Rechtsrock in der Schweiz

Bratwurst-Connection

Im Schweizer St. Gallen fand Mitte Oktober das größte Rechtsrockkonzert des Jahres in Westeuropa statt. Dort wurde mutmaßlich Geld für Thüringer Neonazis gesammelt.

Mitte Oktober fanden sich im beschaulichen Schweizer Kanton St. Gallen mehrere Tausend Neonazis zu einem Rechtsrockkonzert ein. Es sollen dabei, so das Rechercheportal »Thüringen rechtsaußen«, über 150 000 Euro allein an Eintrittsgeldern eingenommen worden sein. Angekündigt waren die Nazibands Stahlgewitter, Confident of Victory, Frontalkraft und Amok. Die angereisten Neonazis sammelten sich am frühen Nachmittag im Raum Ulm, erst dann wurde bekanntgegeben, dass das Konzert in der Schweiz stattfinden sollte. Das an eine Schnitzeljagd erinnernde Verwirrspiel diente dazu, die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden abzuschütteln.
Die Organisation einer solchen Veranstaltung erfordert einen immensen finanziellen Aufwand. Falls die Behörden die Veranstaltungen auflösen oder schon vorab verbieten, bleiben die Organisatoren auf den Kosten sitzen. Während dieses Risiko es dauerhaft erschwert hat, solche Konzerte in Deutschland zu veranstalten, geht das in der Schweiz noch vergleichsweise leicht.
Die konspirative Anreise sorgte aber auch für Verstimmungen. Einige Teilnehmer bekamen beispielsweise die Änderung der Infotelefonnummer nicht mit. Eine Konzertbesucherin beschwerte sich in den sozialen Netzwerken: »Wieso habt ihr die Leute, die eine Karte gekauft haben, nicht per E-Mail informiert?« Sie habe in Ulm »festgesessen«. Der Neonazi André Kapke aus Jena holte dagegen nach dem Konzert zum moralischen Rundumschlag gegen die Szene aus, der er Hedonismus, Konsumhaltung und mangelndes politisches Engagement vorwarf: »Wenn all diejenigen, die zu solch einem Spaß­­event anreisen und Kohle ausgeben, nur einmal im Monat Flugis verteilen würden, zu Demos gehen oder in ihrem Umfeld für eine Veränderung zu einem besseren Deutschland arbeiten würden, wäre nichts einzuwenden.«
Nach Angaben antifaschistischer Initiativen aus Thüringen soll das Konzert bereits fünf Wochen vor dem Termin restlos ausverkauft gewesen sein. Nicht nur sie vermuten, dass die Organisatoren aus dem Umfeld der internationalen und in Deutschland verbotenen Naziorganisation »Blood & Honour« kommen. Nach Einschätzung der Antifa Bern war beispielsweise der Sänger der Band Amok, Kevin Gutmann, an der Vorbereitung des Konzerts beteiligt. Gutmann ist Mitglied der Züricher Sektion von Blood & Honour. Außerdem pflege er, so »Thüringen rechtsaußen«, gute Kontakte zur Neonaziszene um die »Hausgemeinschaft Jonastal«, die von Crawinkel in die Immobilie »Gelbes Haus« nach Ballstädt gezogen sei. In der Wohngemeinschaft lebe auch Thomas Wagner von der Rechtsrockband S.K.D., die ebenfalls auf Konzerten und CD-Zusammenstellungen von Blood & Honour in Erscheinung trete. Das Konto, auf dem Eintrittsgelder eingingen, führt nach Angaben des Rechercheportals der Saalfelder Neonazi David Heinlein. Thüringen und St. Gallen verbindet somit mehr als nur eine gemeinsame kulinarische Spezialität  – die Bratwurst. Am 5. Januar 2013 beteiligte Heinlein sich an einem Angriff mehrerer Neonazis in der Saalfelder Innenstadt. Dabei versuchte er, mit einem Messer in den Bauch eines Opfers zu stechen. Außerdem gehört er nach Angaben von »Thüringen rechtsaußen« einer Gruppe von 15 bis 20 Personen an, die seit Jahresanfang 2016 unter dem Namen »Anti-Antifa Ost­thür­in­gen« in Erscheinung tritt. Vorbild sei »Combat 18«, eine neonazistisch-terroristische Organisation, die in vielen Ländern Europas aktiv ist und als bewaffneter Arm des Neonazinetzwerks Blood & Honour gebildet wurde, so das Rechercheblog.
