten, würden sie sich stärker mit den kurdischen oppositionellen Medien identifizieren, so Pekgöz, denn nur dort würden sie gehört. »Ich hoffe wirklich, dass sich das eines Tages ändert. Dann können wir endlich anfangen, an den anderen Problemen in der Gesellschaft zu arbeiten und aufhören, so viel Energie darauf zu verschwenden, in einem konstanten Kampf- und Verteidigungsmodus zu sein. Doch gerade sind wir zu beschäftigt damit, der offiziellen türkischen Wahrheit und dem offiziellen Narrativ eine andere Seite entgegenzuhalten.«
Zensur und Einschüchterung
Erol Önderoğlu, Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen, gibt Jahr für Jahr die offiziellen Zahlen der in der Türkei verhafteten und ermordeten Journalistinnen und Journalisten heraus. Die Organisation veröffentlicht jährlich eine Rangliste der Pressefreiheit, den World Press Freedom Index, in der die Türkei 2016 lediglich Platz 151 von 180 besetzt. Für Önderoğlu ist der Angriff auf Mahmut Bozarslan und seine Kollegen keine Überraschung gewesen. Die türkische Regierung ­ermuntere dazu, kritische Journalisten zu attackieren. Önderoğlu, der auch Mit­herausgeber des kurdischen Portals Bianet ist und sich seit Jahren für Menschenrechte und Pressefreiheit einsetzt, wurde unlängst selbst zum Opfer staatlicher Repression. Vorgeworfen wurde ihm die Verbreitung terroristischer Propaganda, verhaftet wurde er auf Basis des Antiterrorgesetzes. Die kurdische Tageszeitung Özgür Gündem hatte am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, die Kampagne »Co-Editorship-in-Chief« initiiert und Journalisten, Schriftsteller und politisch Aktive eingeladen, für einen Tag symbolisch die Co-Herausgeberschaft der Tageszeitung zu übernehmen, ihre Artikel dort zu veröffentlichen und sich so gegen die Beschneidung der Pressefreiheit solidarisch zu zeigen. Auch Önderoğlu hatte daran teilgenommen. In einem kurz vor seiner Verhaftung veröffentlichtem Interview mit Amnesty International sagte er: »Die Kontrolle der großen Medien ist schon total. Nun gibt es eine wachsende Unterdrückung der Oppositionsmedien.« Seit dem 30. Juni ist er wieder frei.
Die Attacke in Midyat auf seine kurdischen Kollegen stieß in den sozialen Medien unter nationalistischen, regierungsnahen Kreisen auf Beifall. Die Posts auf zahlreichen Nutzerprofilen, in denen die Angreifer gelobt werden, bestätigen dies. »Als ich die Twitter-Profile der Unterstützer recherchierte, habe ich mindestens zwei der Angreifer von Midyat wiedererkannt«, sagt Mahmut Bozarslan. Nach der Attacke wurden Hatice Kamer und er auf Tehvidi Gündem, einer türkischsprachigen islamistischen Website, als Angriffsziele genannt. Während Websites regierungskritischer Medien blockiert und Kritikerinnen und Kritiker aufgrund des Vorwurfs der Präsidentenbeleidigung oder der Verbreitung terroristischer Propaganda verhaftet werden, geht die türkische Regierung vergleichsweise milde mit islamistischen Web­seiten um, die direkte Verbindungen zum IS aufweisen. So ist auch Tehvidi Gündem immer noch online, obwohl die Betreiber der Seite dem IS nahestehen. Der Herausgeber wurde schon einmal im Zuge einer Operation gegen den IS verhaftet. »Sie behaupten, wir unterstützten die PKK mit unseren Artikeln und zeigten sie als revolutionäre Gruppe. Ich habe den Staatsanwalt gefragt, ob es möglich ist, den Herausgeber dieser Seite zu verklagen«, so Bozarslan. Doch Anklage wurde bislang nicht erhoben. So sagt auch Erol Önderoğlu, dass es vom Justizapparat viel zu befürchten gebe, den er als manipuliert und von der wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung beeinflusst beschreibt.
Zwischen den Fronten
Mahmut Bozarslan glaubt, der Vorfall in Midyat sei eine im Vorhinein organisierte Attacke gewesen. Es sei schwer, zwischen den politischen Lagern zu stehen: »Als Journalist, der versucht, objektiv zu sein, ist es gefährlich, in der Mitte zu arbeiten: Wenn du keine klare Position beziehst, für die PKK oder für die AKP, lebst du gefährlich. Denn du kommst nicht nur in Schwierigkeiten mit dem türkischen Staat, sondern bist zudem Angriffen aus der kurdischen Gemeinschaft ausgeliefert, die dir vorwirft, kein echter Kurde zu sein und für das feindliche Lager zu arbeiten. Viele Kolleginnen und Kollegen von mir stehen daher auf Abschusslisten, die im Internet veröffentlicht sind. So geben wir eine leichte Zielscheibe für beide Seiten ab.«
Die Seite, die bei weitem brutaler attackiere, sei jedoch die der türkischen Staatspolizei und des Militärs, so Ramazan Pekgöz. »Wenn du als kurdischer Journalist arbeitest, musst du damit rechnen, zu jeder Zeit an jedem Ort getötet zu werden.« Bis Anfang des Jahres seien 76 Journalisten und Medienschaffende in den kurdischen Gebieten der Türkei ermordet worden.
Doch gerade die objektive Berichterstattung über die Geschehnisse im Südosten, die verschiedene Aspekte des Konflikts beleuchtet, ist bitter notwendig. Das betont auch Barış Yavuz, der Vorsitzende des Büros von TİHV in Diyarbakır, einer türkischen Menschenrechtsorganisation. Ihm macht die Unterdrückung unparteiischer ­Berichterstattung Sorgen. Der erneut aufgeflammte Krieg, der zu Hunderten toten Zivilisten und Hunderttausenden Menschen auf der Flucht geführt habe, erzeuge auch eine neue Welle von Traumata. Die fundierte Kenntnis und objektive Aufklärung der Geschehnisse sei daher umso wichtiger, um keine neuen Radikalisierungen aufkommen zu lassen und das kollektive und individuelle Trauma dieses Kriegs angehen zu können. Die Arbeit von Journalisten und unabhängigen Beobachtern sei dabei unersetzlich. »So gibt es zumindest eine Grundlage zur Aufarbeitung«, meint Yavuz. Die derzeitige Politik der türkischen Regierung verhindere dies, indem sie systematisch oppositionelle Stimmen unterdrücke.
»Ich habe Angst. Jeden Abend nehme ich einen anderen Weg nach Hause und gehe im Dunklen nicht mehr vor die Tür. Ich meide unsichere Orte, was den Handlungsraum für meine journalistische Arbeit stark einschränkt«, sagt Bozarslan. Er hofft, dass die Vorfälle in Midyat aufgeklärt werden und die Täter sich vor Gericht verantworten müssen. Doch allzu viel Zuversicht hat er nicht.