Eine Kritik des linksakademischen Umgangs mit dem Begriff der Islamkritik

Und es gibt ihn doch

Wer eine Kritik am Islam fordert, sie aber nicht leistet, sondern andere des »kulturellen Rassismus« bezichtigt, hat vor dem Elend der islamischen Welt bereits kapituliert.

Jonas Fedders plädierte für eine »emanzipatorische und demokratische Auseinandersetzung mit der muslimischen Religion und dem politischen Islam« und stellte einer solchen den auch von uns unterstützten Aufruf »Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik!« gegenüber. Der Inhalt des Aufrufs erinnere ihn an »kulturellen Rassismus«. Es ist mittlerweile ein altbekanntes Spiel: Wer das Elend der real existierenden muslimischen Communities und der islamischen Welt insgesamt benennt, wird mit Pegida, AfD oder Schlimmerem gleichgesetzt. Damit soll verhindert werden, dass die Affinität des zeitgenössischen Islam zu Judenfeindschaft und Christenverachtung, zu homophoben und sexistischen Einstellungen, zu Verschwörungstheorien und Omnipotenzphantasien überhaupt diskutiert, geschweige denn politisch bekämpft wird. Warum gerade Linke sich der Verteidigung des Islam so sehr verschrieben haben, lässt sich eigentlich nur dadurch erklären, dass sie – insgeheim oder offen – glauben, »Schnittmengen« (Oskar Lafontaine) zwischen Islam und linker Politik ausmachen zu können. Andernfalls blieben nur noch psychologische Erklärungen: Identifikation mit dem Aggressor, Feigheit vor dem Feind, vorauseilende Kapitulation.
In Fedders’ Text heißt es, wir sprächen von »dem Islam« und essentialisierten damit ein so wunderbar vielfältiges – ja, was eigentlich? – Phänomen, zweitens ersetzten wir den alten Rassebegriff durch den der Kultur. Es handelt sich hier um die inzwischen klassisch gewordenen Argumentationsmuster einer linksakademischen Szene, welche die Bedrohung individueller Freiheiten beharrlich herunterspielt, wenn Muslime die Aggressoren sind. Da Fedders’ Text diese Kapitulation vor der Realität gut auf den Punkt bringt, eignet er sich, um die theoretischen Annahmen einer ganzen Szene auf den Prüfstand zu stellen.
Vorwurf eins, die »Essentialisierung«, klingt zunächst gelehrt, entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als schnöder Hinweis auf die Tatsache, dass es im Islam verschiedene religiöse Strömungen gibt, dass die islamische Welt sich nicht auf Saudi-Arabien beschränkt und politische Kämpfe zwischen unterschiedlichen Fraktionen, Gruppen und Staaten stattfinden. Keinen einzigen Leser der Jungle World wird das überraschen. Aber was bedeutet die Feststellung der Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit politisch? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man zieht aus ihr den Schluss, dass der Begriff »Islam« überhaupt nichts erklärt – dann würde man das Selbstverständnis der meisten Muslime ignorieren –, oder man hält fest, dass es trotzdem etwas gibt, das die verschiedenen, sich auf den Islam beziehenden Personen und Kollektive verbindet, das ihr Handeln, Denken und Fühlen beeinflusst. Fedders ist positiv anzurechnen, dass er seinen eigenen Antiessentialismus nicht ernst meint, denn er fordert ja selbst eine »Kritik der muslimischen Religion«. Damit hält er fest, dass es tatsächlich eine »Essenz« oder ein »Wesen« des Islam gibt – der positive Bezug auf die mehr oder weniger als sakrosankt geltende Schriften (Koran und Hadith) sowie, noch wichtiger, die Verherrlichung des Propheten Mohammed. Dass die Auslegung der Schriften wie in jeder anderen Buchreligion umkämpft ist und die reine Lehre nicht unbedingt mit der gelebten Religion identisch ist, versteht sich von selbst, aber daraus den Schluss zu ziehen, es gebe den Islam überhaupt nicht, ist so hanebüchen, als wolle man behaupten, es gebe »das Auto« nicht, nur weil neben den Modellen von VW auch welche von Mercedes, BMW, Ford, Seat und Cadillac auf Deutschlands Straßen gesichtet werden. Oder, auf eine geistigere Sphäre übertragen: Man kann Ludwig Feuerbachs epochalem Werk »Das Wesen des Christentums« viel vorwerfen, aber nicht, dass es sich nicht an einer Ideologiekritik des Christentums versucht. Auch Feuerbach war ohne Zweifel bekannt, dass