»International aufgestellte und vernetzte neonazistische Strukturen wie Blood & Honour oder Combat 18 zeigen kontinuierlich, dass die Strukturen trotz Verboten weiter agieren können«, sagte dazu Katharina König, die Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion im Thüringer Landtag. Sie erinnerte daran, dass bereits seit den neunziger Jahren Verbindungen zwischen Thüringer und Schweizer Rechtsextremen existieren und Neonazis aus der Schweiz häufig an Rechtsrockkonzerten in Thüringen teilgenommen haben. »Diese Konzerte dienen vermehrt dazu, Spenden für Gewalttäter aus den eigenen Reihen zu sammeln«, so Sven Peter, Sprecher der Opferberatung »Ezra – Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt«. Durch die Einnahmen können die Neonazis »ihre Anwalts- und Verfahrenskosten decken«. Dies zeige auch das Konzert »Rock gegen Überfremdung«, das vor wenigen Wochen im thüringischen Kirchheim stattfand und bei dem der Erlös, so Peters, »an die mutmaßlichen Täter von Ballstädt geht« (Jungle World 14/15).
Ende Oktober machte Matthias Quent, der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Thüringen, auf einen Song aufmerksam, in dem zum Mord an Katharina König und ihrem Vater, dem Stadtjugendpfarrer Lothar König, aufgerufen wird. In dem Lied heißt es in Bezug auf die Politikerin unter anderem, dass der »Tag der Rache« kommen werde. An einem »Tag X« drohe ihr das Ende, vor dem sie weder Thüringens Ministerpräsident Bodo Rame­low (Linkspartei) noch der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad bewahren könnten.
Die Band, die das Lied veröffentlicht hat, trägt den Namen »Erschießungskommando« und bezieht sich in ihren Liedtexten auf das Netzwerk von Blood & Honour. Nach Angaben der thüringischen Linksfraktion stammt die Band aus der Schweiz. Die Antifa Bern twitterte, es gebe Indizien, die auf eine Verbindung zur Schweizer Band Amok schließen lassen, jene Gruppe, die als einzige Schweizer Kapelle auf dem Konzert zwei Wochen zuvor auftrat. Inzwischen ist der Song auf Youtube gelöscht worden, aber auf anderen Plattformen, vor allem auf russischen, kann er weiterhin abgerufen werden.
Die Linksfraktion im Thüringer Landtag hat Anzeige erstattet. Die Abgeordneten solidarisieren sich mit ihrer Kollegin: »Solche Hetze entsetzt uns, wir lassen uns aber nicht einschüchtern.« Katharina König mit ihrem Engagement als Sprecherin für Antifaschismus und als Mitglied im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss gelte die volle Solidarität der Fraktion. »Wenn Menschen aus rassistischen, antisemitischen oder neonazistischen Motiven bedroht werden«, so die Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, dann »sind alle gefordert, dagegen den Mund aufzumachen und aktiv zu werden – egal, gegen wen sich die Drohungen richten«.
Im benachbarten Bundesland Sachsen drohen Rechtsextreme dem Grünen-Politiker Jürgen Kasek. Anfang November veröffentlichte er ein an ihn versandtes Papier in Form eines Steckbriefs, der ein Kopfgeld von 10 000 Euro auf ihn aussetzt, verbunden mit der Aufforderung, Kasek einen »Denkzettel« zu verpassen. In dem Brief werden auch der Landesvorsitzende der Linkspartei, Rico Gebhardt, der SPD-Abgeordneten Daniela Kolbe sowie »die Antifa« bedroht.