Der Umgang des Staates mit den Opfern rechtsextremer Gewalt

Der blinde Fleck

Der Prozess gegen die Terroristen des NSU liefert keine bedeutenden Erkenntnisse. Die Opfer und deren Angehörige spielen eine unter­geordnete Rolle. Zentrale Fragen werden von Politik und Justiz bislang ignoriert und die Rolle des Staates sowie des institutionellen Rassismus werden gar nicht erst behand

Während sich die Prozessführung im Fall des NSU im Wesentlichen auf eine Einzeltätertheorie stützt und die Zusammenhänge von geheimdienstlichem, polizeilichem und allgemein behördlichem Handelns ungeklärt lässt, bleibt eine Auseinandersetzung mit dem institutionellen Rassismus aus. Die Erfahrungen der Angehörigen, während der Ermittlungen von Opfern zu möglichen Tätern gemacht und wegen ihrer Staatsangehörigkeit stigmatisiert worden zu sein, werden meist nicht thematisiert. Unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU vor fünf Jahren mussten sich insbesondere antifaschistische Organisationen mit dem Vorwurf, geschwiegen zu haben, auseinandersetzen. Sie unterstrichen in der Debatte vor allem die fehlende Auseinandersetzung mit den eigenen Versäumnissen und machten zudem die Notwendigkeit deutlich, über eine problematische Leerstelle in der anti­faschistischen Praxis nachzudenken: Die Versuche, eine Auseinandersetzung mit dem NSU voranzutreiben, reduzierten sich meist auf die Beschäftigung mit den Täterinnen und Täter sowie deren rechtsextreme und geheimdienstliche Verstrickungen. Dies fand, ebenso wie die juristische Aufklärung der Morde, unter Ausschluss migrantischer Gruppen und ohne Einbeziehung deren Wissens statt. Dabei verwiesen gerade Migrantinnen und Migranten frühzeitig und beharrlich auf mögliche rechte Motive für die Morde. Nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel am 6. April 2006 organisierten Familienangehörige einen Trauerzug mit dem Titel »Kein 10. Opfer«. Mehrere Tausend Menschen, größtenteils türkischstämmig, protestierten ohne die deutsche Zivilgesellschaft und ohne das antifaschistische Milieu. Sie wendeten sich damit bereits 2006 an die Behörden und den Staat und forderten, die Mordserie zu beenden.
Die Morde des NSU und die rassistischen Strukturen wurden verhandelt, ohne jenen Personen eine ernstzunehmende Rolle zuzugestehen, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen. Auch öffentliche Gedenkveranstaltungen vernachlässigten häufig die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen. Bislang wurden weder der emotionale noch der materielle Schaden der Betroffenen angemessen kompensiert. Menschen, die von rassistischer Gewalt betroffen sind, machen die Erfahrung, dass rassistische Übergriffe in Deutschland keine juristische Aufklärung seitens des Staats erfahren. Im Hinblick auf die Vermeidung von Stigmatisierungen und Verleumdung sowie auf politische Aufklärung erfüllt das Rechtssystem sein Neutralitätsversprechen kaum. Der Menschenrechtskommissar des Europarats ­beklagte 2015 in seinem Bericht zu Deutschland, dass die ergriffenen Maßnahmen »sich nur am Rande mit den Ursprüngen der NSU-Affäre be­fassen, weil die strukturelle Voreingenommenheit bei den deutschen Polizeibehörden, die dazu führte, dass die rassistische Dimension der Verbrechen nicht gesehen und ­anerkannt wurde, außer Acht gelassen wurde«. Auch Amnesty International kommt zu dem Schluss, »dass die Art der Ermittlungen im Zusammenhang mit rassistisch motivierten Straftaten für die Existenz von institutionellem Rassismus in Deutschland sprechen«.
Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen, Neonazis und und der populistischen Stimmungsmache der AfD ist weiterhin notwendig. Sie verstellt jedoch manchmal den Blick auf die Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt und auf die Täter in den staatlichen Institutionen.