Kurzmeldungen #50

Das unbekannte Wesen
Anmietung. Wer keine Juden in seinem Umfeld hat, um ihnen bohrende Fragen über das Judentum zu stellen und nachzuhaken, wie es sich als Jude in Deutschland so lebt und vieles andere mehr, kann sich seit einer Weile einen mieten. Einfach bestellen, schon kommt der Jude vorbei. »Es gibt 100 000 Juden in Deutschland, doch die wenigsten hierzulande kennen einen Juden persönlich. Das möchten wir ändern, indem wir Begegnungen zwischen Juden und Nichtjuden ermöglichen – und zwar fern von Klischees und Stereotypen«, heißt es auf der Website von »Rent a Jew«, einer Initiative der Bildungsstätte Europäische Janusz-Korczak-Akademie. »Rent a Jew« vermittelt Juden für Besuche etwa an Schulen und Universitäten. Es geht um Aufklärung. »Wir glauben, dass Humor, gemischt mit ein bisschen Chuzpe, das beste Mittel ist, um alte Klischees und Vorurteile zu widerlegen und zu zeigen, wie absurd sie sind«, heißt es auf der Website. oko
I’ve come around
Carpool-Karaoke. Was? Jetzt auch noch Madonna? Wirklich? Na gut, es reicht, ihr habt gewonnen. Damit haben die Unterhaltungsprofis den letzten Weg, sich diesem so unspektakulär daherkommenden Format zu entziehen, abgeschnitten. Carpool-Karaoke ist Teil einer Late-Night-Show mit dem beknackten Titel »The Late Late Show with James Corden.« Corden ist auf dem Weg zur Arbeit, sitzt hinter dem Steuer und liest eine Mitfahrerin am Wegesrand auf: Madonna. Er fragt, ob er die Musik einschalten dürfe, dreht am Radio – und schon schmettern die beiden »Papa Don’t Preach«, »Express Yourself«, »Music« und einige Hits der Künstlerin mehr. Corden mit vollem Einsatz, Madonna unfassbar cool. Es wird geplaudert, der sympathische Durchnittstyp von Moderator entlockt dem Star ganz zufällig ein paar intime Geheimnisse. »Baby, I’ve come around«, sagt sie – nach einer Viertelstunde ist alles vorbei. Wer Carpool-Karaoke bislang nicht verfallen war, weil es immer gute Gründe gibt, sich Youtube-Videos nicht anzusehen, dürfte von dieser Episode überzeugt werden und schon bald mehr wollen. Und sie haben alle schon auf dem Beifahrersitz gesessen: Gwen Stefani, George Michael, Lady Gaga, Justin Bieber, Selena Gomez. Selbst Michelle Obama fand sich bereits in der fahrenden Karaoke-Bar wieder. Auf dem Rücksitz: Missy Elliott, die sichtlich genoss, »Get Ur Freak On« mit der First Lady zu singen. Selten wurde so wenig geredet und so viel gesagt. Mehr Unterhaltung geht nicht! oko
Deutscher Film
Toni Erdmann. Eine Deutsche gewinnt den Europäischen Filmpreis. Maren Ades »Toni Erdmann«, eine Tragikomödie um eine ehrgeizige Managerin und ihren Altachtundsechziger-Vater, hat in Breslau die Trophäe für den besten europäischen Spielfilm gewonnen. Man kann sie sich schon vorstellen, die gewöhnlichen Reflexe, die plötzlich sehr viele Leute zu versierten Filmkritikern werden lassen – selbst wenn sie seit Jahrzehnten keinen Fuß ins Kino gesetzt haben: »Die Deutschen und der Humor, das kann nur mies sein!« Oder, noch kategorischer: »Deutscher Film… naja.« Möglich ist aber auch, diesen beiden Aussagen durchaus Sympathie entgegenzubringen und trotzdem nach einer Vorstellung mit »Toni Erdmann« begeistert den Kinosaal zu verlassen. Hauptdarstellerin Sandra Hüller wurde in Breslau zur besten europäischen Schauspielerin gekürt, Peter Simonischek, der in »Toni Erdmann« eben jenen sympathischen Zauselvater spielt, nahm den Preis als bester Schauspieler entgegen. Ade wurde geehrt als beste europäische Regisseurin und Drehbuchautorin. Ziemlich viele Preise. Einen Dämpfer erhielt der deutsche Oscar-Kandidat in Los Angeles: Bei den Critics’ Choice Awards ging »Toni Erdmann« leer aus. oko