Homestory #49

»Wir führen hier nur Befehle aus.« Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, gedacht haben sollten, solche Sprüche wären in den Räumen der Jungle World nicht zu hören, haben Sie sich getäuscht. Mit solch historisch fragwürdiger Rhetorik versuchte ein Mitglied des Layout-Teams, sich um eine Antwort auf die Frage zu drücken, warum eine riesige Anzeige dem Redakteur die Seite zerschießt. Kein Zweifel: Das Layout steht auf Seiten der Anzeigenabteilung.
Meist sind die Kolleginnen und Kollegen aber doch ganz freundlich. Sie machen nicht nur die Zeitung hübsch, sondern stehen neuerdings unter einem besonders guten Stern. Das heißt, sie sitzen und es sind sogar zwei Sterne. Rote Sterne. Für die einen stellen sie lediglich ein bisschen weihnachtliche Deko im tristen Büro dar, zumal sie lustig glitzern. Anderen sind sie ein willkommener Anlass, über rote und schwarze Sterne sowie das historische Verhältnis von kommunistischer und anarchistischer Bewegung in Russland und der Ukraine unter besonderer Berücksichtigung des Antisemitismus zu philosophieren. Die Erfordernisse der Produktion haben jedoch ein endgültiges historisches Urteil durch die Redaktion verhindert. Stalins Judenverfolgung? Unter Lenin hätte es das jedenfalls nicht gegeben.
Antisemitismusmäßig haben sich die Redaktionsräume ansonsten aber neuerdings enscheidend zum Besseren entwickelt. Wo jahrelang ein altes Veranstaltungsplakat mit dem Konterfei des Antisemiten Dieter »Judenknax« Kunzelmann hing, strahlt mittlerweile eine schicke Darstellung Theodor Herzls, des Gründers der zionistischen Bewegung, als Hipster-Herzl. Ein Kollege hatte die Ikone der Antideutschen kürzlich aus dem Israel-Urlaub mitgebracht. In your face, Kunzelmann!
Auch sonst tut sich einiges in den Redaktionsräumen. Der neue Systemadministrator ist in puncto Arbeitsergonomie ganz vorn. Seinen neuen Arbeitsplatz hat er mit einem elektrischen Schreibtisch ausgestattet. Auf Knopfdruck fährt die Tischplatte hoch und transformiert den Tisch in ein überdimensionales Stehpult. Und Stehen ist bekanntlich viel gesünder als Sitzen. Rückenschmerzen ade! Damit es nicht gar zu gesund bei der Jungle World zugeht, investiert die Geschäftsführung die vielen Anzeigeerlöse (siehe oben) gerne mal in Schokoriegel für die Redaktion. Das hebt die Stimmung.
Noch viel ungesünder als Süßigkeiten freilich wäre die Realisierung gewisser Befürchtungen oder Träume, je nach Standpunkt. Angesichts der nahenden Präsidentschaft Donald Trumps und einer möglichen Wiederkehr einer isolationistischen US-Politik fragte sich kürzlich ein Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ob Deutschland sich nicht endlich eigene Atomwaffen beschaffen solle. Berlin und die Bombe – da fragte sich ein Redakteur, wie eigentlich die Überlebenschancen in der Kreuzberger Redaktion sind, sollte über dem Kanzleramt ein Nuklearsprengkopf gezündet werden. Ergebnis einer raschen Online-Recherche: Es könnte eng werden.