Der Film »Raving Iran«

Rasierklinge trifft Bart

»Raving Iran« erzählt von illegalen Partys in Teheran. Und von der gelungenen Flucht zweier Freunde.
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Die letzte Veranstaltung habe kein gutes Ende genommen, heißt es. Sie waren unvorsichtig, hatten zuviel Aufmerksamkeit erregt – und die ­Boxen zu nah am Dorf platziert, so dass sie von den Einheimischen bemerkt wurden. Eine Katastrophe, aber noch lange kein Grund, es nicht wieder zu versuchen. »Sei vorsichtig, wem du davon erzählst«, wird bei zugezogenen Vorhängen in den Telefonhörer geflüstert. Und schon sind Anoosh und Arash, diese zwei grundsym­pathischen Teheraner DJs und Musikproduzenten, wieder damit beschäftigt, einen illegalen Rave zu organi­sieren. Dort, wo die Staatsideologie mit ihrer Polizei, ihren Sittenwächtern weit entfernt ist: in der Wüste.
Das zusammengeliehene Equipment wird herangeschafft und bald tanzt eine kleine Schar westlich Gekleideter freizügig zu elektronischer Musik, so ziemlich alle Gesetze der Islamischen Republik missachtend. Die letzten Tänzer lassen sich an Ort und Stelle in den Staub fallen und schlafen ein. Die Party ist erfolgreich, dieses Mal hat die Polizei nichts bemerkt.
Susanne Regina Meures Debüt »Raving Iran« gehört zu den meist­beachteten Dokumentarfilmen des Jahres. Schon vor seinem offiziellen Kinostart wird der Film international gefeiert, es gab umjubelte Vorführungen auf Musikfestivals und begeisterte Reaktionen unter anderem beim Dok.fest München, Hot Docs ­Toronto und Visions du Réel Nyon. Das liegt zum einen daran, dass die in Zürich ansässige Regisseurin Schlüsselthemen der Gegenwart gekonnt miteinander verbindet: Mig­ration, Freiheit, Hedonismus. Außerdem dokumentiert der Film über weite Strecken gelungen die Repressionsmechanismen im Iran.
Die Aufnahmen zu »Raving Iran« entstanden zwischen September 2013 und August 2014. Meures reiste einige Male in den Iran und blieb dort jeweils für mehrere Wochen. Eine Dreherlaubnis hatte sie nicht, für viele Szenen musste auf eine versteckte Handykamera zurückgegriffen werden.
Zu den aufschlussreichsten Passagen des Films zählt der Besuch des Ministeriums für Kultur und islamische Führung. Kein Ort, den man als House-Musiker im Iran freiwillig aufsuchen würde. Anoosh und Arash aber wollen live auftreten, dazu benötigen sie eine Bewilligung. Zunächst wird das Duo registriert. Dann muss die Plakatgestaltung besprochen werden, die sich an das CD-Cover anlehnt. »Wir haben lateinische Schrift verwendet«, erklärt einer der beiden. Das sei verboten, entgegnet die junge verhüllte Frau. Genauso wie die Verwendung englischer Sprache, fügt sie hinzu – und man meint, einen Anflug von Verlegenheit in ihrem Blick zu erkennen. Der Eindruck bestätigt sich wenig später, als der Name des Duos genannt wird: Blade & Beard, »Rasiermesser und Bart«, übersetzt einer der DJs. Die junge Dame kann sich an diesem freudlosen Arbeitsplatz das Lachen kaum verkneifen. »Das wird sicherlich großen Anklang finden«, sagt sie. »Die Herren im Prüfungsamt nehmen das persönlich.« Ob es problematisch sei, dass sie eine Leadsängerin haben, wollen die beiden wissen. »Ja«, sagt die Frau. »Wieso?« Das Gespräch stockt. »Sie fragen, wieso?« »Ja, wir sind als Band zum ersten Mal hier.« »Habt ihr jemals weibliche Leadsänger in diesem Land gesehen?« sagt die Frau. Es ist eine rhetorische Frage.
Ohnehin hätten Blade & Beard im Iran, wo nur klassisches Piano und traditionelle Musik geduldet werden, keine Chance. Die Sittenpolizei ist überall und führt ständig Kontrollen durch. Im Instrumentenladen genauso wie in den Bars, wo junge Frauen den Hijab auf dem letzten Zipfel ihrer Frisuren tragen. »Die Islamische Republik hat uns gelehrt, Umwege zu nehmen«, sagt ein CD-Händler, der gewisse Alben unter dem Ladentisch verkauft. »Sie lieben es, belogen zu werden«.
Was folgt, sind einige dunkle und verwackelte Aufnahmen von Partys, die mit Festnahmen enden, sowie das Porträt zweier Freunde, denen immer klarer wird, dass ihre Träume im Iran nicht zu verwirklichen sind. Irgendetwas muss passieren. Und plötzlich tut sich eine Möglichkeit auf: Konzertveranstalter aus Zürich, bei denen sich die beiden zuvor beworben hatten, laden Blade & Beard ein. Anwälte werden konsultiert, mühevoll Visa besorgt – fünf Tage dürfen sie offiziell in der Schweiz bleiben. Die entscheidende Frage am Ende, in ­einem Zürich, das ihnen nicht feindselig, jedoch sehr fremd ist: Lassen sie ihre Pässe verschwinden und versuchen, in der Schweiz zu bleiben oder gehen sie zurück?
»Raving Iran« kommt ohne Off-Kommentar aus. Angesichts der vielen erstaunlichen Zufälle, die sich in diesem Dokumentarfilm ereignen, fragt man sich, an welchen Stellen Susanne Meures eingegriffen hat. Waren die Sensation der gelungenen Flucht zweier DJs in die vermeint­liche Freiheit und das Vorhaben, ­einen Abschlussfilm für die Hochschule zu drehen, Teile des gleichen Plans? Selbst wenn: Anoosh und Arash sind raus aus dem Iran. Und sie machen Musik. Am 26. September sind sie in der Berliner Volksbühne zu Gast.
Raving Iran (CH 2016). Regie: Susanne Regina Meures. Filmstart: 29. September