Homestory #45

So einem Kleinbetrieb wie der Jungle World können Urlaubs- und Krankheitsausfälle ganz schön zusetzen – also nicht unbedingt einzelne, aber wenn sie gehäuft auftreten, kann’s schon mal ungemütlich werden. Mittagessen? Überbewertet. Stattdessen eine Fluppe im Lektorat schnorren und raus in das ungeheizte Treppenhaus. Das macht den Kopf wenigstens wieder lang genug frei, um die bis zum Abend noch eintrudelnden Texte zu redigieren und sich Gedanken zu machen, was in der nächsten und übernächsten Woche beackert werden muss. Aber weniger ist manchmal mehr und bedeutet nicht einmal zwangsläufig die Einsamkeit im eiskalten Treppenhaus – im Gegenteil. In Krisen zeigt sich ja bekanntlich der Mitmenschen wahrer Charakter – auf wen Verlass ist und wer einen gnadenlos in der Patsche sitzen lässt. Und was ist das nicht für ein schönes Gefühl, wenn plötzlich das ebenfalls zum Einpersonenbetrieb geschrumpfte Ressort im Nachbarzimmer anbietet, den fehlenden Text zu schreiben oder schnell noch den leider in der allgemeinen Hektik nicht rechtzeitig bestellten Aufmachertext zu akquirieren. Oder wenn’s bei der Redaktionssitzung völlig unverhofft Kartoffel-Kokosmilch-Koriandersuppe gibt oder überraschend selbstgebackenen Pumpkin Pie – mit Puderzuckertotenköpfen zum Día de los muertos und Sahne aus der Sprühdose? Da weiß man doch endlich wieder, was man an­ein­ander hat. Die Menschheit braucht ihre Krisen, sie sind eben Teil ihrer zyklischen Erneuerung.
Darf man so einen Unsinn in einer linken Zeitung behaupten? Nee, natürlich nicht. Im Kommunismus soll es schließlich auch keine Krisen mehr geben. »Eben deshalb ist er eine Lüge!« tönt es da blechern aus dem konservativ-revolutionären Off der ganz und gar scheußlichen Vorstellungswelt Carl Schmitts, Ernst Jüngers oder Günter Maschkes. Hilfe – wo kamen die denn jetzt her? Ihr geistiges Erbe geistert heute wieder durch die Reihen der »Walking Deutsch« von Pegida und AfD – um das zu spüren, muss man nur eine beliebige Tageszeitung überfliegen. Oder aufmerksam genug lesen, was uns von unseren Autorinnen und Autoren immer so ins Haus geliefert wird. Autsch. Da war was. Da hilft keine Prokrastination an der Homestory – die Arbeit ruft!