das Christentum kein »monolithischer Block« ist, sondern sich neben Katholizismus und Orthodoxie auch noch Dutzende kleiner Protestantismen unter dem Banner des Christentums tummeln. Aber das hat ihn nicht davon abgehalten, das Christentum als verzerrte Projektion menschlicher Bedürfnisse zu dechiffrieren. Fedders’ zweiter Vorwurf, wir ersetzten den Begriff der »Rasse« durch den der »Kultur«, schließt direkt an den ersten an. Wer den Islam begreifen will, muss sich begrifflich festlegen. Fedders hat das getan: Er sagt, der Islam sei eine Religion. Der Begriff »Religion« ist historisch westlichen Ursprungs und wurde im 19. Jahrhundert maßgeblich von protestantischen Intellektuellen popularisiert. Die islamische Tradition sieht in der Umma weit mehr als eine Glaubensgemeinschaft – eine vor allem durch gemeinsame politische und rechtliche Normen zusammengehaltene Gemeinde, deren Grundlage zwar ein religiöses Bekenntnis im Sinne eines spezifischen Transzendenzbezuges ist, die in diesem Bekenntnis aber nicht aufgeht. Da es sich bei der Trennung von Religion und Politik um ein modernes Phänomen handelt, ist unbestreitbar, dass die Gesellschaften, in denen der Islam über Jahrhunderte die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bildete, eine eigene islamische Kultur herausgebildet haben – wie die christlichen Gesellschaften eine christliche. Der etwas schwammige Begriff »Kultur« meint hier zunächst nichts anderes als einen Komplex von Moralvorstellungen, Herrschaftsverhältnissen, Eigentumsordnungen, religiösen Sinnstiftungen, Kommunikationsformen, Geschlechterbeziehungen und vielem mehr. Diese Kultur lässt sich selbstverständlich nicht eins zu eins aus dem Koran »ableiten«, entwickelt sich aber in kontinuierlichem und fraglosem Bezug zur religiösen Überlieferung.
Man kann diese Beziehung zwischen Religion, Politik und Kultur auf die christliche Welt übertragen, allerdings nur dann, wenn man nicht vergisst, dass Religionen nur durch begriffliche Operationen strukturidentisch sind, nicht aber inhaltlich dasselbe predigen, etwa bezüglich der Beziehung zwischen Mensch und Gott, Leben und Tod, Reinheit und Unreinheit. Die historische Entwicklung der islamischen und der christlichen Welt ist nur zum Teil parallel verlaufen. Dieser Aspekt sollte nicht dazu verführen, einen abstrakten Gegensatz zwischen Orient und Okzident zu eröffnen. Aber es werden im christlichen Europa nun mal keine Homosexuellen an Baukränen erhängt und auch keine wegen Ehebruchs verurteilten Frauen gesteinigt. Neunzig Prozent aller Terroranschläge werden heute von Muslimen verübt, nicht etwa von Christen. Daher täuscht der plötzliche Schwenk von der Bekräftigung der Vielfalt des Islam zur Kritik der Religion »an sich« über die doch leicht benennbaren Unterschiede zwischen Christentum und Islam hinweg. Ein bisschen dialektischer darf es dann schon sein.
Gerade wenn man sich auf Adorno bezieht, sollte die Frage nach der Einheit des Ganzen gestellt werden. Die Antwort ist altbekannt: Es ist der Wert als negative Synthesis, der die Individuen, Kollektive und Gesellschaften durch die radikale Enteignung des gesellschaftlichen Reichtums und die Verselbständigung seiner Formen, also durch die allseitige Lebensnot aufeinander bezieht. Entscheidend ist nun aber, wie die Einzelnen mit dieser totalen, negativen Vermittlung umgehen, die für sie die Perpetuierung von Existenzangst und Panik bedeutet. Es ist die älteste Funktion von Religion, sinnstiftende Antworten auf das irdische Elend zu geben. In diesem Sinne ist die islamische Religion eine Ideologie, wie es auch in dem von uns unterstützten Aufruf heißt: »Der Islam ist keine schützenswerte Kultur, sondern eine furchtbare, autoritäre, gnadenlose Ideologie.« Fedders leitet seinen Text sogar mit diesem Satz ein, um uns kurz darauf vorzuwerfen, wir betrachteten den Islam als unveränderbare metaphysische Essenz. Und genau hier, bei der Kritik des Islam als einer Ideologie, die spezifische Sinnstiftungen vermittelt und daraus Handlungsanleitungen für den Alltag generiert, muss die von Fedders nur geforderte, bezeichnenderweise dann aber nicht gelieferte »Religionskritik« ansetzen.